Wer von Adolf Ogi durch sein Kandersteg chauffiert wird, der braucht Zeit. Im Schritttempo geht es durchs Dorf. Jedes Gebäude, jeder Winkel seiner Heimatgemeinde ist voll von Erinnerungen. Verbunden mit Geschichten und Geschichte. «Hier, dem Bach entlang, verläuft die Bundesrat Adolf Ogi-Strasse. Hier war ich mit dem französischen Präsidenten François Mitterrand spazieren. Ich habe ihm gesagt: ‹Das sind die Champs-Élysées von Kandersteg.›» Einige Meter weiter der nächste Halt: «Hier habe ich jeweils Kofi Annan, den ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, untergebracht, wenn er in Kandersteg zu Besuch war.» Wir kommen zum historischen Ruedihuus. «Da habe ich mit Prinz Charles gegessen. Und auch mit dem belgischen König und seiner Frau.» Es geht etwas bodenständiger weiter. «Das Gemeindehaus hat mein Vater mitbauen lassen. Und all die Lawinenverbauungen da oben sind auch sein Werk.» Der nächste Stopp. «In dieser Überbauung habe ich für meine Frau und mich eine Alterswohnung reserviert. Und da hinten ist das Blüemlisalphorn. 3661 Meter hoch. Da war ich als Elfjähriger erstmals oben.» Die Fahrt geht weiter zur Bahnhofstrasse. «Da oben, mitten im Dorf, war früher die Sprungschanze. Nach der Landung führte der Auslauf durch einen Tunnel unter der Eisenbahnlinie direkt auf den Bahnhofplatz. Einmalig in der Skiwelt! In der neunten Klasse war ich Schülermeister.»
Trainiert hat auf dieser Schanze auch der Vater von Adolf Ogi, der 1935 in der Hohen Tatra WM-Teilnehmer in der nordischen Kombination war. Die Fahrt durchs Dorf geht vorbei an Ogis Elternhaus. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite steht sein Chalet, in dem auch Tochter Caroline eine Wohnung hat. «Da war früher ein Stall, da wurden im Zweiten Weltkrieg die kranken Esel der Armee gepflegt und wieder aufgepäppelt», sagt Ogi und lacht. Dann endet die Fahrt bei den vier Sprungschanzen in Kandersteg. Einem Herzensprojekt des Mannes, dem das «Freude herrscht» beim Anblick der Sprungschanzen ins Gesicht geschrieben steht.
Blick: Adolf Ogi, die Schweiz bewirbt sich um die Austragung der Olympischen Winterspiele 2030. Ist das eine gute Idee?
Adolf Ogi: Das ist eine hervorragende Idee. Der Zeitpunkt ist ideal. Wir wachsen an grossen Aufgaben und entwickeln uns nicht weiter, wenn wir nur verwalten. Wir müssen uns der Welt präsentieren. Wir sind ein Wintersportland, das auch vom Wintertourismus lebt. Und wir haben die Infrastruktur, wir haben die Hotels, wir haben einen funktionierenden öffentlichen Verkehr. Natürlich: Der Zeitplan bis 2030 ist sportlich. Aber das ist möglich. Von den Infrastrukturen her könnten wir ja schon morgen Olympische Winterspiele durchführen.
Aber wollen wir auch?
Die Ausgangslage ist perfekt. Die Schweiz kann eine Pionierrolle spielen. Weg vom Gigantismus, zurück zu Demut und Bescheidenheit. Mit einem Bruchteil des Budgets der letzten protzigen Propaganda-Spiele in Sotschi und in Peking. Alles mit bestehender Infrastruktur und einem Konzept, das nachhaltig und vernünftig ist. Viele Skeptiker sind nach der Präsentation der Machbarkeitsstudie verstummt. Aber klar, man muss jetzt mit den Menschen reden und ihnen die Philosophie dieser Spiele und die olympische Idee erklären.
