In Tampa zeigt das Thermometer auch in der Adventszeit 26 Grad an. Dementsprechend erscheint Janis Jérôme Moser nach dem Training lässig in den kurzen Hosen zum Fotoshooting mit SonntagsBlick. Vor der Amalie Arena wirft der 24-Jährige einen ehrfürchtigen Blick auf die Bronzestatue von Phil Esposito. «Ich weiss, dass dieser Mann ein ganz Grosser ist. Ich bin aber zu jung, um die Details von seinem Werdegang zu kennen», gibt «JJ» zu.
Der mittlerweile 82-jährige Esposito gehört tatsächlich zu den Giganten in der Geschichte der National Hockey League. Der Italo-Kanadier hat in der Saison 1968/69 als erster Spieler die Marke von 100 Skorerpunkten geknackt und gewann mit den Boston Bruins zweimal den Stanley Cup. Zu Beginn der 90er-Jahre wurde Esposito trotz seiner glorreichen Karriere von vielen Leuten verspottet. Warum? Der zehnfache NHL-Allstar übernahm den General-Manager-Posten der neu gegründeten Tampa Bay Lightning. Kaum jemand hat damals daran geglaubt, dass sich Eishockey unter den Palmen Floridas etablieren würde. Doch Esposito hat in eindrücklichster Manier das Gegenteil bewiesen.
Dreimal haben die Lightning (2004, 2020 und 2021) bereits den Stanley Cup gewonnen. Die Hockey-Euphorie ist in der 385'000-Einwohner-Metropole derart gross, dass bei den Heimspielen die 19'092 Plätze in der nach einem Motorenöl benannten Arena regelmässig ausverkauft sind. «Es ist wirklich traumhaft, in dieser Stadt Eishockey spielen zu dürfen», schwärmt Moser, der im letzten Sommer nach drei Spielzeiten mit den Arizona Coyotes an die Golfküste Floridas transferiert wurde.
Viele Tränen vergossen
Gross geworden ist der Verteidiger in einer Gegend, in der um diese Jahreszeit eher selten die Sonne durch die Nebeldecke bricht – in Safnern, im Berner Seeland. Eishockey hat in der Familie Moser schon immer eine besondere Rolle gespielt. «Darum haben wir unseren mittleren Sohn auch in Anlehnung an den legendären Jean-Jacques Aeschlimann JJ genannt», erzählt Mutter Sandra, die seit vielen Jahren beim EHC Biel für den Nachwuchs kocht. Als ehemalige Eiskunstläuferin hat Sandra Moser ihren drei Kindern das Schlittschuhlaufen beigebracht. JJ hat sich schnell als grosses Talent entpuppt, das beim EHC Biel von den Jugendtrainern Walter «Walä» Zwahlen und Guido Pfosi optimal gefördert wurde.
Ein E-Mail, das der ehemalige Arosa- und Biel-Verteidiger Pfosi nach einem Moskito-Turnier 2010 versandte, hat Mama Moser bis heute aufbewahrt. Inhalt: «Janis ist trotz seines jungen Alters schon ein sehr wichtiger Spieler für die Moskito-Top-Auswahl. Er macht das fehlende Gewicht mit Einsatz und einem für sein Alter unglaublichen Spielverständnis wett. Wenn er so weitermacht, kann er ein ganz Grosser werden.»
Weil der kleine JJ nicht nur auf dem Eisfeld, sondern auch in der Schulstube glänzte, wurde er von seinen Mitschülern oft als «Streber» beschimpft. «Janis hat deshalb ein paarmal Tränen vergossen, weil er ja in Wahrheit gar kein Streber war. Aber ihm ist halt alles sehr viel leichter von der Hand gegangen als den anderen», erinnert sich die Mutter.
Von Josi inspiriert
JJ ist eine Episode aus seiner Kindheit in besonderer Erinnerung geblieben. «Mein grosses Vorbild war seit jeher Roman Josi. Und als ich ungefähr 13 war, durfte ich in Zuchwil ein Verteidiger- und Goalie-Camp besuchen, das von Mark Streit, Martin Gerber und Roman Josi geleitet wurde. Das war wirklich sensationell, die grossen Stars haben sich grandios um uns kleine Buben gekümmert. Und es hat mir auch gezeigt, wie schnell im Sport alles gehen kann. Denn fünf Jahre nach diesem Jugendcamp durfte ich erstmals in der Garderobe der Schweizer Nati neben meinem Vorbild Josi sitzen.»
Dass Moser seit einigen Jahren mit der Rückennummer 90 spielt, hängt ebenfalls mit seinem Jugendidol zusammen. «In meiner Juniorenzeit habe ich immer die 8 getragen. Aber als ich in die erste Mannschaft des EHC Biel aufstieg, war diese Nummer vergeben. Deshalb habe ich mich für die 90 entschieden, die Josi in der Nati trägt.»
