Del Curto erinnert Janka an all seine Siege
«Dir können doch alle den Buckel runterrutschen»

Arno Del Curto (60) ist in St. Moritz aufgewachsen. Der Obersaxer Carlo Janka (30) will dort bei seiner Heim-WM Abfahrtsgold gewinnen. Zwei Bündner wie Feuer und Eis, verbunden durch ihre Leidenschaft zum Sport.
Publiziert: 04.02.2017 um 23:55 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 03:00 Uhr
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Gegensätze ziehen sich an: Vulkan Del Curto (l.) und Iceman Janka trafen sich in Bad Ragaz.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Marcel W. Perren, Erich Morger (Interview) und Benjamin Soland (Fotos)

Arno Del Curto, Fussball-Fan Carlo Janka hat mal gesagt: «Eishockey ist eine Sportart, die diese Welt nicht braucht!» 2013 hat er mit Davos trainiert, seither ist er Hockey-Fan. Was haben Sie mit ihm gemacht?
Arno Del Curto
: Carlo kam nach Davos, weil sein Konditionstrainer Michi Bont für uns tätig ist. Er hat mit meinen Spielern trainiert, danach beim Kaffeetrinken wohl schnell gemerkt, dass meine Spieler richtig gute, überhaupt nicht arrogante Menschen sind. Ich habe zwar ein paar «Verrückte» im Team, aber die sind alle herzensgut. Übrigens: Obwohl Carlo auf dem Eis kaum Erfahrung hatte, hat er im Training richtig gut aus-gesehen.
Carlo Janka: Du hast mein erstes Eistraining deutlich blumiger beschrieben, als es für mich war. Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Im Konditionstraining hatte ich keine grösseren Probleme, aber auf den schmalen Kufen auf dem Eis war ich teilweise überfordert.
Del Curto: Ja, klar. Aber meine Spieler haben dich so unterstützt, dass du danach viel Spass hattest.
Janka: Stimmt. Und ich habe gemerkt, dass sich Skifahrer und Eishockeyaner vom Naturell her sehr ähnlich sind. Wir stammen halt fast alle aus den Bergen. Deshalb kann man die Schwinger auch noch dazu nehmen. Im Gegensatz zu den Fussballern würde ein Hockeyaner, Schwinger oder Skirennfahrer nie mit einer Handtasche herumlaufen. Arno, du kennst nun meine Eislaufkünste, aber wie war denn dein Fahrstil auf Ski?
Del Curto: Ganz weit von deinem entfernt. Mein Skistil war: Beine zusammenklemmen und hinten rein sitzen. Ich komme kaum noch zum Skifahren, aber wenn, dann fahre ich noch genau gleich. Am liebsten über Buckelpisten. Weil ich aus einer klassischen Engadiner Ski-Familie stamme, habe ich als Kind die verrücktesten Dinge im Schnee aufgeführt.
Janka: Erzähl bitte ein Beispiel?
Del Curto: Ich bin in St. Moritz mit den Langlauf-Ski mehrmals die WM-Piste Corviglia hinunter gefahren und dabei fürchterlich «uf d Schnorra ghait». Mein Vater war Sprungrichter und Chef der Olympiaschanze in St. Moritz. Deshalb hat man mich auch regelmässig auf den Sprungschanzen angetroffen. Meine Springer-Laufbahn ging aber ziemlich bös zu Ende!
Janka: Was ist denn passiert?
Del Curto: Nachdem ich die Dreissig- und die Sechzigmeterschanze ordentlich im Griff hatte, wagte ich mich auf die grosse Olympiaschanze. Es blieb aber bei einem Sprung. Es hat mich so zerlegt, dass ich auf dem Rücken keine Haut mehr hatte. Danach nahm ich allen Mut zusammen, um meinem komplett skiverrückten Vater zu sagen, dass ich die Langlauf- und Sprung-Ski in den Keller stelle und bereits seit einem Jahr Eishockey spiele.
Janka: Wie hat dein Vater reagiert?
Del Curto: Er war so beleidigt, dass er zwei Jahre praktisch kein Wort mehr mit mir sprach. Dafür hat er dann den späteren Schweizer Skisprung-Chef Berni Schödler quasi als Ersatzsohn betrachtet. Irgendwann war er trotzdem stolz auf meine Karriere im Eishockey. Er wurde zu meinem besten Freund und zu meinem Vorbild. Das waren noch andere Zeiten. Damals hat man in der Schule vom Lehrer noch einen «Chlapf» bekommen, wenn man nicht anständig war. Oder man hat eins auf die Finger gekriegt.
Janka: Die Prügelstrafe in der Schule habe ich nicht mehr erlebt. Bei uns in Obersaxen musste man nach einem Seich zur Strafe ein Gedicht auswendig lernen und vor der Klasse vortragen. Den «Ochs am Berg» konnte ich auswendig ...
Del Curto: Was ich dir von St. Moritz noch erzählen wollte: Bei der WM 1974 war mein Vater Präparationschef des Slalom-Hangs. Ich habe damals im Ausgang in St. Moritz einige Rock’n’Roller unter den Skifahrern getroffen. Ich denke da vor allem an Roland Collombin oder Franz Klammer. Trotzdem sind diese Jungs am nächsten Tag sackstark Ski gefahren.
Janka: Diese Zeiten sind bei uns vorbei. Bode Miller war glaube ich unser letzter Rock’n’Roller. Obwohl ich sagen muss, dass ich bei keiner von Bodes angeblichen nächtlichen Eskapaden dabei war. So kann ich auch nicht seriös beurteilen, ob Bode wirklich derart auf die Pauke gehauen hat, wie man es manchmal lesen konnte.
Del Curto: Solche Typen gibt es auch im Eishockey seit zehn Jahren kaum mehr. Ich habe einen einzigen Spieler, auf den ich diesbezüglich etwas genauer schauen muss. Namen werde ich selbstverständlich keinen nennen.