Von der Primarschule in Kandersteg BE zu einem der beliebtesten Bundesräte aller Zeiten. Die aussergewöhnliche Karriere von Adolf Ogi (81) hat schon fast märchenhafte Züge. Ogi besucht nach der Primarschule die Handelsschule, leitet kurz das Verkehrsbüro in Meiringen und wechselt dann zum Schweizer Skiverband. 1972 wird er bei den Olympischen Spielen in Sapporo als Medaillenschmid gefeiert. «Ogis Leute siegen heute» lautet das Motto, das dem Berner Oberländer schon in jungen Jahren zu grosser Popularität verhilft. 1987 wird Ogi mit 45 Jahren in den Bundesrat gewählt. Seine fehlende akademische Ausbildung wird in gewissen Medien zum Thema. «Mein Vater hat mich zur Seite genommen und gesagt: Wenn du demütig bleibst und dem Volk dienst, dann klappt das schon.» Nach seiner Zeit im Bundeshaus wird Ogi Sonderbeauftragter für Sport bei der Uno. Er engagiert sich weiter für den Sport, ist mit seiner Stiftung «Freude herrscht» engagiert und ist auch Ehrenpräsident von Swiss Olympic. Ogi ist verheiratet, seine Tochter Caroline führt ein Hotel im Wallis. Sein Sohn Mathias ist 2009 nach schwerer Krankheit gestorben.
Von der Primarschule in Kandersteg BE zu einem der beliebtesten Bundesräte aller Zeiten. Die aussergewöhnliche Karriere von Adolf Ogi (81) hat schon fast märchenhafte Züge. Ogi besucht nach der Primarschule die Handelsschule, leitet kurz das Verkehrsbüro in Meiringen und wechselt dann zum Schweizer Skiverband. 1972 wird er bei den Olympischen Spielen in Sapporo als Medaillenschmid gefeiert. «Ogis Leute siegen heute» lautet das Motto, das dem Berner Oberländer schon in jungen Jahren zu grosser Popularität verhilft. 1987 wird Ogi mit 45 Jahren in den Bundesrat gewählt. Seine fehlende akademische Ausbildung wird in gewissen Medien zum Thema. «Mein Vater hat mich zur Seite genommen und gesagt: Wenn du demütig bleibst und dem Volk dienst, dann klappt das schon.» Nach seiner Zeit im Bundeshaus wird Ogi Sonderbeauftragter für Sport bei der Uno. Er engagiert sich weiter für den Sport, ist mit seiner Stiftung «Freude herrscht» engagiert und ist auch Ehrenpräsident von Swiss Olympic. Ogi ist verheiratet, seine Tochter Caroline führt ein Hotel im Wallis. Sein Sohn Mathias ist 2009 nach schwerer Krankheit gestorben.
Die lautet?
Eine bessere, friedlichere Welt geht über die Jugend. Die Jungen von heute sind die Leader von morgen. Wir können jetzt einen grossen Beitrag leisten. Man kann den Gigantismus nicht immer nur kritisieren und den Kopf schütteln. Man muss beweisen, dass es auch anders geht. Diese Chance haben wir jetzt.
Ist das IOC bereit für diesen riesigen Schritt zurück zur Vernunft?
Dieser Weg ist alternativlos. Darum ist das IOC auch auf die Schweiz zugekommen. Es muss auch bei der olympischen Bewegung eine Zeitenwende geben. Die Olympischen Spiele sind auf dem Prüfstand. Wenn das IOC die Zeichen der Zeit nicht erkennt, dann kann ihm irgendwann niemand mehr helfen. Dann entfernt man sich immer mehr von den Menschen, dann droht von gewissen Nationen eine Abspaltung. Das wäre das Ende der olympischen Idee.
Zurück zur Vernunft ist auch eine existenzielle Frage?
Ja. Nicht nur für das IOC. Auch die Fifa muss aus dem Krisenmodus finden. Jetzt vergibt sie die WM an Saudi-Arabien. Das ist unverständlich und wird einige westliche Demokratien in Zugzwang bringen.
Also gibt es gar keine Alternative zu Olympischen Winterspielen in der Schweiz?
Es gibt noch Interesse in Schweden und Frankreich. Aber Frankreich hat im nächsten Jahr schon die Sommerspiele. Für mich ist klar: Das IOC muss der Schweiz diese Spiele geben. Und zwar ohne Vorgaben und Forderungen und mit den 710 Millionen Franken Kostenbeteiligung, die im Raum stehen. Dann kann man diese Spiele mit einem Budget von 1,5 Milliarden praktisch ohne Steuergelder finanzieren.
Sie fürchten eine Volksabstimmung?