Mittlerweile ist Josi ein Fan von Moser. «JJ beeindruckt mich mit seiner enorm soliden Spielweise. Ich traue ihm in der NHL eine ganz grosse Karriere zu.» Dem Superstar der Nashville Predators ist bei den letzten Begegnungen nicht entgangen, dass sein junger Kollege auch neben dem Eis forscher zu Werke geht. «JJ wirkte auf mich lange Zeit sehr brav. Aber mittlerweile haut er gelegentlich gerne ganz ordentlich auf den Putz.» Moser setzt ein spitzbübisches Grinsen auf und meint augenzwinkernd: «D Amerikaner hei mi haut chli versiechet ...»
Vom Asketen zum Rock ’n’ Roller
Dann erzählt der 1,83-Meter-Mann, was wirklich hinter seiner persönlichen Wandlung steht. «Als ich mit 16 eine kaufmännische Ausbildung begonnen habe, ist mir schnell klar geworden, dass ich nicht mein ganzes Berufsleben lang acht Stunden pro Tag in einem Büro vor einem Computer sitzen möchte. Ich habe deshalb alles dafür getan, dass es mit meiner Karriere als Eishockey-Profi klappt. Darum gab es bis zu meinem 21. Lebensjahr in meinem Alltag keinen Platz für Partys. Ich habe ausschliesslich fürs Eishockey gelebt. Aber nach meinem ersten NHL-Spiel ist mir klar geworden, dass sich dieser Aufwand ja nur dann lohnt, wenn man ab und an auch neben dem Eisfeld ein bisschen Spass hat.»
Moser betont, dass sich noch nicht alle in seinem Umfeld an den «neuen» JJ gewöhnt haben: «Einige Leute reagieren sehr erstaunt, wenn sie mich mit einem Bier sehen. Aber für mich ist es mittlerweile sehr wichtig, dass ich zwischendurch mit meinen Teamkollegen Dinge tue, die andere jungen Menschen auch machen. Auch wenn diese Aktionen nicht immer gescheit sind, helfen sie, um mit neuem Elan das harte Training aufzunehmen.»
Die jüngsten Leistungen geben ihm recht: Moser hat sich in Tampa in kürzester Zeit zu einer unverzichtbaren Teamstütze entwickelt und erhält regelmässig über 18 Minuten Eiszeit pro Spiel. Nach 24 Spielen steht er mit einer Plus-13-Bilanz und neun Skorerpunkten da.
Sein hohes Standing in dieser Startruppe wird auch dadurch untermauert, dass er regelmässig an der Seite des schwedischen Captains Victor Hedman spielt. «Obwohl Hedman seit Jahren konstant Weltklasseleistungen abliefert, ist er genau wie ein Roman Josi absolut bodenständig geblieben. Er hat mir mit seiner sozialen, sehr feinfühligen Art bei der Integration in diese Mannschaft enorm geholfen.»
Das Leben als Jungmillionär
Moser hat in Tampa einen Vertrag für zwei Jahre, der ihm total 6,7 Millionen Dollar einbringt. Wie viel Luxus gönnt sich der Youngstar? «Ich spare nicht, wenn ich in meiner Freizeit mit meinen Freunden essen gehe. Ich habe ein Motorboot auf dem Bielersee und fahre einen BMW M 4.»
Richtig schmuck ist auch das Apartment, das JJ keine fünf Gehminuten vom Eisstadion entfernt gemietet hat. Die Wohnung befindet sich im 14. Stock. Von hier aus hat er einen spektakulären Ausblick auf den Hafen von Tampa, auf der Dachterrasse befindet sich ein Swimmingpool.
Kann sich der «Giel» aus dem Kanton Bern sogar vorstellen, für immer hierzubleiben? «Theoretisch schon. Es ist etwas Wunderbares, wenn du an einem Ort leben und spielen darfst, an dem es auch im November dreissig Grad warm ist, während dein Heimatort in der Nebelsuppe versinkt. Aber ich möchte eines Tages Kinder haben. Und weil das Schulsystem in den USA nicht das beste ist, spricht doch einiges dafür, dass ich meinen Hauptwohnsitz nach der Spieler-Karriere in der Schweiz haben werde.»
Am Ende dieses Tages setzt sich der jüngste Schweizer NHL-Star aufs Sofa und beginnt auf seiner Gitarre zu spielen. Obwohl JJ ganz bescheiden behauptet, dass er nicht wirklich musikalisch sei, gelingt ihm das Einstiegsriff des Evergreens der Animals «House of the Rising Sun» fehlerfrei. Er ist eben ein echter Hit, dieser JJ Moser.