Sie beide sind vom Typ her völlige Gegensätze: Vulkan Del Curto und Iceman Janka.
Del Curto:
Halt, dass ich ausflippe und Spieler laut zusammenstauche, das gibt es ganz selten. Doch wenn ich an der Bande stehe, bin ich jede Sekunde ein Vulkan. Aber immer für die Sache und nur, wenn es ums Eishockey geht. Verliere ich das Feuer, kann ich aufhören.

Carlo, waren Sie abseits der Kameras auch mal ein Vulkan?
Janka:
Es gibt schon Dinge, die mich sehr freuen oder aufregen. Aber das sieht man mir nicht an. Nur wer mich gut kennt, der weiss, wenn ich mich richtig ärgere.

Ihr liebt beide die Musik. In Luzern habt ihr letzten Sommer ein besonders hartes Konzert besucht – Rammstein!
Janka:
Das war eines der Highlights des letzten Sommers. Ich bin mit Metallica und Rammstein gross geworden. Unmittelbar vor einem Wettkampf höre ich zwar keine Musik, aber im Auto wirds manchmal schon ziemlich laut. Deshalb war es für mich etwas ganz Grossartiges, dass ich Rammstein live sehen durfte. Aber im Gegensatz zu Arno habe ich keinen persönlichen Draht zu dieser Band.

Del Curto: Ja, der Schlagzeuger von Rammstein (Christoph Schneider, Anm. der Red.) ist ein riesiger Eishockey-Fan und stand vor rund zehn Jahren während des ganzen Spengler Cups neben mir an der Bande. Ich fuhr schon damals total auf ihren Sound ab. Wir hören Rammstein oft in der HCD-Garderobe. Obwohl: Meine Lieblingsband ist «Rage Against the Machine». Diese Musik ist grandios, zudem ist der Sänger ein intelligenter Rebell.

Dieser Sänger kämpft gegen das Establishment. Wie Donald Trump. Finden Sie ihn auch gut?
Del Curto:
Nein. Und wer sagt denn, dass Trump wirklich gegen das Establishment kämpft? Warten wir mal ab, was noch alles passiert. Das könnte richtig sch... werden.

Janka: Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Geschichte mit Trump auf Dauer gut geht. Grundsätzlich finde ich Leute gut, die aufrütteln. Aber sicher nicht in Trumps Ausmass.

Del Curto: Lasst uns wieder über den Sport diskutieren. Carlo, was ich schon lange fragen wollte: Weisst du eigentlich in einem Wettkampf während der Fahrt genau, wie gut du unterwegs bist? Bekommst du von aussen Signale, wenn du bei der Zwischenzeit zurück liegst?

Janka: Nein. In den technischen Disziplinen merkst du meist selber, wie du dran bist. In der Abfahrt ist die Selbsteinschätzung vor allem aufgrund der Gleitpassagen, in denen das Material oft wichtiger ist als die eigene Leistung, viel schwieriger.

Del Curto: Wenn du also im Riesenslalom einen Fehler machst, sagst du dir: Sch..., jetzt muss ich alles riskieren – koste es, was es wolle!?

Janka: Solche Situationen gibt es.

Del Curto: Arbeitest du mit einem Mental-Trainer zusammen?

Janka: Nein, ich hatte immer das Gefühl, dass ich diesen Bereich selber ganz gut im Griff habe. Ich habe 2009 WM-Gold im Riesenslalom gewonnen, obwohl ich als Führender nach dem ersten Lauf besonders unter Druck stand. Bei meinem Riesen-Olympiasieg 2010 war es genau gleich. Aber ich muss zugeben, dass es mit zunehmendem Alter schwieriger wird, mit solchen Drucksituationen umzugehen.

