Gisin ist der neue Sonnenschein der Sporthilfe
«Meint man, ich bringe nichts, gehe ich»

Früher donnerte sie die Skipisten runter. Jetzt rast sie in der Karriere-Leiter nach oben. Dominique Gisin ist seit 1. Oktober CEO der Schweizer Sporthilfe. Was treibt sie an?
Publiziert: 04.11.2018 um 19:59 Uhr
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Aktualisiert: 05.12.2018 um 11:03 Uhr
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Mit 33 rast sie in der Karriere-Leiter nach oben. Dominique Gisin ist seit 1. Oktober CEO der Schweizer Sporthilfe.
Foto: Marc Schumacher/freshfocus
Felix Bingesser und Mathias Germann

BLICK: Dominique Gisin, CEO der Schweizer Sporthilfe. Wie tönt das?
Dominique Gisin:
 Immer noch seltsam (lacht). Ich bin ja erst 33. Aber man muss relativieren: Ich arbeite in einem Drittelspensum und habe Leute, die mir helfen und mich unterstützen.

Sind sind wohl mit eine der am schlechtesten verdienenden CEOs der Schweiz.
Wahrscheinlich. Aber darum geht es mir auch nicht. 

Sondern?
Die Sporthilfe ist eine Herzensangelegenheit. Ich mache das, weil ich im Sport etwas bewegen will. Wenn man in einem Jahr meint, ich bringe nichts, gehe ich wieder – kein Problem.

Ex-FCB-Präsident Bernhard Heusler und Unternehmer Urs Wietlisbach, die neuen Präsidenten der Sporthilfe, fragten Sie an. Wie verlief das Gespräch?
Bernhard kenne ich schon lange, auch über meinen ehemaligen Mentaltrainer, der auch Spieler beim FC Basel betreut. Und Urs habe ich im Laufe der Jahre kennengelernt. Beide haben enorm viel Herzblut für den Schweizer Sport.

Bernhard Heusler ist der Präsident der Sporthilfe.
Foto: Marc Schumacher/ freshfocus

Sind Sie der perfekte Lockvogel für neue Geldgeber?
Meine Aufgabe ist es, der Sporthilfe ein Gesicht zu geben. Das Verständnis zu schärfen, was wir genau machen und was die Aufgabe und die Bedeutung unserer Stiftung für die Schweiz ist. Man kennt die Sporthilfe, den Super10kampf. Aber dass wir die grösste Institution sind, welche die Athleten direkt unterstützt, wissen längst nicht alle.

Warum kam man nicht schon früher darauf, eine Ex-Spitzenathletin als Aushängeschild zu engagieren?
Ich weiss es nicht, das war vor meiner Zeit (schmunzelt).

Sie selbst wurden nie von der Sporthilfe unterstützt und sind nun deren Chefin. Seltsam, oder? Genau (schmunzelt). Ich machte halt einen völlig komischen Weg. Weil ich schon als Teenager sehr häufig verletzt war, bestritt ich erst mit 19 mein erstes FIS-Rennen. Ich hatte also kaum Resultate vorzuweisen, die mein Talent bestätigt hätten.

Sie flogen unter dem Radar der Sporthilfe durch.
Auch jetzt werden wir nie alle Athleten auffangen können. Es gibt Kriterien, die man erfüllen muss, um unterstützt zu werden. Ich erfüllte sie nicht. 

Und trotzdem wurden sie 2014 Olympiasiegerin.
Wenn meine Eltern nicht die Möglichkeiten gehabt hätten, mir unter die Arme zu greifen, hätte ich es nie in den Spitzensport geschafft. 

Was wäre dann passiert?
Ich hätte mir eine Arbeit gesucht oder eine weitere Ausbildung gemacht. Aber ich wäre nicht Skifahrerin geworden. 

Welche Funktionen hat die Sporthilfe?
Wir wollen die Athleten stützen – vor allem jene von den Randsportarten. Aber auch jene, deren Sport sehr aufwendig und teuer ist. Es geht darum, die finanzielle Basis zu schaffen, damit sie sich auf den Sport konzentrieren können. 

Von wie vielen Athleten reden wir da?
Von den 500 talentiertesten der Schweiz. Bereits jetzt funktioniert das gut: Alle Medaillengewinner bei Pyeongchang 2018 genossen irgendwann in ihrer Karriere die Unterstützung der Sporthilfe. 

In anderen Ländern übernimmt diese Funktion vor allem der Staat.
Und genau darum braucht es die Sporthilfe. In Österreich werden über 500 Athleten vom Staat unterstützt, unter anderem in der Bundeswehr. Bei uns sind es 18 Teilzeitstellen in der Armee – zuletzt wurde da viel gemacht in die richtige Richtung.

