Hockey-Legende Guido Lindemann
«Dann wäre ich wohl tot gewesen»

Ein Trainer, der sein Team schlug. Spieler, die sich übergeben mussten. Und Trainings, die gelegentlich in einer Beiz endeten. Hier erzählt die Aroser Hockey-Legende Guido Lindemann verrückte Geschichten aus seiner Karriere.
Publiziert: 21.10.2024 um 14:55 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2024 um 16:49 Uhr
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Im Gespräch mit Blick erzählt Guido Lindemann lustige Anekdoten und verrückte Geschichten.
Foto: BENJAMIN SOLAND

Auf einen Blick

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Daniel LeuStv. Sportchef

Blick: Herr Lindemann, am 19. Januar werden Sie 70. Wissen Sie schon, wie Sie diesen runden Geburtstag feiern werden?
Guido Lindemann: Ich werde erst am 19. Februar 70, doch auf Wikipedia steht tatsächlich, dass ich am 19. Januar zur Welt kam. Ich habe schon ein paarmal versucht, das zu ändern, auch mithilfe eines Kollegen, der von Computern mehr Ahnung hat. Bislang hat es aber leider nicht funktioniert.

2019 hätte aber alles vorbei sein können. Damals stürzten Sie beim Schneeschaufeln vom Dach.
Schön, dass Sie mich daran erinnern …

Was ist damals genau passiert?
Wenn es in der Nacht schneit, stehe ich jeweils um 3 Uhr auf und befördere den Schnee auf die Strasse, damit ihn der Pflug mitnehmen kann. So auch 2019. Ich stand auf dem Dach und sah, dass es in einer Ecke noch Schnee hatte. Als ich den mit der Schaufel runterschieben wollte, rutschte ich aus und stürzte aus viereinhalb Metern Höhe auf den Boden. Zum Glück fiel ich nicht auf den Kopf, dann wäre ich wohl tot gewesen.

Wie holt man mitten in der Nacht Hilfe?
Ich wollte mit meinem Handy Alarm schlagen, doch die Gesichtserkennung funktionierte nicht, weil alles voll Blut war. Irgendwie schaffte ich es dann doch noch, die Reinigungskraft meiner Overtime-Bar zu erreichen. Sie fand mich am Boden liegend. Als danach meine Frau dazukam, sagte die Reinigungskraft zu ihr nur: «Schau nicht hin, es sieht furchtbar aus.» Meine Frau bestellte dann den Helikopter. Im Spital kam raus, dass ich auf der linken Körperseite beinahe alles gebrochen hatte – Oberschenkel, Becken, Schambein. So extreme Schmerzen hatte ich zuvor noch nie in meinem Leben gehabt.

Guido Lindemann

Der 69-Jährige ist ein echter Aroser und kam dort schon per Hausgeburt zur Welt. Seine Karriere im Schnelldurchlauf: Arosa (1970–1987, zweimal Meister und Torschützenkönig), Ambri (1987–1989, NLA), Arosa (1989/90, 1. Liga), Chur (1990–1992, NLA-Aufstieg 91), Arosa (1992–1998, 1. Liga) und SC Rheintal (1998–2000, 2. Liga). Seine beiden Söhne Kim und Sven waren auch Profis, ebenso seine Enkel Kevin (22) und Colin (19).

Der 69-Jährige ist ein echter Aroser und kam dort schon per Hausgeburt zur Welt. Seine Karriere im Schnelldurchlauf: Arosa (1970–1987, zweimal Meister und Torschützenkönig), Ambri (1987–1989, NLA), Arosa (1989/90, 1. Liga), Chur (1990–1992, NLA-Aufstieg 91), Arosa (1992–1998, 1. Liga) und SC Rheintal (1998–2000, 2. Liga). Seine beiden Söhne Kim und Sven waren auch Profis, ebenso seine Enkel Kevin (22) und Colin (19).