Nein. Ich glaube, dass eine Mehrheit der Bevölkerung mehr die Chancen als die möglichen Risiken sieht. Mit kleinen, feinen Spielen im Herzen der Alpen könnte die Schweiz auf dem Weg zurück zur Vernunft eine historische Rolle spielen.
«Gerade in diesen schwierigen Zeiten müssen wir etwas anpacken. Das sind wir auch der Jugend schuldig», sagt Adolf Ogi zu möglichen Olympischen Winterspielen in der Schweiz. Eine dieser hoffnungsvollen jungen Sportlerinnen ist die 15-jährige Giulia Belz. Sie ist die Tochter von Christian Belz, des ehemaligen Spitzen-Leichtathleten, der selber zweimal bei Olympischen Sommerspielen dabei war.
Einen Grossteil des Winters verbringt die Familie Belz jeweils in Kandersteg BE. Giulia meldet sich vor einigen Jahren für ein Schnuppertraining auf den Schanzen an. Und ist sogleich fasziniert. Sie ist mittlerweile in der nordischen Kombination international erfolgreich und die grösste Hoffnungsträgerin des Landes.
Mittlerweile besucht Giulia das Skigymnasium im österreichischen Stams. Dort, wo auch zwei Kinder von Olympiasieger Hippolyt Kempf zur Schule gehen. Auch die beiden Söhne von Kempf sind im Skiklub Kandersteg und trainieren am Wochenende auf den Schanzen im Ort.
Giulia Belz springt von der Normalschanze schon zwischen 80 und 90 Meter weit. «Die Schanzen in Kandersteg ist top», sagt ihr Vater Christian. Die Vision Olympische Spiele ist natürlich auch in seiner Familie ein Thema. «Aber der Weg zu Olympischen Spielen ist für junge Sportler hart und steinig. Aber träumen davon darf man immer», sagt Papa Belz. (fbi)
«Gerade in diesen schwierigen Zeiten müssen wir etwas anpacken. Das sind wir auch der Jugend schuldig», sagt Adolf Ogi zu möglichen Olympischen Winterspielen in der Schweiz. Eine dieser hoffnungsvollen jungen Sportlerinnen ist die 15-jährige Giulia Belz. Sie ist die Tochter von Christian Belz, des ehemaligen Spitzen-Leichtathleten, der selber zweimal bei Olympischen Sommerspielen dabei war.
Einen Grossteil des Winters verbringt die Familie Belz jeweils in Kandersteg BE. Giulia meldet sich vor einigen Jahren für ein Schnuppertraining auf den Schanzen an. Und ist sogleich fasziniert. Sie ist mittlerweile in der nordischen Kombination international erfolgreich und die grösste Hoffnungsträgerin des Landes.
Mittlerweile besucht Giulia das Skigymnasium im österreichischen Stams. Dort, wo auch zwei Kinder von Olympiasieger Hippolyt Kempf zur Schule gehen. Auch die beiden Söhne von Kempf sind im Skiklub Kandersteg und trainieren am Wochenende auf den Schanzen im Ort.
Giulia Belz springt von der Normalschanze schon zwischen 80 und 90 Meter weit. «Die Schanzen in Kandersteg ist top», sagt ihr Vater Christian. Die Vision Olympische Spiele ist natürlich auch in seiner Familie ein Thema. «Aber der Weg zu Olympischen Spielen ist für junge Sportler hart und steinig. Aber träumen davon darf man immer», sagt Papa Belz. (fbi)
Das IOC lässt sich doch von der Schweiz nicht in Zugzwang bringen?
Wir haben 1928 und 1948 in ganz schwierigen Zeiten die Olympischen Spiele in St. Moritz organisiert. Das IOC hat seinen Sitz in der Schweiz. Wir haben ihnen auch in meiner Amtszeit als Bundesrat fast jeden Wunsch erfüllt. Juan-Antonio Samaranch hat mir unter vier Augen einst die Spiele 2006 in Sion versprochen. Dann kam Turin zum Zug. Die Enttäuschung darüber ist im Wallis und in der Schweiz immer noch spürbar. Das IOC steht der Schweiz gegenüber in einer Art Bringschuld.
Sion 2006 war eine schmerzliche Niederlage für Adolf Ogi.
Es war eine Niederlage für die Schweiz und für mich. Sie hat sehr wehgetan. Aber ich bin trotzdem Ehrenbürger von Sion geworden. Dass ich später nicht ins IOC gewählt worden bin, war dann nur eine persönliche Niederlage.
