Donnerstag, 11. April 2019: Es ist ein emotionaler Moment, den Janine Alder tief berührt. In einem kleinen Büro des Meilahti-Spitals in Helsinki (Fi) schaut sich die Nati-Torhüterin das WM-Spiel der Schweizerinnen gegen Russland an. Ihre Teamkolleginnen tragen alle auf dem Helm eine aufgeklebte Nummer 1 – ihr zu Ehren.
Das Drama beginnt vier Tage zuvor: Die Schweiz hat soeben ihr drittes WM-Gruppenspiel 0:8 verloren gegen die USA. Alder hat 49 von 57 Schüssen abgewehrt. Die Torhüterin sitzt erschöpft in der Garderobe, hört die Rede von Trainerin Daniela Diaz, spricht mit ihren Mitspielerinnen. «Da fühlte ich mich noch gut.»
Das ändert sich, als Alder in den Bus steigt. «Mir wurde schlecht. Ich dachte einfach, ich brauche etwas zu essen.» Kurz vor Mitternacht im Teamhotel angekommen, entscheidet sie sich, vor dem Essen noch rasch zu duschen, weil ihr dafür in der Garderobe vor der Abfahrt die Zeit fehlt. Im Zimmer verschlechtert sich der Zustand der Nati-Spielerin dann drastisch. «Meine periphere Sicht und das Gehör waren plötzlich eingeschränkt. Es wurde immer schlimmer. Ich war wie in Trance.»
Die Kontrolle verloren
Die Zürcher Oberländerin schafft es irgendwie noch in die Lobby runter, wo ihre Teamkolleginnen sind. Alder holt sich am Büffet etwas. «Lachs mit Reis.» Und setzt sich geistesabwesend und alleine abseits an einen Tisch. Mitspielerin Isabel Waidacher (25) bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Und holt den Teamarzt. Kaum setzt der sich zur Torhüterin, verschlechtert sich ihr Zustand rapide. «Dann begann der Anfall.»
Ein so genannter «Status epilepticus» (s. Box unten), eine Form eines epileptischen Anfalls, der ungewöhnlich lange andauert und auch lebensbedrohlich sein kann. «Mein Körper begann sich langsam zusammenzuziehen. Ich verlor komplett die Kontrolle», erinnert sich Alder. Das Spezielle: «Im Kopf war ich voll da, konnte mich aber nicht bemerkbar machen.»
Die 24-jährige bekommt mit, wie die Rettungskräfte alarmiert werden und eintreffen, wie ihre besorgten Eltern dazu kommen. Wie sie in deren Beisein intubiert werden muss. Hat sie in diesem Moment Panik oder Todesangst? «Nein, ich war eher verwirrt und schämte mich für die Aufmerksamkeit und den Aufwand, den ich den Leuten um mich herum bereite.» Das ganze Ausmass erkennt die Nati-Spielerin zu diesem Zeitpunkt nicht.
Keine bleibenden Schäden
Ihr Glück: Das Meilahti-Spital mit einem neurologischen Zentrum ist nur zehn Minuten vom Teamhotel entfernt. «Den Spezialisten dort habe ich zu verdanken, dass ich keine bleibenden Hirnschäden davongetragen habe.» Die finnischen Ärzte reagieren schnell, versetzen die Sportlerin ins künstliche Koma, um die Hirnströme zu beruhigen.
Als sie vier Tage später auf der Intensivstation wieder aufwacht, glaubt sie, es ist nur ein Tag vergangen. Dass sich Alder aber sofort an alles erinnern kann, ans Geschehene, die Spiele, ihren Aufenthaltsort, und dass sie ihren Vater erkennt, ist für die Spezialisten ein gutes Zeichen. Die Ärzte erklären ihr, was in ihrem Hirn in etwa abgelaufen ist. «Sie beschrieben es als Muskelkater des Hirns, der nun die Funktionen für eine Zeit lang verzögert.» Und die Ursache für den Anfall? «Vermutlich eine Kombination daraus, dass ich zu viel Wasser getrunken habe, nur Hahnenwasser ohne Elektrolyte. Dann schwitzte ich viel. Der Sodium-Wert im Körper war sehr niedrig.» Die Erleichterung: Alder hat keine Epilepsie.