Ein anderer runder Geburtstag steht schon in diesem Jahr an. Ende November feiert der EHC Arosa seinen 100. Geburtstag. Wie oft werden Sie heute noch auf Ihre beiden Meistertitel aus den 80ern angesprochen?
Sehr oft, und nicht nur hier in Arosa. Wenn ich zum Beispiel durch Chur laufe, heisst es regelmässig «Hey Guido, weisst du noch …» Ähnlich ist es auch in Zug oder im Thurgau, wenn ich mir Spiele meiner beiden Enkelkinder Colin und Kevin anschaue. Auf das, was wir damals geleistet haben, bin ich schon stolz.

Das dürfen Sie auch, weil Sie einen grossen Anteil am einmaligen Märchen des EHC Arosa hatten. War es von Anfang an klar, dass aus Ihnen ein Hockeyspieler werden würde?
In meinen ersten Lebensjahren war ich auch noch Skifahrer, doch als ich sieben war, zog unsere Familie direkt neben die Eisbahn. Ab diesem Moment verbrachte ich dort jede freie Minute.

Der Legende nach spielten Sie zu Beginn auch mal unter dem Namen Ihres älteren Bruders Hanspeter.
Das war in der 1. Liga. Da ich damals noch nicht 16 war, hätte ich abends erst gar nicht spielen dürfen. Deshalb lief ich zum Beispiel einmal in Bonaduz unter dem Namen meines älteren Bruders auf.

Sie haben es eben erwähnt. Als Sie bei Arosa anfingen, spielte der Klub noch in der 1. Liga. Wann fing der Höhenflug so richtig an?
Das war in der Saison 1972/73. Wir kämpften damals gegen Zug um den Aufstieg in die Nati B. Weil wir damals uns noch nicht gewohnt waren, vor grosser Kulisse zu spielen, reiste unser Trainer Jürg Ochsner im Vorfeld nach Zug, die viele Fans hatten, um dort den Lärm aufzunehmen. Den spielte er uns dann vor dem entscheidenden Spiel in Zug in der Garderobe ab. Wir gewannen dann tatsächlich und stiegen auf Kosten von Zug auf.

Nur vier Jahre später war Arosa bereits in der Nati A angelangt.
Und unser Eisfeld bekam endlich ein Dach. Zuvor spielten wir noch an der frischen Luft, was manchmal auch Vorteile hatte.

Welche?
(Lacht.) Sagen wir es mal so: Wenn es stark schneite und wir zurücklagen, sorgten wir schon dafür, dass das Spiel abgebrochen wurde …

1980 und 1982 wurde der Dorfklub tatsächlich zweimal Meister. Wie sah damals ein typisches Heimspiel aus?
Es war jeweils alles auf den Beinen. Aus der ganzen Schweiz reisten die Fans an. Es gab Extrazüge und eine Riesenkolonne von Chur hier nach Arosa hinauf. Ich kann mich an ein Spiel gegen Davos erinnern, an dem es 8000 Zuschauer hatte. Zum Teil standen die auf Stahlrohrtribünen, die heute nicht mehr erlaubt wären.

Das Spezielle an Ihrem Team: Sie waren alles keine Profis.
In unserer Mannschaft gab es Elektriker, Bauern und Hausabwarte, und auch ich, der gelernter Maurer bin, arbeitete während meiner Karriere fast immer zu 100 Prozent. Es gab Tage, da kam ich in der Nacht um 4 Uhr von einem Auswärtsspiel in La Chaux-de-Fonds nach Hause, und um 8 Uhr war ich wieder auf der Arbeit.

Apropos Auswärtsspiele: Wer von Arosa nach Chur runterfährt, muss über 360 Kurven zurücklegen. Wurde es euch Spielern dabei nie schlecht?
Doch, das kam schon vor. Vor allem auf dem Rückweg musste der Bus-Chauffeur gelegentlich schon anhalten, weil es einem Spieler schlecht wurde und sich dieser übergeben musste.

