In Peru fand er zu sich selbst
Fischers langer Weg zum Erfolg führte über den Dschungel

Die einen sehen ihn als Glücksfall für die helvetische Eishockeykultur, die anderen verweigern ihm wegen seiner Unerfahrenheit kategorisch die Gefolgschaft. Nati-Coach Patrick Fischer (42) spaltet die Geister.
Publiziert: 20.05.2018 um 15:19 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 02:05 Uhr
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An Patrick Fischer scheiden sich die Geister.
Foto: KEY
Dino Kessler aus Kopenhagen

Nach dem Olympia-Debakel von Pyeongchang wird er für die offensive Kommunikation seiner Medaillenträume heftig kritisiert. SCB-Boss Marc Lüthi lässt deutliche Worte folgen: «Fischer hat viele Stärken, nachweisbar auch viele Schwächen, weil ihm zum Teil Ausbildungen fehlen.»

Andere Klub-Exponenten schlagen damals sanftere Töne an, lassen im Subtext allerdings auch das mitschwingen, was Fischer kurz vor dem WM-Start im SonntagsBlick-Interview selbst zu Protokoll gibt: «Ich bin mir bewusst, dass wir liefern müssen. Als Trainer wird man an Resultaten gemessen und wenn die ausbleiben, werden Konsequenzen gezogen.»

Rückblende. Fischer wächst als jüngstes von drei Kindern von Walter und Vreni Fischer im Zuger Herti-Quartier auf. Schwester Sandra ist elf Jahre älter, Bruder Marco drei. Der Vater arbeitet bei der amerikanischen Firma Eastman Chemicals in der Chefetage und ist nebenbei beim EV Zug für die Betreuung des Sportpersonals zuständig. Die Mutter schmeisst den Haushalt und nebenbei Bridge-Turniere. Walter nimmt die Buben mit zum Fischen. Geht wohl nicht anders. Im gefrorenen Aggregat­zustand ist ihnen das Wasser allerdings noch etwas lieber. Die Distanz zum Hertistadion ist kurz, der Weg zum EVZ darum nur logisch.

Patrick Fischer ist schon als kleiner Bub ein Kind des Glücks

Patrick Fischer macht beim EVZ als Stürmer Karriere. Beim einzigen Meistertitel 1998 ist allerdings nur Bruder Marco mit dabei: Der Jüngere ist im Jahr zuvor nach Lugano gezogen. In der Nationalmannschaft debütiert er schon mit 18 Jahren, Trainer Hardy Nilsson bietet damals einen Block U20-Junioren für den Iswestija-Cup in Moskau auf.

Beim EVZ lanciert Fischer seine Karriere.
Foto: TOTO MARTI

Fischer ist schon als kleiner Bub ein Kind des Glücks. Manches fällt ihm in den Schoss, böse sein kann ihm niemand über längere Zeit, Zweifel räumt er mit seinem ansteckenden Lachen aus der Welt. «Der kann alles deichseln», wird ihm nachgesagt. Auch im Kreis der Profis findet er mit seinem spontanen Humor und der scharfen Zunge sofort Anschluss und Freunde. Bei Teamkollegen spaziert er schon mal unangemeldet in die Wohnung, bedient sich im Kleiderschrank und setzt sich dann frisch umgezogen in die Runde. Für einen Jux ist er immer zu haben, der eine oder andere Zapfenstreich verstreicht ungenutzt.

Auf dem Eis reift er zur natio­nalen und internationalen Spitzenkraft. Er gewinnt mit Lugano (1999) und Davos (2002) Meistertitel, steht 184 Mal für die Nationalmannschaft auf dem Eis, ist bei Weltmeisterschaften (6) und Olympischen Spielen (2) präsent. 2006 dann der Wechsel in die beste Liga der Welt. In der NHL kommt er für Phoenix auf 27 Spiele (4 Tore, 6 Assists), wird von Wayne Gretzky trainiert, aber von einem Leistenbruch frühzeitig auf Eis gelegt. Ein Jahr später versucht er sich in der KHL, dreht Russland aber nach fünf Spielen für St. Petersburg den Rücken zu und geht wieder zum EVZ.

