Patrick Fischer, wie oft haben Sie noch an den 20. Mai 2018 und den im Penaltyschiessen verlorenen WM-Final gegen Schweden zurückgedacht?
Patrick Fischer: Das ist jetzt schon recht weit weg. Klar, in den ersten Wochen wurde man oft darauf angesprochen und logischerweise ist man dann gleich wieder bei diesem Moment. Und du bist dir wieder bewusst, wie nahe wir dran waren an diesem Weltmeistertitel. Gleichzeitig ist es auch eine Riesen-Motivation. Wir wissen, dass wir nahe dran sind. Wenn wirklich alles zusammenpasst, können wir ein Ziel, das für viele Jahre als unrealistisch eingestuft wurde, erreichen.
Als wir vor einem Jahr ein Interview mit Ihnen führten, war die erste Frage, ob Sie sich bewusst seien, dass Sie ein WM-Misserfolg den Job kosten würde. Wie viel hat sich für Sie mit dem Silber verändert?
Die Situation ist jetzt anders. Wir waren damals angeschlagen. Wir wussten, wir wollen uns für das Versagen bei den Olympischen Spielen revanchieren – und da ging es nicht nur um meine Person. Ein negativer Druck war da. Ich wusste, wenn wir verlieren, bin ich weg. Jetzt haben wir einen positiven Druck, bei dem die Leute wieder mehr Erwartungen haben. Etwas zu bestätigen ist schwieriger. Unser Ziel ist es, eine WM zu spielen, an der wir unter die Top 8 kommen. Dann hätten wir das dreimal hintereinander geschafft. Den Prozentsatz, die Viertelfinals zu erreichen, der in den letzten Jahren bei 50 Prozent lag, wollen wir in den nächsten Jahren auf 75, 80 Prozent hochschrauben. Dann können wir sagen: Wir gehören absolut zur Weltspitze.
Sie haben viel erlebt. Erzählen Sie zum Beispiel Ihren Spielern, wie das war, als Sie vor zehn Jahren erstmals nach Peru zu den Shipibo-Indianern reisten oder als Sie Pokerturniere spielten?
Diese Lebensphase war noch nie ein Thema bei uns. Doch es gibt viele Situationen, die ich im Sport erlebt habe, aus denen ich erzählen kann. Und ich kann mich in Einzelgesprächen gut in den Spieler hineinversetzen, weil ich das gleiche selbst erlebt habe. Auch ich war mal als junger Spieler in der Nati, später war ich Stammspieler. Das hilft mir schon.
Wenn Sie an die Zeit gleich nach Ihrer Karriere zurückdenken: Wie stark hat Sie diese Phase geprägt? War es eine Selbstfindung? Haben Sie sich da gefragt: Wer bin ich jetzt, da ich kein Eishockeyspieler mehr bin?
Ja, definitiv. Ich war als Spieler ein rechter Rebell. Ich hatte Regeln nicht so gerne. Ich wusste, dass ich dazu lernen muss, wenn ich coachen will. Es war wichtig, dass ich diesen Reifeprozess durchgemacht habe und auch herausgefunden habe, was mir gefällt und was ich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten machen will.
Sie wussten zunächst nur, dass Sie nicht mehr spielen wollen?
Ja, obwohl man in Zug meinen Vertrag um drei Jahre verlängern wollte. Es war eine essenzielle Frage für mich, was ich will. Darum hat mich diese Zeit schon geprägt. Das hat mir auch Gelassenheit gegeben. Ich habe einen gewissen Abstand gewonnen. Als Spieler war ich jeweils noch lange enttäuscht oder gekränkt, wenn wir nicht gewonnen haben. Jetzt kann ich es besser verarbeiten. Das Leben war für mich früher nur Hockey. Und auch heute ist das Hockey natürlich ein sehr grosser und bedeutender Teil meines Lebens. Aber ich habe meinen Horizont erweitert.
Können Sie erzählen, wie es damals zu dieser Veränderung kam?
Ich habe mich mit mir selbst auseinandergesetzt, habe mich gefragt: Warum reagiere ich auf gewisse Dinge? Warum habe ich diese Stärken und Schwächen? Es war eine Bewusstseins-Arbeit. Je besser man sich selbst kennt, desto mehr wächst die Beziehung und das Vertrauen zu sich selbst und man kann bessere Entscheidungen treffen. Ich finde, jeder Mensch sollte sich mit der eigenen Persönlichkeit auseinandersetzen, herausfinden, was er im Leben will oder nicht will – aber auf ehrliche Weise und nicht aus der Perspektive dessen, was die Leute, was die Gesellschaft von einem verlangt. Ich bin einer, der auf sein Inneres hört.
Und das haben Sie im Regenwald von Peru gelernt?
Ja. Ich wusste, dass ich es nie allen recht machen kann. Ich sagte mir: Wichtig ist, dass es für mich stimmt und dass ich hinter dem stehen kann, was ich mache und entscheide. Dadurch ist eine gewisse Gelassenheit aufgekommen. Ich gehe sehr viel in die Natur, wenn ich Stress habe. Ich habe manchmal einen sehr hitzigen Job. Sobald ich in den Wald gehe, kann ich runterfahren. Das tut meinem ganzen System gut. Und dann kann ich auch klarer denken und bessere Entscheidungen treffen.
