Sie sind fast Nachbarn: Mickrige sieben Autominuten leben Donald Trump und Jonas Siegenthaler voneinander entfernt. Und doch trennen die beiden Männer Welten. Im Weissen Haus der egomanische US-Präsident, der an keinem Mikrofon vorbeigehen kann, ohne sich für eine tatsächliche oder frei erfundene Leistung zu rühmen. In Arlington auf der anderen Seite des Potomac-Flusses der 21-jährige Schweizer Eishockeyprofi, der die Worte sorgfältig abwägt und froh ist, dass bei den Washington Capitals Superstar Alexander Owetschkin die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht.
«Von Politik habe ich keine Ahnung», wehrt der Zürcher grinsend ab, als ihn BLICK auf seinen prominenten Fast-Nachbarn anspricht. Es ist der Tag, an dem er sich erstmals richtig umschaut in seiner neuen Heimat: das Weisse Haus, das Kapitol, das Lincoln-Memorial – Siegenthaler hat sie noch nie besucht. «Ich habe mich aufs Hockey konzentriert, ich muss mich ja immer noch jeden Tag beweisen.» Zwar hat der Verteidiger mittlerweile über 20 Saisonspiele für die Capitals bestritten. Aber erst vor kurzem bedeutete man ihm, dass er sich eine Wohnung suchen dürfe. «Das war ein wichtiger Moment. Es zeigt, dass man auf mich setzen will.»
Stress kennt er nicht
Was hilft: Der Verteidiger bewahrt in dieser Saison immer Ruhe und Übersicht. «Ich bin als Person so», erklärt der Schweizer. «Ich mag es auch nicht, wenn mich einer herumstresst. Es liegt wohl in meiner Natur, dass ich nie Stress oder Panik zeige, auch wenn es innerlich natürlich manchmal anders aussieht.» Zum Beispiel bei seinem ersten NHL-Einsatz.
Da wurde er wegen verletzter Capitals-Verteidiger aus dem Farmteam zu Hilfe gerufen. «Ich musste gleich gegen Artemi Panarin von den Columbus Blue Jackets ran.» Der Russe ist flink und schnell und eine NHL-Hausnummer. «Ich war ein paarmal gegen ihn auf dem Eis. Ich habe immer zum Coach rausgeschaut, ob er mich rausnehmen will. Wollte er nicht. Und es ging ja auch ganz gut.»
In ähnlichem Stil ging es weiter. Mit solider Arbeit machte sich Siegenthaler zu einer der Entdeckungen bei den Capitals. Kein regelmässig eingesetzter Teamkollege lässt weniger Grosschancen zu, gleichzeitig kommen die Caps während seinen Einsätzen zu mehr Top-Gelegenheiten als der Gegner.
Im Gegensatz zu Trump, der beim Shutdown einknickte, arbeitet Siegenthaler fleissig an seinem Ruf, einer zu sein, den Laden dichthalten zu können. Shutdown-Verteidiger nennen sie solche Spieler in der NHL.
Weinflasche mit der Nr. 34
Nun hat der 1,89-m-Schweizer noch einen langen Weg vor sich, ein Grosser zu werden in Nordamerika. Aber dass Washington-Sportchef Brian MacLellan zuletzt laut darüber nachdachte, den Titelverteidiger mit einem Stürmer zu verstärken, statt wie in den letzten Jahren einen Verteidiger zu holen, darf als direktes Kompliment an den Schweizer verstanden werden.
Es sieht also nicht so aus, als ob der Zürcher bald nach Hause käme. Aber dafür hat er vorgesorgt. In seiner neuen kleinen Wohnung mag noch nicht viel eingerichtet sein. Das Bett steht, der Küchentisch auch, der Fernseher hat seinen Platz, dazu haben die Capitals zur Einweihung eine Weinflasche mit Siegenthalers Rückennummer 34 geschickt – und an der Wand hängt ein grosses Bild von Zürich bei Nacht. «Die schönste Stadt der Welt», sagt Siegenthaler. Sieben Autominuten zum Weissen Haus hin oder her.
Seit Anfang Oktober : Die NHL-Saison 2019/20 hat begonnen und krachen wieder die Banden, die Netze zappeln und es wird um alles gespielt. Alle News, Spielstände, Highlights und Videos gibts die ganze Saison über im NHL-Ticker.
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