Mit 33 tritt er im Frühling 2009 vom Leistungssport zurück. «Ich hatte genug.» Eigentlich wollte er schon zwei Jahre vorher andere Ziele verfolgen, sagt er später. «Mit dem Herzen war ich nicht mehr dabei.»

Was dann folgt, ist eine Reise in eine andere Welt, eine 18 Monate dauernde Suche nach sich selbst. Poker spielen, Yoga, Tai-Chi. Die Antwort findet er im Dschungel von Peru bei den Shipibo-Indianern.

In Peru unterstützt er die Shipibo-Indianer.
Foto: REUTERS

Nicht alle akzeptieren die plötzliche Abkehr vom getakteten Lebensstil

Zusammen mit Bruder Marco kauft er Land im Osten Perus, errichtet ein Camp, um das Urvolk und seinen Lebensraum zu schützen. Und um zu erfahren, dass das Leben nicht von Angst, Neid oder Missgunst geprägt sein muss. «Indigene Kulturen haben mich schon immer fasziniert.» Akzeptiert wird seine plötzliche Abkehr vom getakteten Lebensstil nicht von allen. Im beschaulichen Zug machen Gerüchte die Runde, das Verständnis für die Fischer-Brüder und ihre humanitären Aktionen im fernen Peru hält sich in Grenzen. Aber Fischer bleibt auch als Erwachsener einer, dem die Herzen früher oder später zufliegen. «Es wird kommen, wie es kommen muss. Egal wie, es wird irgendwie gut sein.»

Den Dschungel wird er nie mehr aus den Augen verlieren. Die Reise nach Peru und das Leben unter den Shipibos sind für ihn mittlerweile Fixpunkte im Kalender.

Im Sommer 2010 führt ihn die Reise aber erstmal zurück nach Lugano. Dort lebt sein Sohn Kimi (16) aus erster Ehe. Beim Hockeyklub findet er eine Anstellung im Nachwuchsbereich und darf als Assistent des damals 61-jährigen Mike McNamara die Elite-Junioren betreuen. Als Philippe Bozon Ende November 2010 entlassen wird, übernimmt das Duo interimistisch die erste Mannschaft. Fischer ist zurück in der NLA. Und auf dem Sprungbrett. Die Saison 2013 nimmt er bereits als Headcoach des HC Lugano in Angriff.

Nur Monate nach dem Silber-Coup von Stockholm. Da ist er im Coaching-Team von Sean Simpson und Colin Muller für gute Laune zuständig.

Ein rasanter Aufstieg mit Tücken. Was Lüthi nach Olympia 2018 so deutlich anspricht, entbehrt nicht jeglicher Grundlage: Reich an Erfahrung ist Fischer nicht. «Natürlich bin ich kein erfahrener Trainer, wie könnte ich das nach den wenigen Jahren auch sein?»

Eine Ausgangslage, die sich in Kopenhagen gedreht hat. Fischer hat ein internationales Turnier mehr auf dem Kerbholz. Er hat die Nati in der K.-o.-Phase zum Erfolg über eine Top-Nation geführt. Nun darf auch die Öffentlichkeit von einer Medaille träumen.

Er verschafft sich den Respekt der Kritiker, weil er auch dann nicht von seinem Kurs abweicht, als er hart im Gegenwind steht. «Als Eishockey­nation eine eigene Identität zu entwickeln, ist ein toller Plan. In der Praxis ist das aber nur machbar, wenn man bei Rückschlägen nicht sofort die Flinte ins Korn wirft.»

Sein Privatleben hat er mittlerweile wieder nach Zug verlegt. In die Nähe von Eltern und Freunden. Und ein kurzer Arbeitsweg in die Zentrale des Schweizer Eishockeys in Glattbrugg ZH. Spätestens nach den märchenhaften Tagen von Kopenhagen ist der Schweizer Fischer als Nati-Trainer keine Verlegenheitslösung mehr.

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