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Das 332-seitige Hardcover-Buch «Wir waren Helden» ist ab sofort im Fachhandel erhältlich. Darin enthalten sind 30 Interviews mit Schweizer Sport-Legenden – von Jörg Abderhalden bis Beat Breu, von Denise Biellmann bis Ariella Kaeslin. Das Buch kostet 39 Franken, ISBN-Nummer 978-3-03875-567-8. Zu bestellen unter beobachter.ch/shop.

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In den goldenen Jahren war der Schwede Lasse Lilja Ihr Trainer. Ein charismatischer, aber nicht unumstrittener Mann.
Das waren halt noch andere Zeiten. Er trug meist karierte Hosen, und es kam schon mal vor, dass er dem einen oder anderen Spieler mit dem Stock aufs Hinterteil schlug. Zudem war er einer der ersten, der professionelle Sommertrainings eingeführt hatte.

Ein Trainingsweltmeister sollen Sie aber nie gewesen sein.
Lilja liess uns oft um den Obersee rennen, was nicht so mein Ding war. Ein-, zweimal kam es daher schon vor, dass wir kurzerhand abbogen und ins «Buurestübli» hochliefen, um dort ein bisschen was zu trinken, statt um den See zu rennen.

Haben Sie früher oft gefeiert?
Das kam schon mal vor, doch nie vor den Spielen, aber danach gingen wir im Dorf regelmässig schon noch etwas trinken. Das wusste auch Lilja, der oft die Bars nach Spielern abgeklappert hat. Doch das waren wiederum auch wir uns bewusst. Wenn er auftauchte, versteckten wir uns einfach hinter den Pfosten und warteten, bis er ging, um die nächste Bar zu kontrollieren.

Der Erfolg gab Ihnen recht: 1980 und 1982 wurde Arosa Meister.
Besonders in Erinnerung geblieben ist mir 1982. Damals machten wir ausgerechnet in Davos den Titel klar. Auf der Rückfahrt nach Arosa hoch hielt unser Bus in jedem Weiler an, und wir tranken mit den Einheimischen ein Gläschen und feierten. Als wir endlich in Arosa ankamen, waren wir alle schon ordentlich betrunken.

Doch irgendwann kam der Höhenflug des EHC Arosa ins Stocken und Lilja wurde 1983 entlassen. Wie sind Sie damals mit Krisen umgegangen?
Ich kann mich noch an 1985 erinnern. Wir hatten damals ein paar Spiele hintereinander verloren. Deshalb gab es in der Schreinerei von Jöri Mattli, der leider viel zu früh 1991 an einem Herzinfarkt verstorben ist, eine «Chropfleerete». Er räumte damals seine Schreinerei aus, stellte Tische hin, und es gab Fleischkäse und Bier. Wir sagten uns gegenseitig die Meinung, tranken etwas, und danach kehrten wir wieder auf die Siegesstrasse zurück. So einfach kann es manchmal sein.

1986 entschied dann aber der damalige Präsident Peter Bossert, dass der EHC Arosa freiwillig in die 1. Liga absteigen wird. Wie haben Sie davon erfahren?
Ich war damals auf dem Brüggerhorn am Skifahren und konnte es erst gar nicht glauben. Das Problem damals: Das Eishockey wurde immer teurer und war nicht mehr zu refinanzieren. Hinzu kam die spezielle Situation in Arosa und die damit verbundenen Nachwuchssorgen, wie uns damals Bossert erklärte. Hier gibt es pro Jahr nur rund 30 Geburten, davon sind etwa 15 Buben. Um diese buhlen dann alle Klubs. Nicht nur der Hockeyklub, sondern auch der Skiclub etc.

Sie wechselten danach zu Ambri und verdienten dort das erste Mal richtig Geld, oder?
Ich hätte schon vorher zu anderen Teams wechseln können und hätte dort das x-Fache verdient. Doch ich spielte nie des Geldes wegen Hockey. Hier in Arosa war es doch immer schön, und es gab nie Nebel.