Ist es richtig, wenn man Sie als ein Kind des Glücks beschreibt, als jemanden, dem vieles im Leben leicht gefallen ist und dem niemand böse sein kann?
Es scheint so. Mein Übername war früher «Ferris Bueller», angelehnt an die Komödie «Ferris macht blau» und die Figur, die nie erwischt wurde. Und ich war auch kein Kind von Traurigkeit. Ich habe meine Jugend genossen. Und ich hatte sicherlich Glück. Ich habe sensationell gute Eltern, super Geschwister, einen wunderbaren Sohn. Ich habe Glück mit der Gesundheit und in der Liebe. Ich habe viele schöne Sachen erlebt. Ich habe meinen Sport und meine Leidenschaft zum Beruf machen können. Ich habe für mich ein absolutes Traum-Leben. Und ich bin mir dessen auch bewusst und dankbar dafür. Ich weiss, dass es auch viel Leid auf unserem Planeten gibt.
Sie finden schnell den Draht zu Menschen. So wohnten sie einst beim grossen Wayne Gretzky.
Ja. Ich glaube, das habe ich von meinem Mami. Sie ist auch sozial und offen. Mich interessieren die Menschen. Wayne Gretzky hat es wahrscheinlich gefallen, dass ich ihn ganz normal behandle wie jeden anderen auch.
Erzählen Sie uns vom grössten Hockeyspieler aller Zeiten, der 2006/07 in Phoenix ihr Trainer war. Wie ist Gretzky?
Sensationell. Trotz seines riesigen Erfolgs und seiner Berühmtheit ist er eine ganz normale Person, wie Sie und ich. Er ist ein absolut sympathischer Typ, der einen guten Humor hat und sehr offen ist. Er ist äusserst bescheiden. Und natürlich war er ein unglaublicher Hockeyspieler.
Haben Sie noch Kontakt zu ihm?
Ja, ab und zu. Wenn ich nach Nordamerika reise, melde ich mich bei ihm. Wir haben uns immer wieder mal gesehen.
Jetzt verlieren Sie nach dieser WM einen Ihrer Assistenten. Was sagen Sie zu Christian Wohlwend, der Headcoach in Davos wird?
Es freut mich sehr für ihn. Ich weiss, dass für ihn ein Traum in Erfüllung geht. Für uns ist es ein harter Schlag. Wenn wir auch an dieser WM die Viertelfinals erreichen, wären wir in der Konstellation mit Tommy Albelin, Wohlwend und mir an sechs A- und U20-WMs hintereinander im Viertelfinal gewesen. In Richtung Heim-WM im nächsten Jahr werde ich «Wolwo» vermissen, ganz klar. Zumal er nicht nur ein sehr guter Coach, sondern auch ein sehr guter Freund von mir ist.
Mit Wohlwend und Luca Cereda stehen auch nächste Saison nur zwei Schweizer in der National League an der Bande.
Ein leidiges Thema. Die Klubs müssen da unbedingt umdenken. Wenn wir unser Hockey weiterbringen wollen, müssen wir jetzt Schweizer Trainer in den höchsten Ligen zum Zug kommen lassen. Warum? Die ausländischen Trainer kehren meist wieder in ihre Heimat zurück, wenn sie 55, 60 Jahre alt sind. So geht viel Wissen verloren. Ein Schweizer Trainer hingegen kehrt im Alter zu seinem Stammklub zurück und trainiert Junioren. Doch solange wir gar keine Plattform für Coaches haben, gibt es auch für viele Spieler, die gerne Trainer werden würden, keine Perspektive.
Manchmal fehlt es aber auch am Mut und Willen, den harten Weg zum Trainer auf sich zu nehmen.
Ja, aber sie sehen einfach das Resultat. In der National League und Swiss League haben wir nur vier Schweizer Trainer. In Finnland sind es 100 Prozent, in Tschechien 100 Prozent, in Schweden 100 Prozent, in Russland vielleicht 95 Prozent eigene Coaches. Bei uns sind es etwas über 16 Prozent. Wenn wir uns mit den Top-Nationen vergleichen, haben wir in diesem Bereich das grösste Potenzial.
Seit Dezember 2015 ist Patrick Fischer (43) Nati-Trainer und holte 2018 in Kopenhagen, wie schon 2013 als Assistent von Sean Simpson, WM-Silber. Davor stand er während zweieinhalb Saisons beim HC Lugano an der Bande. Als Spieler war er bei Zug, Lugano (Meister 1999), Davos (Meister 2002), den Phoenix Coyotes und SKA St. Petersburg aktiv und bestritt 183 Länderspiele. Der Zuger hat einen Sohn aus erster Ehe und eine Tochter.
Seit Dezember 2015 ist Patrick Fischer (43) Nati-Trainer und holte 2018 in Kopenhagen, wie schon 2013 als Assistent von Sean Simpson, WM-Silber. Davor stand er während zweieinhalb Saisons beim HC Lugano an der Bande. Als Spieler war er bei Zug, Lugano (Meister 1999), Davos (Meister 2002), den Phoenix Coyotes und SKA St. Petersburg aktiv und bestritt 183 Länderspiele. Der Zuger hat einen Sohn aus erster Ehe und eine Tochter.