Vertragskopien, Fotos aus seinem privaten Album, ein Geburtstags-Fax an seine Mutter, sorgenvolle E-Mails an seinen Vater. Mark Streit berührt in seiner Biografie mit Einblicken in seine Gedankenwelt. Nachfolgend einige Auszüge aus 3 von 13 Kapiteln.
Die Entscheidung
Streit durchlief beim SCB alle Junioren-Stufen, debütierte aber 1995/96 mit Fribourg in der NLA.
«(...) Unser Trainer ging korrekt mit mir um, förderte mich jedoch nicht speziell. Zwar zählte der SC Bern als Traditionsklub in der obersten Schweizer Liga seit jeher zu den Besten (...). Um die Nachwuchsförderung stand es hingegen nicht gerade rosig. Wir hatten etwa acht Verteidiger in meinem Alter in der Elite B und Sportchef Bill Gilligan teilte mir mit, dass er sieben davon besser einschätze als mich. Deshalb sehe er mich nicht als Prospect für die NLA. Das gab mir zu denken. Mit meinen Eltern überlegte ich intensiv, welche Möglichkeiten ich hatte.»
Streit wechselte als 16-Jähriger zu Fribourg, für eine jährliche Spesenentschädigung von 12'000 Franken. Weil er enorme Fortschritte machte, holte ihn 1995 der damalige U20-Trainer Arno Del Curto als «Underager» (im jüngeren Jahrgang geboren) ins Team. Und ein Jahr später zum HC Davos.
«(...) Allerdings musste ich vorher noch den Führerausweis machen, um mobil zu sein. Ich nahm in den Sommerferien zehn Fahrstunden, da ich wenig Zeit hatte und sparen wollte. Ich bestand die Prüfung, woraufhin ich einen VW Golf leaste. Nach zwei Wochen in Davos baute ich damit einen Totalschaden! In der morgendlichen Hektik vor dem Training fuhr ich gegen die Einbahnstrasse vor meinem Haus und prallte mit einem Betonmischer zusammen. Der Schaden betrug 12 000 Franken. Vielleicht hätte ich doch besser in mehr Fahrstunden investiert.»
Eine schmerzhafte Erfahrung machte Streit auch im Bündnerland – sein erster Nasenbruch.
«(...) In einem Spiel gegen Ambri-Piotta prallten der Russe Oleg Petrow und ich so stark zusammen, dass meine Nasenscheidewand eingedrückt wurde. Nach dem Match fuhr ich mit dem Velo ins Spital Davos, wo mir ein Arzt die eingedrückte Nase wieder richtete. Nach dem ambulanten Eingriff fuhr ich mit dem Velo nach Hause und kam blutüberströmt an.»
Der Streit-Faktor
Eine schwere Schulterverletzung machte Streit die Saison 2010/11 bei den NY Islanders zunichte. Er musste sich einer Operation unterziehen, flog dafür mit einem verletzten Teamkollegen am Vortag von New York nach Cleveland zu einem Spezialisten und hätte nach dem Eingriff vom Islanders-Physio abgeholt werden sollen.
«(...) Um 14.00 Uhr erwachte ich aus der Vollnarkose. Es plag ten mich unglaubliche Schmerzen. Ein Riese in einem schwarzen Trainingsanzug, der aussah wie ein Footballspieler, betrat das Krankenzimmer. Wir verliessen das Spital ohne weitere Anweisungen, geschweige denn Schmerzmittel, stiegen in seinen Van und fuhren ins Hotel. Ich trug noch das Operationshemd samt den Blutspuren. An der Rezeption teilen uns die Angestellten mit, dass für uns kein Zimmer reserviert sei. Ich buchte auf der Stelle ein Zimmer vor Ort. Dem Aufpasser drückte ich 100 Dollar und das Rezept für die Schmerzmittel in die Hand, mit der Bitte, diese zu besorgen. Ich bin vor Schmerzen fast gestorben und lag wie im Delirium im Hotelbett. (...) Ich zählte die Stunden, bis wir endlich nach New York zurückflogen. Immer noch im blutigen OP-Hemd (!) stieg ich ins Taxi zum Flughafen. Als Topspieler – ich war statistisch der beste Verteidiger sowie der beste Skorer der Islanders und im Vorjahr als erster Schweizer für das NHL-All-Star-Game nominiert worden – hätte ich eine etwas fürsorglichere und respektvollere Behandlung erwartet. Da zeigte sich wieder einmal, dass zwischen der Maschinerie der NHL und der familiären NLA in der Schweiz Welten liegen!»
Der Draft
Mitten in seiner Blütezeit wurde Mark Streit als 26-Jähriger im Sommer 2004 gedraftet – in der 9. Runde von den Montréal Canadiens. Der ZSC-Captain hängte noch eine Saison in Zürich an, bevor er sich ins NHL-Abenteuer stürzte. Für das Minimal-Salär von rund 440 000 Franken, wovon die Hälfte an die Steuern ging.
«(...) Ein Erlebnis an einem kalten Wintertag in Montréal verunsicherte mich sehr. Nach einem verlorenen Spiel gegen die Florida Panthers bekam ich den Frust eines unserer Fans zu spüren. «Go back to fucking Switzerland!», rief er mir zu. Ich konnte noch nie mit schlechten Leistungen umgehen. Sie bescherten mir schlaflose Nächte, in denen meine Gedanken kreisten und ich die Gründe für das Versagen suchte.»
Streit schreibt, dass er fast eine ganze Saison brauchte, um sich ans Level zu gewöhnen. Im zweiten Jahr bei den Canadiens schob ihm der neue Trainer Guy Carbonneau die Joker-Rolle zu. Oftmals war der Verteidiger auch überzählig, ein so genannter «Healthy Scratch».
«(...) Auf dem Weg vom Eis in die Kabine hat mich in der Regel der Materialwart – nicht der Trainer oder der Sportdirektor – informiert, dass ich nicht mit von der Partie sein würde. Das ist hart. Du ziehst vor dem ganzen Team die Ausrüstung aus, wünschst allen Mitspielern viel Erfolg, gehst ins Gym und machst ein Workout mit dem Fitnesstrainer während des ersten Drittels.»
Trotzdem schaffte Streit 2006/ 07 bei Montréal den Durchbruch, wurde dafür auch als Stürmer eingesetzt. Das brachte ihm seitens der Teamkollegen den Spitznamen «Swiss Army Knife» ein, weil er so universell einsetzbar ist wie ein Schweizer Taschenmesser.