Im letzten Jahr wurden von der Sporthilfe 924 Athleten mit total 8,71 Millionen Franken unterstützt. Braucht es mehr?
Um langfristig weiter mitzuhalten, müssen wir die Wirtschaft und Bevölkerung noch mehr einbringen. Denn die Erfolge, die wir heute haben, sind keine Garantie.

«Es braucht die Schweizer Sporthilfe».
Foto: Thomas Meier

Mit den Patenspenden ganz junge Leute unterstützt, die noch weit weg sind, Profis zu werden. Ist der Breitensport genau so wichtig wie Olympia-Medaillen?
Auf jeden Fall. Ich war kürzlich an einem Vortrag, da ging es um die Effekte von Bewegung bei Kindern. Es zeigte sich, dass Kinder die sich nicht viel bewegen, eine deutlich geringere Knochendichte als andere Kindern haben. Das ist grausam.

Bei den letzten Olympischen Winterspielen holten die Norweger – im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung – viermal mehr Medaille als die Schweiz (siehe Box). Weil Kinder schon daran gewöhnt werden, sich viel zu bewegen?
Wir haben eine andere Kultur. Aber Norwegen ist ein Vorbild, keine Frage. Da ist der Sport noch tiefer verankert als bei uns. Ich sähe das bei uns auch gerne.

Sind wir eine Sportnation?
Auf unsere Art und Weise schon! Weil es grosse direkte Unterstützung wie die Sporthilfe gibt. Wir dürfen aber auch nicht die unzähligen Freiwilligen, die ihre Zeit in den Dienst der Kinder und Jugendlichen stellen, vergessen.

Warum hat Olympia in der Schweiz trotzdem keine Chance?
Das hat eher mit dem Image des IOC zu tun als mit unserer Bevölkerung. Die Ski-WM 2017 hat gezeigt, wie begeisterungsfähig wir Schweizer sind.

Aber es gibt keine klassische Star-Verehrung, oder? Einverstanden. Ein Beispiel: Am Start der WM-Kombi 2017 standen Wendy Holdener und Michelle Gisin, 70'000 Menschen hofften auf Gold. Und auf einmal wurde das Stadion mucksmäuschenstill. Damit sie sich konzentrieren konnten. So etwas habe ich noch nie erlebt. Als sie dann losfuhren, schreiten alle. Die Schweizer Fans denken extrem mit, haben einen unglaublichen Respekt.

Ist das im Ausland anders?
In Österreich gibt es viele, die immer noch ein Selfie machen wollen. Mir ist es schon passiert, dass ich an den Haaren gezogen wurde, währenddem ich etwas ass. 

Dominique Gisin im Interview mit BLICK.
Foto: JESSICA KELLER

Die Sporthilfe hat 20'000 Spender, die mindestens 50 Franken zahlen. Ist Ihr Ziel, die Zahl auf 40'000 hochzuschrauben?
Das wäre schön! Die Schweizer Wanderwege haben etwa 85'000 Mitglieder. Das müsste auch für uns möglich sein. Das ist mein Traum.

Beim Super10Kampf wird viel Geld für die Sporthilfe generiert. Warum waren Sie nie eine «Gladiatorin»?
Ich sagte immer: Ich fahre für die Sporthilfe überall hin, aber das mache ich nicht.

Weshalb?
Ich wäre nicht in die Kamera gelaufen wie einst Simon Ammann – ich hätte die ganze Halle abgerissen und wäre im Spital gelandet. Im ernst: ich bin sehr ungeschickt.

Was ist schöner: Geld verteilen oder Geld sammeln?
Beides (lacht). Ich brauche aber mehr Zeit, um Geld zu sammeln als zu verteilen.

Nach ihrem Rücktritt im März 2015 studierten Sie in Zürich Physik...
Gestern hatte ich meine Semesterarbeit-Präsentation. Den Bachelor habe ich, das Diplom ist zuhause.

Machen Sie auch noch den Master?
Momentan konzentriere ich mich auf meine neue, grosse Herausforderung. Ich hätte aber so oder so eine Pause vom Uni-Leben gemacht.

Sie halten auch noch Vorträge, sind im Verwaltungsrat der Titlisbahnen, Botschafterin der SRK und der Dargebotenen Hand. 
Mit dem neuen Job wäre das Studium zu kurz gekommen.

Und Ihre Schwester Michelle braucht Sie im Ski-Weltcup!
Ich bin nicht ihr Coach. Aber ich helfe, wo es geht. Bei jenen Rennen, wo sie noch nie war, besonders. Denn da profitiert sie von meiner Erfahrung. In diesem Winter wird das in St. Anton, Sotschi und Sölden der Fall sein. Diese Freiheit halte ich mir, das ist Familien-Loyalität.

