Es ist alles wie echt, als Cory Schneider nach seinen Heldentaten das Siegerinterview gibt. Doch die Reporterin des Haus-Senders der New Jersey Devils steht nicht neben dem amerikanischen Keeper mit Schweizer Wurzeln und Pass, als sie ihre Fragen stellt. Und über Schneiders Schulter hangelt sich Sohn Wyatt.
«Es gibt Spiele, da muss man seinen Mitspielern viel Kredit geben. Heute war wohl keines davon», sagt der 34-Jährige. Seine Statistiken sind im wahrsten Sinn des Wortes fantastisch: 98 Schüsse hat er beim 6:4-Sieg gegen die Calgary Flames abgewehrt.
Gespielt wurde ja auch nicht auf dem Eis mit Menschen, sondern auf der Spielkonsole in einer Computersimulation. Zu sehen im Livestream. Dabei sieht man auch, wie die virtuelle Version von Nico Hischier den Puck im Netz versenkt und jubelt.
In der Realität ruht die NHL aber. Seit dem 12. März. Abgesagt ist die Saison aber noch nicht – im Gegensatz zu den Ligen in Europa, wo einzig in Weissrussland unbeirrt vom Coronavirus noch gespielt wird.
Die NHL hat die Spiele vor zweieinhalb Wochen auf Eis gelegt. Bis auf weiteres. Den Spielern wurde Selbst-Isolation bis vorgestern verordnet – und erlaubt, in ihre Heimatländer zu reisen.
«Gute Kollegen hatten glücklicherweise eine Wohnung frei»
So zögerten beispielsweise die Stürmerstars Nino Niederreiter und Timo Meier keine Sekunde und verliessen die USA, solange es noch möglich war. «Ich fühle mich in der Schweiz wohl», begründet Meier die Heimreise.
Er hat sich in Rorschacherberg SG mit herrlicher Aussicht auf den Bodensee in der Nähe seiner Eltern einquartiert. «Gute Kollegen hatten glücklicherweise eine Wohnung frei», sagt der 23-Jährige, der letzte Saison mit 66 Punkten und 30 Toren Schweizer NHL-Rekorde aufstellte. Ohne die Corona-Krise hätte er den Punkte-Rekord bestimmt schon an Roman Josi verloren, der bei 65 Zählern angelangt war, als die Liga unterbrochen wurde.
Doch vielleicht wird die Saison ja doch noch fertig gespielt. «Es gibt gewisse Szenarien. Die Liga versucht, Lösungen zu finden», weiss Meier. Ob wieder gespielt werde, sei «ehrlich gesagt zweitrangig. Die Gesundheit hat Vorrang. Es ist eine sehr, sehr schwierige Phase. Ich denke nicht gross ans Hockey.»
Und doch muss er sich als Profi-Sportler, so gut es eben geht, fit halten. Am Morgen macht er Kraftübungen mit dem Eigengewicht. Dann geht er ab und zu Joggen oder Velofahren oder mit seinen Eltern spazieren.
«Ich versuche, schlauer zu werden und lese Bücher»
Der Stürmer-Star der San Jose Sharks schaut viel Netflix und unterhält sich via Facetime mit seinen Kollegen. «Es ist hart, sie nicht treffen zu können.» Dafür kommt er jetzt dazu, zu lesen. «Ich versuche, schlauer zu werden, und lese Bücher über mentale Aspekte oder das Finanzwesen.»
Und dann nahm der Ostschweizer auf den sozialen Medien an der Challenge teil. Dabei jonglierte er die WC-Papier-Rolle nicht wie andere nur mit dem Fuss, sondern auch mit dem Hockeystock, was für Aufsehen sorgte.
«Ich wurde von Fussballern nominiert, fand dann aber, dass es nicht so elegant aussieht, und nahm den Stock zur Hilfe», sagt Meier, der schon als kleiner Junge von seinem Vater ins Espenmoos mitgenommen worden war und später als Fan des FC St. Gallen in der Kurve stand.
Siegenthaler wegen Freundin noch in Washington
An Challenges mag sich Jonas Siegenthaler nicht beteiligen. «Das ist nicht so mein Ding, obwohl ich schon mehrfach nominiert wurde», sagt der Verteidiger der Washington Capitals. «Ich schaue es mir zwar gerne an, mag aber nicht daran teilnehmen.»
