Für einige scheint es unvorstellbar. Für Marc Wiegand aber ist es wie immer, wenn er sich mit einem neuen Partner auf den Einsatz vorbereitet. Auch wenn sein Partner nun die eigene Frau ist. «Ein bisschen mehr kribbelte es schon. Aber das ist vor jedem speziellen Spiel so. Ich sagte mir einfach: Das ist nicht meine Frau. Das ist mein Kollege.»
Anna selbst macht sich mehr Gedanken. Für sie ist das Spiel zwischen Winterthur und La Chaux-de-Fonds (3:2 n.P.) am Dienstag ihr erster Einsatz auf Profi-Ebene. «Dass ich gemeinsam mit Marc auf dem Eis stand, war eher ein Vorteil. Ich schaue mir alle seine Spiele an, weiss, wie er tickt, worauf er schaut, wie er sich bewegt. Wir harmonierten und kommunizierten gut.»
Mehr tun, um Akzeptanz zu erreichen
12 kleine Strafen sprechen die Beiden aus. «Ich war sehr überrascht», erzählt Anna. «Es machte überhaupt keinen Unterschied, ob Marc oder ich die Strafe gepfiffen haben. Die Spieler reagierten genau gleich.» Auch Marc staunt. «Als Anna einst ihr erstes 1.-Liga-Spiel absolvierte, war ich als Supervisor vor Ort. Dass eine Frau pfiff, war damals ein grösseres Thema. Jetzt hörte ich niemanden darüber reden.»
Doch nicht immer reagieren die Spieler gleich. Anna sagt: «Es gibt Spiele, da muss ich 150 Prozent geben, mich grösser machen, als ich bin, damit ich dieselbe Akzeptanz erreiche, wie mein männlicher Kollege. Doch wenn ich die einmal habe, die Leute sehen, dass ich es kann und sie das Vertrauen gewinnen, ist das kein Thema mehr. Ich denke, es gibt sogar Leute, die dann mehr Respekt haben, weil sie realisieren, dass mein Weg nicht einfach war.»
«Man muss etwas speziell sein»
Die 34-Jährige, die bei der Credit Suisse arbeitet, leitet rund 80 Amateurspiele pro Saison. «Etwa 70 mit einem männlichen Kollegen. Es ist ein seltsames Gefühl, mal mit einer Kollegin zu pfeifen. Dann geniesse ich es. Wir sind so wenige Frauen. Man muss etwas speziell sein, um sich in dieser von Männern dominierten Hockey-Welt zu bewegen.» Noch immer reagieren die Leute überrascht, wenn Anna erzählt, womit sie ihre Freizeit verbringt. «Schliesslich sind Schiris ja nicht so beliebt.»
Anna und Marc wissen mit Kritik umzugehen. «Das gehört zum Job. Da wächst du hinein», erzählt der 40-jährige Profi-Ref. «Auch wenn es die Leute vielleicht nicht glauben: Wir ärgern uns am meisten, wenn uns Fehler unterlaufen. Du kannst nicht schlafen, fragst dich nach dem Warum. War es ein regeltechnischer Fehler oder bist du falsch gestanden?»
Anna ergänzt: «Wenn ein Zuspiel den Mitspieler um 50 Zentimeter verfehlt, sagt keiner etwas. Bei uns können Fehler matchentscheidend sein. Doch das ist auch die Faszination des Jobs.»
«Puck einwerfen und Geld verdienen»
Interessant: Beide wollten eigentlich gar nicht Schiedsrichter werden. «Das war nicht unbedingt das, was ich mir vorstellen konnte», sagt Marc, einst Junioren-Goalie in Kloten. «Als ich 16 war, rief ein Kollege an und fragte mich. Es hiess, bei den Jungen musst du bloss den Puck einwerfen und kannst etwas Geld verdienen. Später hat es mich dann gepackt.»
Anna, die aus Finnland stammt, Sportmanagement studierte und für ein Praktikum in die Schweiz zog, kam durch eine Mitbewohnerin auf die Idee. Weil Schiedsrichter aus höheren Ligen Schützlinge aus unteren Ligen unterstützen, lernen sich die Beiden erst kennen, dann lieben. Heute erfüllt das zehn Monate alte Töchterchen Venla ihr Leben. Dank der Unterstützung ihrer Familien kriegen sie alles unter einen Hut.
Wann das Paar ihren nächsten gemeinsamen Einsatz hat, wissen die Wiegands nicht. «Ich geniesse den Moment, nehme jedes Spiel mit Handkuss. Egal, auf welcher Stufe», sagt Anna. Beide hoffen, junge Frauen motiviert zu haben, denselben Weg einzuschlagen wie Anna es tat.
Eine Frau, die Männer pfeift? Das gibt es auch in Deutschland. Sie heisst Nicole Hertrich, ist 43 und leitet Spiele in der DEL2.
Auch diese Frauen haben Pfiff
Für das Schweizer Profi-Eishockey war der Auftritt von Anna Wiegand mit ihrem Mann Marc am Dienstag in Winterthur Neuland.
In Deutschland pfeift mit Nicole Hertrich seit fünf Jahren eine Frau in der zweithöchsten Liga. Im Fussball machte man schon vor 20 Jahren auf höchster Ebene Bekanntschaft mit einer Frau an der Pfeife: 1999 gab Nicole Petignat ihr Debüt in der NLA. 2003 leitete sie als erste Frau ein Europacup-Spiel, 2008 beendete sie ihre Karriere.
Auch ein Ehepaar sorgte im Fussball für Furore: 1998 leitete Andreas Schluchter den Cupfinal zwischen Lausanne und St. Gallen (6:5 n.P.), während seine Frau Vroni an der Linie die Fahne schwang.
Die bekannteste Schiedsrichterin ist derzeit die Deutsche Bibiana Steinhaus, die seit 2017 Bundesligaspiele pfeift. Inzwischen ist sie auch als Video-Assistentin im Einsatz. So war sie es, die den Schiedsrichter bei der Partie Mainz gegen Freiburg veranlasste, einen Hands-Penalty zu verhängen, als die Teams bereits auf dem Weg in die Kabine waren.