Der Referent erzählt von seiner Hockeykarriere. Untermalt mit Fotos von Jubelposen, mit Bildern von seinen wichtigsten Toren. Er fragt die Zuhörer einer Versicherungsgesellschaft, die er mit seinem «lüpfigen» Walliser Dialekt längst in seinen Bann gezogen hat, was ihnen ins Auge sticht. Die Entschlossenheit in seinem Gesichtsausdruck, der Glaube an sich, Freude, Teamgeist, sind die Antworten.
Der Referent lächelt. Es ist Kevin Lötscher, einst grosse Zukunftshoffnung des Schweizer Eishockeys. «Emotionen bei Menschen auslösen zu können war mit ein Grund, weshalb ich Hockey spielte», sagt er. In der Vergangenheitsform. Denn profimässig Hockey spielen kann der 32-Jährige längst nicht mehr. Ein Unfall hat diesen Traum zerstört.
Der Kampf zurück ins Leben
Rückblende, Frühling 2011: Am 9. Mai, einem Montag, schiesst Lötscher bei seiner ersten WM mit der A-Nati gegen die USA zwei Tore, wird in Kosice (Slk) als bester Spieler ausgezeichnet. Trotzdem scheidet die Schweiz aus. Der damals 23-Jährige, der vom EHC Biel zum grossen SC Bern wechseln soll und den Durchbruch geschafft hat, kehrt ins Wallis zurück zu seiner Familie und geniesst die freie Zeit mit Freunden.
Bis zur schicksalshaften Nacht vom 13. auf den 14. Mai in Siders VS. Auf dem Heimweg vom Ausgang wird Fussgänger Lötscher von einer betrunkenen, erst 19-jährigen Autolenkerin angefahren (im SonntagsBlick). Die Wucht des Aufpralls schleudert das Hockeytalent damals 30 Meter durch die Luft. In einem Kiesbett einer Baustelle bleibt er mit schweren Kopfverletzungen liegen, schwebt in Lebensgefahr, wird im Spital ins künstliche Koma versetzt.
Sein Kampf zurück ins Leben beginnt. Für den Übergang von seiner Geschichte als Hockeyspieler zu jener des Menschen nach dem schrecklichen Unfall stellt Lötscher in seinem Referat ein Foto im Nati-Tenü neben eines, das ihn an vielen Schläuchen im Spitalbett zeigt. Darüber stehen die Worte «From hero to zero». Ein Held, der plötzlich nichts mehr kann.
Es ist unvorstellbar und extrem, wenn der einstige Hockeyprofi in seinem Referat beschreibt, wie er alles neu erlernen musste. Reden und Laufen. Wie er weder wusste, wie man Zähne putzt oder was man mit einem Teebeutel anstellt. Wie er im Rollstuhl sass, Windeln trägt. Seine Erzählungen berühren. Unweigerlich fragt man sich, wie ein Mensch, ein Sportler, mit diesem Schicksalsschlag umgehen kann.
Brutale Erkenntnis: Es reicht nicht mehr
Genau darüber will Lötscher in seinen Referaten sprechen. Sei es nun vor jungen Hockeyspielern oder erfahrenen Managern. Und dabei redet er nicht um den heissen Brei. Erzählt von der Entschlossenheit, wieder Hockey spielen zu wollen, «weil ich es mir sonst eines Tages vorgeworfen hätte, es nicht versucht zu haben». Von der schwierigen und brutalen Erkenntnis, dass es für die höchste Liga nicht mehr reicht, weil das Hirn zu langsam reagiert für die schnelle Sportart. Vom Entschluss im Januar 2014, die Karriere als 25-Jähriger definitiv zu beenden. Von seiner Flucht nach Südafrika, um dem Rummel um seinem Rücktritt zu entkommen.
Im «Legends Club» der Zuger Bossard-Arena ist es ganz still. Lötscher gewährt tiefe Einblicke in seine Seele. «Meine Persönlichkeit hatte sich schon nach dem Wechsel von Bern zu Ajoie in die Swiss League verändert. Ich wurde immer trauriger, verlor meine Lebensfreude.» Nach der Rückkehr aus seinen Ferien fällt Lötscher in ein Loch. «Ich hatte Depressionen, einen Zusammenbruch, musste mir Hilfe holen.»
Danach wird es ruhiger um ihn. Er kämpft sich mit Hilfe der IV ins Arbeitsleben zurück, jobbt als Gärtner und Verkäufer in einem Sportgeschäft. Zudem entschliesst sich Lötscher zu einer Ausbildung zum Ernährungsberater. Und hinterfragt seinen Weg immer wieder. «Ich habe jahrelang viel Scheisse und Extremes durchgemacht», erzählt er, «mir wurde klar, dass ich viel lieber diese Erfahrungen den Menschen weitergebe.»
Der Vater von zwei Söhnen gründet sein Label «Sorg ha». In seinen Referaten geht es um den Menschen, der sich ins Zentrum stellen und sich Sorge tragen soll. Für Lötscher sind die drei Bausteine Energie, Bewegung und Dynamik das Thema. Sowie die Familie und das Umfeld, die ihn in schwierigen Zeiten aufgefangen haben.
Der Unfallfahrerin verziehen
Lötscher selbst ist mittlerweile wieder voller Lebensfreude – und im Reinen mit sich. Dass er wieder und wieder über seinen Schicksalsschlag und die Unfall-Tragödie referiert, sieht er teilweise als Selbstheilung. Dazu gehört auch, dass er sich mit der Unfallfahrerin getroffen und ihr verziehen hat. «Ich habe ihr gesagt, sie soll ihr Leben weiterleben. Vielleicht müssen wir Fehler machen, um im Leben weiterzukommen.»
Deshalb trauert der einstige Stürmer seiner verpassten Hockeykarriere auch nicht nach, hadernde Momente habe es gegeben, «doch Hockey ist immer noch Teil meines Lebens». Lötscher geht ab und zu ein NL-Spiel schauen und freitags spielt er jeweils Plausch-Hockey mit Fribourger Jungunternehmern. Die guten Stockhände, die habe er immer noch, sagt er, mit einem Grinsen.