Dabei hätte auch er viel Zeit. Der 22-Jährige sitzt in der US-Hauptstadt Washington DC fest. Weil das Praktikum seiner finnischen Freundin, die sich zur Krankenschwester ausbilden lässt, bei einem Teamarzt der Capitals noch drei Wochen andauert, hat sich das Paar entschieden, noch in den USA zu bleiben.
Auch für den Zürcher sind die Bedingungen alles andere als ideal. Im Gegensatz zu den grossen NHL-Stars wie Roman Josi, der in seinem 2,3-Millionen-Dollar-Anwesen wohnt und bestens eingerichtet ist, wohnt Siegenthaler in einem Apartment. Die Fitness-Anlagen im dortigen Komplex wurden geschlossen.
«Gross trainieren kann ich nicht»
So kann der Verteidiger die Vorgaben, die der Fitnesscoach der Capitals den Spielern mitgab, auch nicht richtig umsetzen. «Gross trainieren kann ich nicht.» Andere Spieler verwenden ein Velo-Training, bei dem sie ein Coach auf einem Bildschirm lautstark antreibt. Das ist nichts für Siegenthaler. «Ich bekomme sonst schon genug Rüffel», sagt er.
Was bleibt ist Joggen, Übungen mit dem eigenen Körpergewicht – er wiegt wie Meier 95 Kilo – sowie mit den Hunden seiner Freundin, einem Rottweiler und einem Sheltie, spazieren zu gehen. Und zu Hause hat er auch schon mit Stock und Ball mit den Hunden gedribbelt.
«Ich will einfach, dass schnell Gewissheit herrscht»
Der Sohn eines Schweizers und einer Thailänderin kocht nun vermehrt selbst, versucht neue Gerichte. Nicht nach Rezept, sondern nach Bauchgefühl. Schmeckt es? «Ich würde nicht sagen, dass ich ein schlechter Koch bin», sagt er. «Es macht auch Spass. Ich achte aber schon auf die Ernährung, so dass ich nicht mehr Gewicht habe.»
Und es bleibt immer noch genug Zeit für anderes. Zum Beispiel, um mit Kollegen aus der Schweiz online das Baller-Videogame «Call of Duty» zu spielen.
Glaubt der Schweizer, dass in der NHL noch einmal gespielt wird? «Das Geld spielt eine grosse Rolle. Sie wollen unbedingt spielen.» Er könne mit jeder Entscheidungen gut leben, sagt Siegenthaler. «Ich will einfach, dass schnell Gewissheit herrscht.»
Hischier macht Yoga: «Ich halte mich so gut wie möglich fit»
Auch Nico Hischier (21) versucht sich «so gut wie möglich» fit zu halten. «Mit Joggen, Yoga, Krafttraining mit Körpergewicht – und ein Velo habe ich auch daheim», sagt der Stürmer der New Jersey Devils, der sich die Zeit daheim im Wallis sonst ebenfalls mit Videospielen, Lesen und Facetime-Gesprächen mit Kollegen vertreibt. «Ich bleibe motiviert. Aber es ist für alle keine einfache Situation, nicht nur für uns Sportler.»
Auch die Aushängeschilder der NHL machen sich ihre Gedanken. «Man versucht so viele Spiele wie möglich zu machen, denke ich. Mich würde es nicht stören, wenn man direkt mit den Playoffs beginnen würde», sagte Pittsburgh-Superstar Sidney Crosby in einer NHL-Videokonferenz. Und auch Siegenthalers Teamkollege Alexander Owetschkin findet: «Je mehr Partien wir spielen, desto besser für unsere Fans und die Teams, die um die Playoff-Plätze kämpfen. Aber ich würde lieber sofort mit den Playoffs starten.»
Mit einer baldigen Wiederaufnahme des Spielbetriebs ist aber angesichts der dramatischer werdenden Corona-Situation in den USA kaum zu rechnen. Doch Eishockey im Sommer ist durchaus denkbar – falls sich die Lage beruhigen sollte.