Ein steiniger Weg. So beschreibt Mark Streit den Verlauf seiner beispiellosen Karriere. Nie verloren hat der 42-Jährige dabei seinen Ehrgeiz und Willen, Herausforderungen zu meistern und Rückschläge wegzustecken. Sowie den Optimismus und die Überzeugung, dass er seine Ziele erreichen und Träume verwirklichen kann. Nur zu gerne ging der NHL- und Nati-Verteidiger als Leader und als Captain voran, weil er das Eishockey und seine Leistung allem unterordnete – ohne seine Bodenständigkeit zu verlieren.
Streit ordnet sportliche Meilensteine ein, liefert seine ehrlichen Gedanken dazu. Er schildert unglaubliche Anekdoten, schreibt über unvergessliche Erlebnisse. Und immer wieder betont er die Wichtigkeit seiner Familie auf dem Weg zum Stanley-Cup-Sieg, die ihm stets den nötigen Halt gab. Er legt Briefe an seine Eltern ebenso offen wie Verträge inklusive Lohnsummen. Nachfolgend Passagen aus drei Kapiteln:
Der Captain
Mark Streit führte die Schweizer Nati sowie die ZSC Lions als Captain an. 2011 schrieb der Star-Verteidiger Geschichte: Die New York Islanders ernannten ihn zum ersten Schweizer Captain in der NHL.
«Ich bin in die Rolle des Leaders hineingewachsen. Voraussetzung Nummer eins dafür: Man muss ein Teamplayer sein, ein Reisser, der andere inspirieren kann. Nummer zwei: Man muss als Vorbild taugen aufgrund dessen, wie man trainiert und die Prioritäten setzt, auch jenseits des Eises, denn der Sport muss wirklich alle Entscheidungen leiten. Voraussetzung Nummer drei: Wer in Schlüsselsituationen auf dem Eis stehen will, muss seine Leistung punktgenau abrufen können. Ein Leitwolf wird man nicht über Nacht. (...) Zum ersten Mal Captain wurde ich Anfang 2002, als sich Ralph Krueger, Trainer der Schweizer Nati, für mich entschied. Bei einem meiner ersten Turniere, den Olympischen Spiele in Salt Lake City, kam es zu einem Vorfall. Wir hatten die ersten beiden Spiele verloren, so dass es unmöglich war, ins Hauptturnier zu kommen. Im anschliessenden Mannschaftsmeeting lautete der Tenor: Wir können es nicht mehr ins Hauptturnier schaffen, aber wir wollen bestmöglich abtreten. Zwei Kollegen (Reto von Arx, Marcel Jenni, die Red.) haben allerdings ihren eigenen Weg gewählt und sind in den Ausgang, statt sich vorzubereiten und auszuruhen. Am nächsten Tag im Training ist ihr nächtlicher Ausflug aufgeflogen und sie wurden nach der durchzechten Nacht wegen unsportlichen Verhaltens nach Hause geschickt. Ich, gerade mal 24 Jahre alt, wurde ins kalte Wasser geworfen. Es fiel mir verständlicherweise schwer, mit der Situation umzugehen. Ich musste den Präsidenten, den Trainer und die anderen Spieler verstehen, kannte und mochte aber auch die beiden, die heimreisen sollten. Als Teamplayer, der mit allen in der Mannschaft befreundet war, sass ich zwischen den Stühlen. Der erste Grossanlass, den ich als Captain verantwortete, überforderte mich ein wenig.»
Unter Schweizer Flagge
Ein Ziel blieb Mark Streit in seiner eindrucksvollen Karriere verwehrt: Eine Medaille mit der Nationalmannschaft an einem grossen Turnier. Dennoch haben ihn die Erfahrungen mit der Nati geprägt – spielerisch wie menschlich.
«Ralph (Krueger, die Red.) hat mich als Trainer durch seine professionelle Einstellung und seinen klaren Weg geprägt. Seine Maxime lautete: Man muss sich auf das Wesentliche konzentrieren. Vor seiner Zeit haben die Spieler sicher auf dem Eis auch alles gegeben, aber es fehlte an der Einstellung jenseits des Eises.»
Seine 13. WM spielte Mark Streit 2015 in Tschechien als 37-Jähriger. Sie sollte mental zu einer grossen Herausforderung werden.
«Kurz vor den Titelkämpfen verstarb meine Grossmutter in ihrem einhundertsten Lebensjahr. Wir hatten ein enges Verhältnis, mein Grosi hatte einen bedeutenden Einfluss auf meine Entwicklung. Unmittelbar vor der Abreise zur WM fand die Beerdigung in Bern statt. Ich war unendlich traurig. Kurz nach unserer Ankunft erreichte mich die nächste Hiobsbotschaft: Mein Fitnesstrainer und Freund Harry Andereggen hatte in den Ferien in Costa Rica einen tödlichen Autounfall. Ich konnte die Tragödie nicht fassen! 15 Jahre lang hatten Harry und ich zusammen trainiert, vor allem im mentalen Bereich hat er mir viel beigebracht. Zu unseren Sommertrainings stiessen später auch Roman Josi und Yannick Weber. Beide waren ebenfalls mit der Nati nach Prag gereist, so dass ich mit meinen Gefühlen nicht alleine war. Es hat mir geholfen, über meine Trauer zu sprechen. Wir spielten keine wirklich gute WM und scheiterten im Viertelfinale.»
Teamgeist: Meine Zeit als Löwe
Mit den ZSC Lions wurde Mark Streit einmal Meister (2001). Aus dieser Zeit hat den Verteidiger vor allem der unvergleichliche Zusammenhalt im Team beeindruckt. Nachhaltig, denn auch zwei Jahrzehnte später zählen die Ex-Spieler Claudio Micheli, Edgar Salis, Mathias Seger und Michel Zeiter zu seinen Freunden, sie unternehmen zusammen Städtetrips.
«Nach einer anstrengenden Saison halte ich es für wichtig, nicht sang- und klanglos auseinander zu gehen, sondern einen gemeinsamen Schlusspunkt zu setzen. Darum unternahmen wir Mannschaftsreisen, meist an einen Badeort. Ich organisiere ganz gern und habe das oft mit zwei, drei anderen übernommen. So sind wir zum Beispiel mit 30 Mann nach Gran Canaria geflogen und hatten viel Spass an der Sonne. Manchmal habe ich richtige Events aus der Reise gemacht, indem ich kleine Feste plante oder Leibchen für alle drucken liess. Derartige Erlebnisse mit den Lions bleiben unvergesslich. Man hat gespürt, was für eine Einheit wir darstellten.»