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Grogg über Krisenmodus
«Wir haben permanent Lockdown»

Der an ALS leidende SonntagsBlick-Kolumnist Stefan Grogg erzählt im Interview, welchen Einfluss das Virus auf seinen Alltag hat. Und welche Hebel er im Schweizer Eishockey umlegen würde.
Publiziert: 12.04.2020 um 14:15 Uhr
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Aktualisiert: 12.04.2020 um 16:01 Uhr
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Stefan Grogg leidet an ALS, den Cursor zum Lesen Schreiben und für die Sprachausgabe steuert er mit den Augen.
Foto: PIUS KOLLER
Dino Kessler

Stefan Grogg, wie wirken sich die Einschränkungen der Krise auf Ihren Alltag aus?
Grundsätzlich nicht gross. Aufgrund meiner Behinderung verbringen wir auch in normalen Zeiten mehr Zeit zuhause als Zeitgenossen ohne derartige körperliche Beeinträchtigungen. Spaziergänge in der Natur sind ja noch erlaubt. Einzig Besucher haben wir momentan praktisch keine mehr. Im groben Sinn haben meine Frau und ich eigentlich permanent Lockdown. So gesehen ist es für die Leute in der jetzige Situation gerade einfacher nachvollziehbar, wie wir auch in Nicht-Krisenzeiten leben.

Sie haben gegenüber dieser Zeitung einmal gesagt, Sie würden keine Langeweile kennen. Was machen Sie den ganzen Tag?
Wirklich allerhand. Meine Interessen sind Gott sei Dank sehr breitgefächert. Ich lese sehr viel. Bücher, Magazine, Artikel auf dem Internet usw. Zwangsläufig passiert dies alles digital am Computer oder auf meinem Ebook-Lesegerät. Email und sonstige Korrespondenz erledigen, Haushaltsadministration erledigen und viel Zeit draussen verbringen. Normalerweise haben wir auch oft Besucher. Und ich mag den Film wie auch gute TV-Serien. Da ich permanent einiges mehr an Zeit als 100% Berufstätige zur Verfügung habe, probiere ich sie auch gezielt für persönliche Nachforschungen aller Art zu nutzen.

Was raten Sie Menschen, die in der Corona-Krise langsam die Wände hochgehen?
Ich gehörte auch zu denen, bei denen andauernd etwas laufen musste. Von daher verstehe ich noch sehr gut, wie es sich anfühlte, den Bewegungsdrang zu befriedigen. Dem wurde in meinem Fall durch die ALS ein Riegel geschoben. Ich hatte also keine Wahl. Das ruhige und vor allem mentale Leben hielt bei mir Einzug. Ich möchte niemanden belehren, doch momentan ist die Chance einmalig, etwas in sich zu gehen und sich selber besser kennenzulernen.

Wird ALS irgendwann heilbar sein? Oder anders gefragt, glauben Sie an eine Kur, ein Medikament oder mindestens eine Erleichterung durch medizinische Forschung?
Jedes iPhone hat heute mehr Rechenpower als die räumefüllenden Computer, welche die Mondlandung koordiniert haben. Daher bin ich vom rasanten Fortschritt der Menschheit überzeugt. Und der – so hoffe ich – bringt wahrscheinlich in nicht allzu ferner Zukunft auch mehr Heilungen durch die Medizin mit sich. Ich bin also guten Mutes. Trotzdem gebe ich bis dahin meinem Körper und Geist nach heutigem Wissensstand den bestmöglichen Support.

Glauben Sie, dass in diesem Jahr noch Sportveranstaltungen vor Publikum durchgeführt werden können?
Als positiv denkender Mensch glaube ich ja. Vielleicht gibt es anfangs noch Zuschauerbegrenzungen. Doch ich denke, wir werden im Sommer wieder Spitzensport erleben.

Sie beobachten das Schweizer Eishockey genau. Wie würden Sie den Modus im Profibereich umgestalten? Haben Sie einen Lösungansatz für die exorbitanten Löhne?
Die europaweiten Eishockey-Spitzenlöhne gönne ich jedem Spieler. Ich hätte so einen fetten Zahltag selbstverständlich auch ohne zu zögern genommen. Aber aus wirtschaftlicher Sicht sind wir wohl bezüglich Lohnniveau an unsere Grenzen gestossen. Die Frage ist zudem, ob die Zuschauerzahlen aufgrund der Verunsicherung nicht wesentlich tiefer als vor Corona sein werden. Umso mehr wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um vorausblickend die Weichen für eine finanziell gesunde Zukunft unseres Sports zu stellen. Ich befürworte deswegen den Salary Cap, eine Salärobergrenze, nach NHL-Vorbild. Eine 14-er Liga wäre ausserdem zu begrüssen. Kloten gehört wieder in die National League, die Swiss League hat zusätzlich noch 3-4 legitime Aspiranten. Denen ist die Tür nach oben nicht zu verschliessen – unter den neuen Rahmenbedingungen wäre für sie ein Aufstieg sogar sportlich umsetzbarer. Damit keine Mannschaft finanziell unvernünftige Feuerwehrübungen veranstaltet, ist der Salarycap als Regulierungsinstrument ja am Start. Mit einer eventuellen Erhöhung des Ausländerkontingents auf fünf wäre genügend Spielermaterial vorhanden um eine Ausdünnung des Niveaus zu verhindern.

Könnte diese Krise unser Leben generell verändern? Im Zeitalter des Jagd-Kapitalismus zählt ja nur noch eines: Rendite.
Veränderungen müssen nicht zwingend schlecht sein. Als freiheitsliebender Mensch erwarte ich dennoch, dass nach dieser Krise alle gesetzlichen Einschränkungen wieder vollständig verschwinden werden. Doch wunderbar zu sehen ist es, wie die Mehrzahl der Menschen gerade einiges freundlicher und hilfsbereiter auftritt. Das stimmt mich zuversichtlich für die ökonomisch insbesondere für die weniger wohlhabenden Mitbürger sicher schwierigen kommenden Monate. Es gilt jetzt zusammenzustehen und einander zu helfen. Wie in einem ganz grossen Team, der eine macht, was der andere nicht gleich gut kann. Zusammen sind wir aber definitiv fähig, diese Turbulenzen gut zu meistern, und dadurch sogar zu besseren wie auch umsichtigeren Menschen zu werden.

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