Sie wirken im Gespräch sehr gelassen, als Spieler soll das noch anders gewesen sein. Ein Mitspieler sagte mal über Sie: «Sobald Guido seine Schlittschuhe gebunden hatte, wurde er zu einem anderen Menschen. Aifach nid ganz butzt.»
Da ist schon was dran. Wenn ich mir heute Bilder von damals anschaue, lache ich darauf nie. Ich war richtig vergiftet und ehrgeizig und hatte oft das Gefühl, nicht gerecht behandelt worden zu sein. Wenn mich einer schlug, dann schlug ich halt zurück, und schon wanderte ich für zehn Minuten auf die Strafbank. Da fällt mir grad noch eine Episode ein. Als mir das mal wieder passiert war, kehrte ich nach den zehn Minuten zurück aufs Eis, ging zum Schiedsrichter und sagte ihm Danke für die Strafe.

Wie reagierte der darauf?
Er schickte mich gleich wieder für zehn Minuten auf die Strafbank, aber nach dem Spiel habe ich mich bei ihm entschuldigt.

Sie spielten später in der 1. Liga auch noch gemeinsam mit Ihrem Sohn Sven. Auch dort sollen Sie gelegentlich die Nerven verloren haben.
Auch das stimmt. Wenn mein Sohn angegangen wurde, habe ich mich halt für ihn gewehrt und auch mal einen Gegenspieler runtergespitzt.

Einmal wurden auch Sie heftig erwischt. Stichwort Auge.
Das war, als ich mit Chur gegen Servette spielte. Ich bekam den Stock ins Auge. In der Zürcher Uniklinik nahm man mir dann das Auge teilweise raus, damit man es von hinten nähen konnte. Obwohl ich damals mit Morphium richtig vollgepumpt wurde, war das unglaublich schmerzhaft.

Ich würde mit Ihnen auch gern noch über Ihre internationale Karriere reden. Als Nati-Spieler liefen Sie nur an B-Weltmeisterschaften auf.
Die Schweiz zählte halt damals noch nicht zu den Top-Nationen. 1977 spielten wir die B-WM in Japan, was ein super Erlebnis war. Speziell war auch die WM 1981 in Val Gardena. Unser Trainer war eigentlich Arne Strömberg, doch sein Assistent Lasse Lilja schielte offenbar auch auf den Chefposten. Als wir auf dem Weg nach Italien eine Kaffeepause einlegten, fuhr der Bus einfach ohne Strömberg weiter, und ab sofort war Lilja unser Chef.

Im Sommer spielten Sie gelegentlich auch in Südafrika Eishockey. Wie kam es dazu?
Ich lief für die Swiss Bears auf. Was viele sich nicht vorstellen können: Johannesburg liegt auf fast 1800 Metern über Meer, dort kann es daher richtig kalt werden. Wir spielten damals gegen Kanadier, Österreicher und Deutsche, manchmal vor über 2000 Zuschauern. Das hat richtig Spass gemacht. Und es war auch eine Möglichkeit, dem Sommertraining in Arosa aus dem Weg zu gehen …

Wie wir jetzt gelernt haben, werden Sie am 19. Februar 70. Wie sieht Ihr Leben heute aus?
Gemeinsam mit meiner Frau Margrit führen wir immer noch das Hotel, die Overtime-Bar und das Restaurant. Doch wir werden nicht jünger, und unsere Kinder möchten die Betriebe nicht übernehmen. Deshalb suchen wir für die Bar und das Restaurant einen Käufer, das ist aber leider nicht ganz so einfach. Darum werden wir wohl mit unseren sehr guten Mitarbeitern noch weiterarbeiten und machen so lange weiter, wie wir noch Spass daran haben.

Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 13. Oktober 2024.

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