Michelle erzählte, dass Sie im Dezember auch in Lake Louise sein würden. Stimmt das?
Ja, aber da begleite ich vor allem meine Eltern. Ich weiss nicht, wie lange Michelle und Marc (ihr Bruder fährt auch im Weltcup, Anm. d. Red) noch fahren werden. Darum habe meinem Dad und meiner Mutter gesagt: Ihr müsst mal mitkommen!

Werden Sie von Swiss Ski bezahlt?
Der Verband hilft mir bei der Organisation und Akkreditierung, aber ich zahle alles selber.

Wo wohnen Sie eigentlich in der Schweiz?
Unter der Woche in Zürich und am Wochenende in meiner Wohnung in Engelberg mit meinem Freund Pascal. Einen Tag pro Woche pendle ich zudem nach Ittigen, wo die Sporthilfe ist.

Was bedeutet Ihnen die Schweiz?
Als ich bei der Junioren-WM 2005 erstmals mit dem Schweizer Kreuz auf der Jacke hinter der Landesflagge einlaufen durfte, war das das Grösste. Wenn wir diese Gefühle bei unseren Athleten auslösen können, ist das genial.

Ist das nicht zu patriotisch?
Ich finde nicht. Gerade das ist das Schöne am Sport. Es ist nicht alles gut bei Olympia und beim IOC, keine Diskussion. Aber das Symbol der fünf Ringe und der Teams, die für ihre Flagge antreten, ist toll.

«Fürs IOC arbeiten? Sicher nicht!»

Könnten Sie sich vorstellen, eines Tages beim IOC zu arbeiten? Nein, sicher nicht. Da geht es noch mehr um Politik, was mir nicht behagt. Und ich bin jetzt als Frau in einem Alter...

...wo die Familienplanung ein Thema wird?
Ja (lacht). Sicher nicht heute und morgen. Aber ich kann es mir vorstellen, Kinder zu bekommen.

Wie viel Sport treiben Sie heute noch?
Früher waren es 45 Stunden, jetzt zehn. Nach dem Karriereende musste ich erst einmal damit klarkommen – es war der Horror für meinen Körper. Das ist nicht nur eine mentale Sache. Mir fehlten schlicht die Glückshormone, welche beim Sport vom Körper ausgeschüttet werden.

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So funktioniert die Sporthilfe

Die Schweizer Sporthilfe ist eine Stiftung von Swiss Olympic. Und eine nicht-subventionierte Non-Profit-Organisation. Sie wurde 1970 gegründet und hilft Athleten, ihren Traum vom Profi-Sport zu verwirklichen.

924 Athleten wurden 2017 unterstützt

Im letzten Jahr profitierten 394 Athleten in 77 Sportarten von Fördergeldern zwischen 6'000 und 36'000 Franken. Dazu kommen 530 Patenathleten, welche direkt von ihrem jeweiligen Paten mit 2000 Franken unterstützt werden. Total wurden so 8,7 Millionen Franken weitergegeben. CEO Dominique Gisin erklärt den Prozess: «Swiss Olympic und die Verbände empfehlen uns Athleten, die unterstützungswürdig sind. Solche, die Potenzial haben, aber finanzielle Unterstützung benötigen.» Dann wird entschieden. «Das Geld geht dahin, wo es gebraucht wird. Nino Schurter und Beat Feuz verzichten darauf, ist doch klar. Sie generieren selbst genügend Mittel.» Über die Hälfte der Gelder stammt von den Lotterie-Gesellschaften, der Rest von der Wirtschaft und der Bevölkerung – also Gönnern.

Um von der Sporthilfe zu profitieren, muss ein Athlet nicht zwingend eine olympische Sportart betreiben – der Sport muss aber von Swiss Olympic anerkannt sein. Nicht nur Nachwuchsathleten wird geholfen. Auch die 27-jährige Ruder-Weltmeisterin Jeannine Gmelin wird beispielsweise berücksichtigt. Warum? Weil sie den Aufwand ihres Sports nicht alleine durch Sponsoren und anderen Einnahmen ausgleichen kann. Sporthilfe-Präsident Bernhard Heusler: «Wir wollen die Wirtschaft und die Bevölkerung noch mehr mobilisieren. Denn: Als Amateursportler schafft man es heute nicht mehr, an Gross-Events um Medaillen zu kämpfen.» 

Ab Sommer 2019 sollen die 500 besten Athleten der Schweiz als «Team Suisse» auftreten. So, wie es bei Olympia das «Team USA» oder «Team GB» (Grossbritannien) gibt. Damit will man die Zusammengehörigkeit der verschiedenen Schweizer Sportler fördern und gegen Aussen vermehrt die Anliegen der Sporthilfe aufmerksam machen.

Olympia-Medaillen und Einwohner pro Medaille Pyeongchang 2018

1.Liechtenstein137'531
2.Norwegen39133'229
3.Schweiz15552'465
4.Österreich14615'078
5.Schweden14699'919
6.Holland20846'826
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