SonntagsBLICK: Sie stehen vor Ihrer elften NHL-Saison, können Sie das fassen?
Mark Streit: Nicht wirklich. Als ich 2005 nach Nordamerika reiste, war die NHL in einem anderen Universum und ein fast unerreichbares Ziel, mein grosser Traum. Ich war motiviert und ehrgeizig. Mein erstes Spiel war ein geniales Erlebnis und ich erinnere mich noch, was mir durch den Kopf ging, wie ich mich gefühlt habe und auch wie hart die erste Saison war. Deshalb habe ich mir damals nie erträumt, dass ich über zehn Jahre in dieser Liga spiele. Darauf bin ich stolz. Es steckt viel harte Arbeit dahinter, ich habe Hochs und Tiefs durchlebt. Ich geniesse das Leben als NHL-Spieler und weiss es zu schätzen.
Was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Dass ich mitten in meinem Traum bin, gigantisch. Als Kind verfolgte ich die NHL, die Spieler, die Superstars waren meine Helden. Ich habe Bilder gesammelt, Poster aufgehängt, Wimpel gekauft, die ich jetzt noch habe. Zu Weihnachten wünschte ich mir ein Shirt von Chris Chelios. Mein erstes Spiel war mit Montréal gegen Toronto. Ich war so nervös, dass ich kaum spielen konnte.
Gibt es Momente, in denen Sie auf Ihre Karriere zurückblicken?
Sicher, ich lebe zwar nicht in der Vergangenheit, aber ich denke viel an meine Erlebnisse in Montréal zurück. Wie cool es war, dass ich mich drei Jahre in dieser Stadt auf dieser Plattform zeigen durfte.
Und dann fühlen Sie sich alt?
Weise! (lacht) Oder erfahren. Aber klar, als Sportler ist man mit 37 im fortgeschrittenen Alter. In der Schweiz ist es noch älter, in Amerika spielen einige in diesem Alter noch. Aber klar, blicke ich zurück und denke an meine Zeit in Davos oder Zürich, als ich der Jüngste in der Kabine war. Und jetzt, wenn ich mich in der Garderobe umschaue, denke ich, scheisse, hier drin ist keiner mehr älter als ich. Das Schöne ist, es zeigt mir, wie lange ich dabei bin und wie viel ich geleistet habe.
Nach 20 Jahren als Profi, fällt Ihnen da das Sommertraining nun leichter, oder eben schwerer?
Mir ist das Sommertraining nie wirklich leicht gefallen. Das fällt keinem leicht. Ich finde es cool, dass wir mit Roman Josi und Yannick Weber eine Trainingsgruppe haben, das macht es einfacher. Wir pushen uns gegenseitig. Das Schöne am Sommer ist auch, dass man vom Hockey etwas abschalten, die Batterien aufladen, Zeit mit der Familie, Freunden und der Freundin verbringen kann. Diese Zeit braucht es auch. Die zwei, drei Stunden Leiden fürs Training sind da kein Problem, auch nach 20 Jahren nicht.
Jetzt steht Ende August ein Charityspiel (siehe Box) an – eine willkommene Abwechslung?
Sicher, ich freue mich. Es ist für einen guten Zweck. Ich bin schon lange «chili»-Botschafter des Schweizerischen Roten Kreuzes. Alle in unseren Teams kenne ich persönlich, das wird sicher ein cooler Event, ich freue mich.
Wie hat Sie Ihre Karriere charakterlich verändert?
Meine Stärke war schon immer mein Durchhaltewillen. Es gibt Zeiten, in denen man sich mehr durchbeissen muss. Und andere, in denen es einfach läuft. Der Biss, mich durchzukämpfen, wurde noch grösser. Am nächsten Tag aufzustehen und zu sagen, heute geht die Sonne wieder auf, hat mit einer positiven Einstellung zu tun. Ich habe gelernt, Negativspiralen gar nicht zuzulassen, immer positiv zu bleiben.
Sie haben einen emotionalen Frühling hinter sich. An Ihrer 13. WM erfuhren Sie einen Tag nach der Ankunft vom Unfalltod Ihres langjährigen Freundes und Sommertrainers Harry Andereggen ...
Das war unglaublich hart für mich. Gleichzeitig trauerte ich auch noch um meine Grossmutter. Zu ihr hatte ich einen engen Bezug. Mitte März flog ich in die Schweiz, um mich von ihr zu verabschieden, bevor sie gestorben ist. Ich denke noch sehr viel an sie und an Harry. Das braucht Zeit. Diese Gedanken begleiten mich und machen mich immer wieder traurig. Es gibt Momente, da sitze ich zu Hause oder im Auto, da kommen sie mir in den Sinn. Trotzdem bin ich dankbar, dass ich diese Menschen in meinem Leben hatte und von ihnen lernen durfte.
Eine sehr schwierige Zeit.
Ja, diese Zeit mit der Beerdigung meiner Grossmutter, dann die WM und diese traurige Nachricht von Harrys und Duri Camichels Tod. Das war Horror. Ich versuchte, für die Mannschaft das Beste zu geben und für sie da zu sein. Das beschäftigt mich auch diesen Sommer immer wieder. Seit 15 Jahren hatte ich im Sommer mein Programm, Training mit Harry, regelmässige Besuche bei der Grossmutter, mit beiden habe ich viel Zeit verbracht. Und das fehlt jetzt einfach. Aber das gehört leider zum Leben. Zum Glück hatte ich mit meiner Familie einen starken Rückhalt.
Hat Ihnen damals die noch frische Liebe zu Ihrer Freundin Fabienne Kropf geholfen?
Ja, es war aber gemeinsam eine schwierige Zeit, denn wir machten das gleiche durch. Wir verloren beide geliebte Menschen, die uns wichtig waren. Wir haben uns gegenseitig unterstützt, waren füreinander da. Das hat vieles erleichtert. Die Gegensätze des Lebens, auf der einen Seite das Traurige, und dann das Wunderschöne, das man erleben darf. Und ich glaube, dass jene Menschen, die wir verloren haben, sich jetzt mit uns freuen, was wir zusammen haben.
Sind Sie ein Gefühlsmensch?
Wenn man älter wird, will man die Gefühle auch mehr zulassen. Ich finde es wichtig, dass man lachen und sich freuen, aber auch mal traurig sein kann. Und diese Momente gibt es, in denen man weinen muss. Auch diese Gefühle sind wichtig und sollte man zulassen. Davor verstecke ich mich nicht. In den letzten Monaten hat es mich auch mal «dureghudlet», das gehört zum Leben. Aber es ist schön, wenn man das mit jemandem teilen kann.
Ihre Telefonrechnung wird sicher in die Höhe schnellen. Ihre Freundin wird aufgrund ihres Jobs als Medienkoordinatorin von Swiss Ski nicht mitkommen können?
Wir werden sicher viel auf Facetime oder Skype sein. Es wird sich sicher mit der Zeit einpendeln. Nein, das wird eine Organisationsfrage sein, da müssen wir uns finden. Für uns beide ist es Neuland. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Wo sehen Sie sich mit 40?
Mein Vertrag läuft noch bis 2017. Dann werde ich in der Situation sein, in der die Planung von Jahr zu Jahr geht. Ich kann mir vorstellen, dass ich dann noch ein oder zwei Jahre spiele, besitze ich noch immer das Feuer und die Leidenschaft. Aber meine Spielerkarriere wird früher oder später enden. Dann kommt ein neuer interessanter Lebensabschnitt.