Als Kind galt Connor Ingram (26) als verantwortungsbewusster Bub. Jeden Abend kontrollierte er, ob sein Velo ordentlich verstaut war und ob das Portemonnaie und der Baseballhandschuh am richtigen Ort versorgt waren. Das mutet vielleicht etwas speziell an. Aber niemand vermutete dahinter eine grosse Sache. Niemand hat damals dem heutigen Eishockey-Goalie vom NHL-Klub Arizona Coyotes eine Zwangsstörung (OCD) nachgesagt.
Später nahmen die Auffälligkeiten bei Ingram zu. Immer öfter mied er öffentliche Räume. Er umging den Kontakt mit Kindern, weil er Angst vor der Übertragung von Keimen hatte. Zugleich kämpfte er auch mit der Angst, an Aids oder Syphilis zu erkranken. Einmal zog Ingram deshalb gar alle zehn Minuten seine Socken aus, um sicherzugehen, keinen Hautausschlag an den Fusssohlen zu haben.
Therapie brachte die Wendung
Heute gehört Connor Ingram zu den Top-Goalies im Eishockey. In der NHL steht er für die Arizona Coyotes zwischen den Pfosten, ist damit Teamkollege des Schweizers Janis Moser (23). Und beim Kanadier ist mittlerweile eine Zwangsstörung festgestellt worden.
Bis Ingram die Diagnose erhalten hat, dauerte es jedoch fast 24 Jahre. Zuvor hat er die Zwänge lange in sich hineingefressen. Doch als er während der Corona-Pandemie – zu jenem Zeitpunkt stand er bei den Nashville Predators unter Vertrag – eines Morgens aufwachte, erkannte sich der Profisportler im Spiegel kaum wieder. Die inneren Zwänge haben ihn erschöpft und ausgemergelt. Sogar ein Rücktritt stand im Raum.
Hilfe fand er in einem psychiatrischen Behandlungszentrum, wo er sich einer Konfrontationstherapie unterzog. Schrittweise wurden die Zeitabstände zwischen den auftretenden Zwängen dort kontinuierlich vergrössert. Noch heute arbeitet Ingram mit dieser Methode.
«Es war angenehmer, mit ihm zusammen zu sein»
Der Aufenthalt in der Therapie verändert den Hockey-Goalie nachhaltig: «Es war wieder angenehmer, mit ihm zusammen zu sein», sagt der damalige Predators-Trainer John Hynes (48) über die Zeit nach der Behandlung. Es schien, als ob Ingram wieder Freude daran hatte, zusammen mit Teamkollegen Zeit zu verbringen. «Er ist sympathischer und kontaktfreudiger geworden», so Hynes.
Ganz überwunden hat Ingram seine Neurosen aber nicht. Es gibt Momente im Profi-Leben, da muss sich der Goalie zurücknehmen – als Selbstschutz. Wenn andere Teamkollegen zum Beispiel mit jungen Fans abklatschen, muss Ingram die wartenden Kinder hängenlassen. «Ich fühle mich immer schlecht, weil sich diese kleinen Kinder über die Bande strecken und ein ‹High Five› wollen», sagt Ingram. «Aber ich weiss, dass es meinen Tag versauen könnte, wenn ich es trotzdem machen würde.»
Immerhin sportlich läufts Ingram so gut wie schon lange nicht mehr. Bei den Coyotes bestritt er in dieser Saison 23 Spiele. Seine Mannschaft ist auf gutem Weg, die Playoffs zu erreichen. Den grössten Sieg hat er aber schon erreicht – die Krankheit anzuerkennen und zu behandeln.