Ex-Eishockey-Profi spricht über seine Krankheit
«Der Grogg hat ALS und macht es nicht mehr lange»

Schweizer Meister mit dem EV Zug und ehemaliger Nationalspieler. Der 45-jährige Sonntagsblick-Kolumnist Stefan Grogg lebt seit 13 Jahren mit der Nervenkrankheit ALS.
Publiziert: 06.10.2019 um 12:52 Uhr
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Aktualisiert: 06.10.2019 um 15:33 Uhr
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So kommuniziert Grogg: Via Infrarot-Software wird die Steuerung kalibriert und Grogg kann den Cursor mit den Augen steuern.
Foto: PIUS KOLLER
Dino Kessler (Text) und Pius Koller (Fotos)

Im Dezember 2014 lässt Stefan Grogg im Sonntagsblick die Katze aus dem Sack: Der ehemalige Eishockey-Profi leidet an der Nervenkrankheit ALS. Ein Schritt, dem ein langes Hin und Her, ein Abwägen der Konsequenzen vorausgeht: «Wer gibt schon gern vor einer nationalen Leserschaft seine körperlichen Gebrechen preis? Als der Schritt gemacht war, fiel auch eine grosse Last von meinen Schultern. Nun wussten es alle: Der Grogg hat ALS und macht es wohl nicht mehr lange.»

ALS. Amyotrophe Lateralsklerose. Eine nicht heilbare degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, irgendwann folgen Muskelschwund und Lähmung der Atemmuskulatur.

Die Prognose für Betroffene ist in der Tat niederschmetternd, eine Heilungschance gibt es nicht. Auf die Forschung zu hoffen, ist pure Sozialromantik. Weil es weltweit nicht genug Betroffene gibt, lohnt sich die Entwicklung von Medikamenten für die Chemiemultis nicht.

Grogg lebt seit 13 Jahren mit dieser Gewissheit. In der Regel bleiben den Betroffenen drei bis fünf Jahre, Ausnahmen wie bei Stephen Hawking (der Astrophysiker lebte 55 Jahre mit der Krankheit) sind immer möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Mitleid möchte Grogg trotzdem nicht erwecken, «aber ich frage mich manchmal, ob es nicht einfacher gewesen wäre, loszulassen und den Rest dem Schicksal zu überlassen». Ein Lebensweg, gepflastert mit Stolpersteinen und Momenten der Frustration.

Auf den Rollstuhl wird er wohl immer angewiesen sein. Bewegungen ohne Unterstützung sind auf ein paar Gesichtszüge beschränkt, ohne die Hilfe seiner Frau Magdi geht praktisch nichts. Das Essen wird ihm tagsüber via Magensonde zugeführt, obwohl er noch in der Lage ist, Speisen zu kauen. «Das gönnen wir uns allerdings nur am Abend. Ein Prozess, der etwa zwei Stunden in Anspruch nimmt und mindestens für mich immer ein Höhepunkt ist.»

Ein Dialog fordert Geduld

Wie sich die Krankheit im Alltag bemerkbar macht, erfährt ein Besucher allerdings ziemlich bald einmal. Sprechen ist nicht. Nur seine Frau ist in der Lage, die eingeschränkte Mimik in Groggs Gesicht zu deuten und in Sprache zu übersetzen. Über eine spezielle Software mit Infrarot-Steuerung kann er eine virtuelle Tastatur auf dem Computer-Bildschirm bedienen und so Texte eingeben oder über die Sprachausgabe auch akustisch kommunizieren. So lassen sich zwar durchaus Dialoge führen, allerdings dauern die ungleich länger als üblich und erfordern Geduld. «Im Grunde bin ich ausschliesslich über den mit den Augen gesteuerten Computer unabhängig. Für alles andere bin ich auf Support angewiesen.» Wäre es unter diesen Umständen nicht einfacher gewesen, nach dem körperlichen Zerfall bis zur totalen Abhängigkeit einfach die Segel zu streichen? «Auf diese Frage gibt es vermutlich keine weise Antwort», gibt er über die Sprachausgabe zurück. «Wer in einer misslichen Lage fest steckt, muss für sich selbst eine Antwort finden, die tief im Innersten räsoniert. Dann – und nur dann – stimmt die Antwort.» 

Fliegen oder Katzenhaare – ohne Hilfe geht nichts

Vieles, was für ihn einen Hilferuf erfordert, ist für Gesunde ganz banal. Kratzt irgendwo ein Katzenhaar, muss er über die Sprachausgabe des Computers Hilfe anfordern. Eine lästige Fliege auf einem Arm? Ebenfalls. Hat er es sich gerade mit der Lektüre eines E-Books gemütlich gemacht, kratzt es vielleicht wegen der künstlichen Atemunterstützung in der Luftröhre. Dann muss etwas Flüssigkeit aus der Lunge gesogen werden, eine weitere Prozedur, die für ihn und seine Frau Magdi zu den alltäglichen Handgriffen gehört. Der unvorbereitete Besucher gewöhnt sich bei aller Liebe höchstens schrittweise an diesen Vorgang.

«Lügt man sich etwas vor, wenn man in dieser Bredouille auch noch einen auf Optimist macht? Oder anders gefragt: Kann Zuversicht auch egoistisch sein?». Grogg stellt sich den Fragen, ohne sich der Illusion hinzugeben. Hoffnung gibt es keine. Obwohl sich sein Zustand in den letzten sieben Jahren nicht verschlimmert hat – eine Aussicht auf Besserung besteht nicht. Auf fremde Hilfe wird er also immer angewiesen sein. Toilettengang, Körperhygiene, Essen, den Computer einschalten, sich kratzen, wenn es juckt. Alles Dinge, die jemand für ihn erledigen muss. Die Computertechnik ist tatsächlich eine grosse Hilfe, allerdings haben Computer auch ihre Tücken. Die Infrarot-Verbindung arbeitet zum Beispiel bei grellem Licht nicht mehr einwandfrei. Dann muss entweder die Lichtquelle bekämpft oder die Software frisch kalibriert werden.

Beim Lesen auf der Terrasse lässt er sich durch nichts stören, im schlimmsten Fall liest er eben drinnen weiter («Mein Wissensdurst ist ungebrochen»). Langeweile kennt er nicht. Die Elektronik, nicht selten als Fluch der Moderne angesehen, ist für ihn eine grosse Hilfe. Etwas Bewegung bekommt er auf einem speziellen Hometrainer, der die Beinmuskulatur aktiviert. «Das funktioniert doch noch relativ gut. Und nach Stunden im Rollstuhl ist jede Abwechslung willkommen.»

Wer nach einem Besuch bei Stefan und Magdi Grogg das Haus verlässt, denkt beim Gang zum Parkplatz über jeden Schritt nach, den er macht. Oder machen darf. Der Grogg hat ALS. Und so wie es ausschaut, macht er es wohl doch noch lange.

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