BLICK: Sean Simpson, erzählen Sie uns wie es damals zu diesem wunderbaren Erfolg kam?
Sean Simpson: Die Vorbereitungen begannen eigentlich bereits nach der WM 2012 in Helsinki. Obwohl das Schlussresultat damals nicht befriedigend ausfiel (11. Rang, die Red.), verfolgten wir einige Dinge weiter, die uns gefallen hatten. Wir hatten beispielsweise die Idee, ein 1-3-1-Spielsystem an unsere Bedürfnisse anzupassen. Nur weisst du vor einer Weltmeisterschaft erst ziemlich spät, wie dein Kader aussehen wird. Den endgültigen Plan konnten wir darum erst in der letzten Woche vor dem Turnier festlegen.
Die Philosophie hinter diesem System?
Die Gegner sollten die Scheibe nicht in unser Drittel tragen können, sondern sie hineinschiessen müssen. Dazu mussten wir einige Kaderanpassungen vornehmen, beispielsweise setzten wir auf mobile, spielstarke Verteidiger, die ein zügiges Umschaltspiel ermöglichen.
Hatten Sie kein Wundermittel?
Nein. Wir hatten uns zwar während der Vorbereitung mit teambildenden Massnahmen um den Kitt in der Mannschaft bemüht, aber wir wissen alle, was das wahre Rezept für eine gute Chemie ist: Siege. Wir haben zum Auftakt Schweden, Kanada und Tschechien geschlagen, diese Erfolge verstärkten dann das gute Grundgefühl, das wir in der Gruppe hatten. Hätten wir die ersten Spiele verloren, wäre der Effekt der gute-Laune-Massnahmen überschaubar gewesen.
Dann sind diese Massnahmen nur fauler Zauber?
Nein, das bestimmt nicht. Aber wenn die Zahnräder sofort ineinander greifen, ergibt sich eine gewisse Eigendynamik. Ein gutes Gefühl verstärkt sich durch Erfolge auf dem Eis. Beginnt eine Weltmeisterschaft mit einer Enttäuschung, kann sich dieses Gefühl einnisten und über ein ganzes Turnier erstrecken.
War der Sieg im Auftaktspiel gegen Schweden schon entscheidend?
Das glaube ich nicht. Er hat aber dafür gesorgt, dass wir mit Selbstvertrauen und einer bestimmen Lockerheit gegen die Kanadier antreten konnten. Die Gewissheit, dass hier etwas am Kochen ist, verbreitete sich dann nach den Siegen gegen Kanada und Tschechien so richtig.
Die sogenannten Pflichtsiege fielen danach leicht.
Es hat die Aufgabe zumindest wesentlich vereinfacht. Gegen diese Mannschaften kann es für jede Nation eine Nagelprobe sein, um jeden Preis siegen zu müssen. Das erklärte Ziel war wie immer der Viertelfinal, mit drei Siegen und ohne Niederlage im Schlepptau tut man sich dabei wesentlich leichter, das ist klar.
Zwischenfrage: Ist es für die Schweiz realistisch, immer den Viertelfinal zu fordern?
Ich denke, man sollte sich ein solches Ziel stecken, auch wenn man laut Statistik nicht immer dahin kommt. Man sollte das Ergebnis dann auch genau analysieren, nicht immer, wenn der Viertelfinal verpasst wird, ist auch alles kaputt.
Zurück nach Stockholm. Spätestens nach den diskussionslosen Siegen gegen Slowenien, Dänemark, Norwegen und Weissrussland herrschte in der Schweiz eine flächendeckende Euphorie.
Wir haben das mitbekommen, konnten uns aber nicht vorstellen, wie gross die Begeisterung wirklich war. Ich habe wohl Anrufe und Mitteilungen bekommen, konnte mir aber nicht ausmalen, welche Dimension die Festlaune angenommen hatte. Das wurde mir erst nach der Rückkehr in die Schweiz klar.
Das Halbfinale gegen die USA war wohl das beste Spiel der Schweiz bisher.
Es war eine wunderbare Leistung gegen eine gut besetzte amerikanische Mannschaft. Ich glaube, das war am Samstagnachmittag, das Wetter war wunderschön (das Spiel begann um 19 Uhr, die Red.). Die Amerikaner hatten die Vorrunde in Helsinki gespielt und vielleicht einen anderen Gegner erwartet und sich dann schon auf den Final eingestellt. Dann standen sie einer Mannschaft gegenüber, die einen Lauf hatte.
Und dann: Silber gewonnen oder Gold verloren?
Ich glaube es ist schon korrekt wenn man sagt, wir haben Silber gewonnen. Natürlich ist es schön, wenn man im Final der Weltmeisterschaft steht, aber manchmal tut es immer noch etwas weh, dieses Spiel nicht gewonnen zu haben. Wir sind Teil einer gewinnorientierten Branche und freuen uns über Silber, aber ganz tief drin denken wohl alle Beteiligten: Mann, dieses letzte Spiel!
Der Empfang?
Der Wahnsinn. Am Flughafen rollten wir unter Wasserfontänen durch, wurden von tausenden Begeisterten empfangen, es war einfach wunderbar.
Was haben Sie in den Tagen danach gemacht?
Was wohl? Die Zeit genossen und gefeiert.
In den Jahren danach lief es für Sie nicht mehr so rund.
Das ist so. Das Abenteuer in Russland war nach 9 Spielen vorbei, das war eine spezielle Erfahrung. Es gibt ja sehr wenige nordamerikanische Coaches, welche eine Chance in der KHL erhalten. Es war ein mutiger Schritt und ich wollte mich dieser Herausforderung stellen. Mit Kloten erreichten wir die Playoffs, was eine ansprechende Leistung war. Später wurde die Strategie unter neuen Besitzern umgekrempelt. Das Scheitern mit Mannheim in der ersten Playoffrunde war eine bittere Enttäuschung. Wir spielten eine sehr starke Qualifikation und belegten den 2. Platz. Leider scheiterten wir im Viertelfinal im 7. Spiel in der Overtime. Im zweiten Jahr wurde ich entlassen, als die Mannschaft auf dem fünften Platz lag. Habe ich alles richtig gemacht? Bestimmt nicht. Solche Erfahrungen machen einen stärker, besser, erfahrener. Als Trainer musst du auch mit einer Entlassung klarkommen, das gehört zum Geschäft.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Ich bin offen für eine neue Herausforderung. Ich geniesse jetzt ein wenig Abstand und freue mich mit frisch geladenen Batterien wieder ein Team zu übernehmen.