Belastender für ihren Körper ist die Lungenentzündung, die sie aufgrund der Intubation erleidet. Die Hockeyspielerin schafft kaum den Weg vom Bett zur Toilette und wieder zurück. «Innert weniger Tage bin ich von einer Top-Athletin zu einem Pflegefall geworden.»
Schreiben als Therapie
Die extremsten Momente für sie? «Der Moment des Anfalls, weil ich gerne die Kontrolle habe, sie aber total verlor. Die Hustenanfälle auf der Intensivstation, weil ich das Gefühl hatte, ich ersticke. Und die Ungewissheit, ob mein Hirn wieder normal funktionieren wird und ich als Torhüterin zurückkehren kann.»
Alder tut es. Im Juli steht sie in einem Goalie-Camp erstmals wieder auf dem Eis. Ihr Match-Comeback gibt sie letzte Woche mit ihrem Uni-Team St. Cloud State in Minnesota, wo sie im letzten Jahr Journalismus und Psychologie studiert. Ein halbes Jahr nach dem dramatischen Vorfall geht es ihr wieder gut.
Doch die Erfahrungen sind prägend. Deshalb hat sie Alder im Buch «Der erste Gedanke» verarbeitet. Und es primär ihren Eltern gewidmet. «Es tat mir so Leid für sie, dass sie dies durchstehen mussten. Das Schreiben war eine gute Therapie.» Wie auch die Gespräche, die sie mit ihnen sowie ihren Teamkolleginnen führt. Es sind teils aufwühlende Treffen mit ihren Mitspielerinnen, die den Anfall miterlebt haben. «Es war sehr emotional für mich, zu hören, wie sie mit mir gelitten haben. Dass ihre Sorge war, dass ich nicht mehr aufwache.»
Die Frage, wieso ich, hat sich Alder nie gestellt. Die nach dem Warum schon. Darum hadert die Studentin nicht mit dem Schicksal, weil sie das Positive sieht und sagt: «Ich habe daraus gelernt, dass man sich auch mal eine Pause gönnen muss. Ich habe von meinem Körper immer viel abverlangt, ohne auf ihn zu hören.» Der Anfall habe ihr die Augen geöffnet. Alder ist eine Frau, die sich eher schwer damit tut, zu entspannen. Auch im Kopf. Sie ist eine Denkerin. «Man kann aber nicht alles planen im Leben. Nun versuche ich, im Jetzt zu sein.»
Normale Epilepsie-Anfälle klingen nach rund zwei Minuten von selbst ab. Nicht so ein «Status epilepticus», der aussergewöhnlich lange andauern und bei dem es zu Komplikationen kommen kann. Sportmediziner Philipp Sacherer beschreibt den «Status epilepticus» als eine Überaktivität im Gehirn, die eine Stoffwechsel-Aktivität in Gang setzt. «Der Anfall kann dann lebensbedrohlich werden, wenn er die Atmung beeinträchtigt», sagt der Teamarzt des EHC Kloten. Gefährlich sei auch, dass man einen «Status epilepticus» in allen Lebenslagen plötzlich bekommen kann. In den meisten Fällen kann der Anfall mit intravenösen Medikamenten durchbrochen werden. Ursachen gibt es laut Sacherer verschiedene, man finde sie auch nicht immer heraus. «Bei Jugendlichen kann beispielsweise Stress oder Schlafmangel auslösend wirken.»
Normale Epilepsie-Anfälle klingen nach rund zwei Minuten von selbst ab. Nicht so ein «Status epilepticus», der aussergewöhnlich lange andauern und bei dem es zu Komplikationen kommen kann. Sportmediziner Philipp Sacherer beschreibt den «Status epilepticus» als eine Überaktivität im Gehirn, die eine Stoffwechsel-Aktivität in Gang setzt. «Der Anfall kann dann lebensbedrohlich werden, wenn er die Atmung beeinträchtigt», sagt der Teamarzt des EHC Kloten. Gefährlich sei auch, dass man einen «Status epilepticus» in allen Lebenslagen plötzlich bekommen kann. In den meisten Fällen kann der Anfall mit intravenösen Medikamenten durchbrochen werden. Ursachen gibt es laut Sacherer verschiedene, man finde sie auch nicht immer heraus. «Bei Jugendlichen kann beispielsweise Stress oder Schlafmangel auslösend wirken.»