Als Sie 2009 beim WM-Riesen erstmals in Ihrer Karriere bei Halbzeit in Führung lagen, hat Sie Ihr Trainer Jörg Roten eine Stunde vor der Entscheidung ganz entspannt vor einem Teller Pommes Frites angetroffen. Als er Sie an die Bedeutung des zweiten Laufs erinnern wollte, sollen Sie geantwortet haben: «Auf diesem Berg kann ich mich nur selber schlagen.» Würden Sie heute gleich antworten?
Janka:
Nein, dafür fehlt mir heute die jugendliche Unbeschwertheit.

Del Curto: Aber du musst wieder genau so denken lernen. Ich habe diese Denkweise auch nie verloren.

Janka: Wenn wir schon über mentale Stärke reden – du sollst ein guter Poker-Spieler sein. Wie häufig trifft man dich am Poker-Tisch an?

Del Curto: Sehr selten. Der Chef des Kristall Clubs des HCD ist in den letzten Jahren ein Freund von mir geworden. Mit ihm habe ich erstmals ein Poker-Turnier besucht. Ich war von Anfang an total fasziniert von dieser Szene. Da wimmelt es von hochbegabten Typen. Banker, Psychologen, Physiker und Mathematiker. Einer, der dumm ist und mit hohem Risiko spielen will, ist gegen diese Typen chancenlos. Seitdem war ich ein paar Mal bei der EM in Monaco und zwei Mal bei der WM in Las Vegas.

Wie qualifizieret man sich dafür?
Del Curto:
Man kann sich einkaufen. Mein Problem ist, dass ich ohne Spielpraxis an diese Turniere komme. Ich gehe nie ins Casino, spiele lediglich ab und zu online. Aber online und live ist nicht dasselbe. Deshalb fehlt mir am Pokertisch das Gefühl.

Janka: Stimmt. Ich pokere auch leidenschaftlich gerne, aber im Gegensatz zu dir kann ich in dieser Sparte keine WM- und EM-Teilnahmen vorweisen.

Del Curto: Wenn du in St. Moritz Weltmeister wirst, kommst du mit mir nach Monte Carlo und ich lade dich an die EM ein!

Janka: Okay, abgemacht. Aber da muss ich noch ordentlich trainieren, wir haben früher teamintern deutlich mehr gespielt. Speziell mit Beat Feuz habe ich viel gepokert. Und ich habe einmal ein Turnier im Poker-Mekka Las Vegas mit meinem Kumpel Diego Züger gespielt, gewonnen haben wir aber nichts.

Del Curto: Gibt es auf der Abfahrt in St. Moritz eine Stelle, wo du speziell gamblen musst?

Janka: Eher nicht. Es kann aus einer speziellen Situation heraus entstehen. Wenn ich einen Rückstand kompensieren müsste, dann werde ich vielleicht irgendwo gamblen.

Carlo, Sie haben in St. Moritz ein Heimspiel, was zumindest im Eishockey ein Vorteil ...

Del Curto: (geht sofort dazwischen) Auch im Eishockey ist ein Heimspiel manchmal eher eine Belastung als ein Vorteil. Die Berner sind im letzten Winter Meister geworden, obwohl sie vom Playoff-Viertelfinal bis in den Final immer zuerst auswärts spielen mussten.

Janka: Ich glaube, dass eine Heim-WM auch eine zusätzliche Belastung darstellen kann. Der Heimvorteil könnte zum Tragen kommen, wenn wir gleich im ersten Rennen eine Medaille gewinnen. Im Team würde Ruhe einkehren und Medien wie Fans würden bei den folgenden Rennen für eine noch bessere Stimmung sorgen. Aber bei einem Fehlstart würde immer mehr Unruhe von aussen in unser Team hineingetragen.

Del Curto: Carlo, dir kann eigentlich egal sein, was die Medien über dich schreiben. Dir können doch alle den Buckel runterrutschen. Du bist Olympiasieger und Weltmeister. Zudem hast du den Gesamtweltcup gewonnen. Wie viele Schweizer gibt es, die das von sich behaupten können?

Janka: Das weiss ich gar nicht.

Pirmin Zurbriggen ist neben ihm der einzige Schweizer Weltmeister, Olympia- und Gesamtweltcupsieger.
Del Curto:
Unglaublich, damit bist du in meiner Gunst nochmals gestiegen. Ich hoffe jetzt, dass du wieder in den Fluss kommst. Denk an mich, wenn du runterfährst. Wie ich unten stehe, winke und warte, bis wir den Sieg zusammen feiern können. Ich werde dich vor der Abfahrt anrufen. Und dich daran erinnern. An alles, was du gewonnen hast. Ich bin mir sicher, dass du in St. Moritz eine Medaille gewinnst.

Janka: Ich werde alles tun dafür!

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