Marcel Jenni stolz trotz WM-Aus
«Noch im November sahen wir kaum einen Puck»

Die U20-Nati brachte Topfavorit Schweden in den WM-Viertelfinals an den Rand einer Niederlage. Musste sich aber nach heroischem Kampf in der Verlängerung 2:3 geschlagen geben. Am Tag danach paart sich der Frust mit Stolz.
Publiziert: 03.01.2024 um 20:53 Uhr
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Seit dieser Saison ist Marcel Jenni Trainer der U20-Nati.
Foto: AFP
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Marcel AllemannReporter Eishockey

Marcel Jenni, was überwiegt am Tag danach? Noch immer der Frust oder doch der Stolz, die hochfavorisierten Schweden an den Rand einer Niederlage gebracht zu haben?
Es ist beides. Es schmerzt schon, wie wir ausgeschieden sind. Die Chance, diese dicke Überraschung zu schaffen, war greifbar. Aber gleichzeitig bin ich auch enorm stolz auf die Mannschaft. Vor allem auch, wenn ich an den ganzen Prozess denke. Als wir noch im November gegen Schweden spielten, sahen wir kaum einen Puck.

Über die Strafe von Dionicio in der Verlängerung haben Sie sich fürchterlich aufgeregt. Wie sehen Sie das Ganze einen Tag später?
Diese Strafe in der Verlängerung zu pfeifen, war schon sehr kleinlich, und das haben die Schiedsrichter danach auch selbst eingesehen.

Ausgerechnet den beiden Nachnominieren Meile und Hornecker, die am 30. Dezember noch mit Basel und Winterthur in der Swiss League spielten, gelangen nach 0:2-Rückstand die Schweizer Tore. Sind Sie sich da wie in einem Märchen vorgekommen?
Es war sehr hart für die beiden, denn sie waren schon in Schweden und fielen dann dem letzten Cut zum Opfer. Wie sie dann bei ihrer Rückkehr aufgetreten sind, hat mich schwer beeindruckt und zeugt von Charakter. Sie hatten vielleicht nicht mehr ganz den Druck wie noch zuvor, wollten aber zeigen, was sie können, und spielten ganz stark. Dass ausgerechnet sie der Mannschaft mit Toren helfen konnten, hat mich mega gefreut. 

Was hat letztlich zur dicken Überraschung gefehlt?
Das Siegestor in der Verlängerung. Sonst ist alles aufgegangen. Man muss aber auch sehen, wo diese Spieler herkommen. Bis auf einen spielen alle Schweden in ihrer Topliga. Bei uns sind es drei, wovon einer jeweils nur sehr wenig Eiszeit erhält. Wie sich unsere Mannschaft zu einer Einheit entwickelt und im wichtigsten Spiel abgeliefert hat, war für mich als Trainer schön zu sehen. Jetzt geht es darum, den nächsten Schritt zu machen.

Marcel Jenni persönlich

Marcel Jenni (49) gehörte während seiner Aktivzeit zu den spektakulärsten Schweizer Stürmern. 1993 wechselte der Zürcher von GC zu Lugano, wo er sieben Jahre blieb, ehe er sein Glück mit nachhaltigem Erfolg in Schweden bei Färjestad suchte. Noch heute wird er dort als Klubikone verehrt. 2005 ging es für ihn in die Schweiz zurück, Jenni spielte bis zu seinem Karriereende als 41-Jähriger für Kloten. Er bestritt für die Schweiz 196 Länderspiele, nahm an zwei Olympischen Spielen und zehn WM-Turnieren teil. In der Folge schlug Jenni eine Trainerkarriere ein, zunächst im Nachwuchs des EV Zug, ehe er 2020 zum Verband weiterzog. Er übernahm die U18 als Headcoach und stieg auf diese Saison zur U20 auf.

Marcel Jenni (49) gehörte während seiner Aktivzeit zu den spektakulärsten Schweizer Stürmern. 1993 wechselte der Zürcher von GC zu Lugano, wo er sieben Jahre blieb, ehe er sein Glück mit nachhaltigem Erfolg in Schweden bei Färjestad suchte. Noch heute wird er dort als Klubikone verehrt. 2005 ging es für ihn in die Schweiz zurück, Jenni spielte bis zu seinem Karriereende als 41-Jähriger für Kloten. Er bestritt für die Schweiz 196 Länderspiele, nahm an zwei Olympischen Spielen und zehn WM-Turnieren teil. In der Folge schlug Jenni eine Trainerkarriere ein, zunächst im Nachwuchs des EV Zug, ehe er 2020 zum Verband weiterzog. Er übernahm die U18 als Headcoach und stieg auf diese Saison zur U20 auf.


Es gab an dieser WM allerdings auch ein 3:11 gegen die USA.
Klar, das Resultat war zu hoch. Aber da ging auch praktisch jeder Schuss rein. Die USA sind unglaublich gut, aber trotz dieses 3:11 haben wir noch nie so viele Chancen gegen sie kreiert wie in diesem Spiel. Noch auf U18-Stufe schafften wir es gegen diesen Gegner jeweils kaum über die Mittellinie. Hinten reinstehen und dann vielleicht drei, vier Gegentore weniger zu kassieren, ist keine Option, solange ich Coach bin. Denn so wird man nicht besser.

Wie viele Spieler dieser Mannschaft werden dereinst zu Topspielern auf Toplevel?
Einen Prozentsatz zu nennen, ist schwierig, das hängt von so vielen Faktoren ab. Aber wenn ich nur schon an unsere Leadergruppe mit den 2004er-Jahrgängen denke, mit Spielern wie Miles Müller, Dionicio oder Taibel, dann bringen die absolut das Potenzial mit, um eines Tages auch in der A-Nati zu spielen.

Etwa die Hälfte des Kaders war mit Jahrgängen 2005 und 2006 noch jünger. Erwarten Sie, dass die Schweiz im nächsten Jahr ein noch stärkeres WM-Team stellt?
Das wird uns zu hundert Prozent helfen. Aber noch wichtiger wird sein, wie die Spieler den Sommer nutzen. Und am wichtigsten: in welchen Gefässen sie spielen und wie viel Eiszeit sie erhalten. Wenn sie noch Junioren-Hockey spielen, wird es schwierig. Wenn sie auf Profistufe spielen und auch wirklich Eiszeit erhalten, sieht es besser aus.

Das grosse ZSC-Talent Daniil Ustinkov erhielt im Viertelfinal plötzlich keine Sekunde Eiszeit mehr. Was war da los?
Wir hatten letztlich sechs Verteidiger, die im Reifeprozess etwas weiter sind als er. Daniil ist mit Jahrgang 2006 noch sehr jung und braucht noch etwas Zeit.

Ihr Vertrag läuft noch bis 2025. Haben Sie danach Ambitionen, wie Ihre Vorgänger Bayer, Paterlini oder Wohlwend im Klub-Eishockey unterzukommen?
Im Moment fühle ich mich pudelwohl beim Verband und mit der U20-Nati. Ich habe jetzt die erste U20-WM hinter mir und freue mich schon auf die nächste mit all den Prozessen. Eines Tages für einen Klub zu arbeiten, kann ich mir zwar durchaus vorstellen, aber ernsthaft Gedanken dazu habe ich mir noch nicht gemacht.

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