Hätte sich das Olympische Komitee mit Adolf Ogi anders entwickelt?
Das ist hypothetisch. Ich bin seit frühester Jugend beseelt vom Sport, ich hätte das damals gern gemacht. Und ich bilde mir schon ein, dass ich etwas hätte bewegen können.
Ist Bundesrätin und Sportministerin Viola Amherd auch so beseelt vom Sport und hat sie die Dynamik und Ausstrahlung für so ein Olympia-Projekt?
Es ist nicht an mir, diese Frage direkt zu beantworten. Was ich allerdings feststelle: Frau Amherd ist im Moment mit all den kriegerischen Auseinandersetzungen auf der Welt und mit einigen anderen Problemen, die in ihrem Departement zum Thema geworden sind, mit dem V für Verteidigung und dem B für Bevölkerungsschutz sehr ausgelastet. Da bleibt für das S, also für den Sport, nicht mehr allzu viel Zeit.
Der Sport scheint im VBS ein Mauerblümchendasein zu fristen. Müsste der Sport aufgrund seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung im Bundesrat nicht ein eigenes Departement sein?
Ich bin der Überzeugung, dass man mit nur sieben Departementen den immer komplexeren Herausforderungen und Belastungen kaum mehr gewachsen ist. Andere Länder haben auch 15 oder 17 oder 19 Minister. Und die sind ja nicht dümmer als wir. Man muss sich schon die Frage stellen, ob unser Regierungssystem noch zeitgemäss ist. Und im internationalen Wettbewerb bestehen kann.
Wenn Frau Amherd mittelfristig nicht das Zugpferd dieses Olympia-Projekts sein kann, wer soll das denn sonst machen? Adolf Ogi?
Wenn ich 20 Jahre jünger wäre, dann wäre der Reiz gross. Aber ich bin 81. Eine Wunschlösung mir grosser Strahlkraft wäre Roger Federer. Aber der hat immer noch einen vollen Terminkalender. Bernhard Russi ist auch nicht mehr der Jüngste. Es sind auch die Namen von Doris Leuthard und der ehemaligen Aargauer Ständerätin Pascale Bruderer gefallen. Aber für mich ist klar, wer das sein müsste. Wer der Macher wäre?
Wer?
Urs Lehmann. Er ist schon jetzt mit Frau Ruth Wipfli-Steinegger die treibende Kraft im Projekt. Lehmann hat wirtschaftliche Kompetenz, hat beste Beziehungen auch in die Politik, und er hat Swiss-Ski in den letzten Jahren toll geführt.
Bei diesen dezentralen Spielen sollen so viele Regionen wie möglich berücksichtigt werden. Ist das der richtige Weg?
Ja. Es sind Schweizer Spiele, die von allen Landesteilen getragen werden sollen.
Der Kanton Bern würde allenfalls die Eröffnungsfeier erhalten. Daneben steht Kandersteg für das Springen auf der Normalschanze und die nordische Kombination zur Disposition. Ist das nicht etwas wenig für diese Region?
Es ist noch nichts in Stein gemeisselt. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass man über Klassiker wie die Lauberhornabfahrt oder den Riesenslalom in Adelboden als mögliche Olympiarennen noch diskutieren müsste. Und dass Kandersteg zum Zug kommen könnte, ist grossartig. Kandersteg leistet einen enormen Effort, damit Skispringen und die nordische Kombination in der Schweiz nicht sterben. Auf diesen vier Schanzen wurden in den letzten Jahren 900'000 Sprünge absolviert. Olympische Winterspiele in der Schweiz und in Kandersteg, da würde sich für mich ein Kreis schliessen. Es wäre ein krönender Abschluss für mein Engagement im Sport.
Was fasziniert Sie am Skispringen?
Es braucht Mut, es braucht Disziplin. Es ist ein faszinierendes Zusammenspiel zwischen Körper und Ski. Und da kann man sich nicht in die Hosen machen. Der Sport ist eine gute Lebensschule, das Skispringen ist eine ausserordentlich gute Lebensschule.
Der 88-jährige Dölf Ogi steht 2030 an der Schanze, und der 49-jährige Simon Ammann springt. Eine schöne Vorstellung.
Etwas viel Träumerei. Ob Simon Ammann dann noch springt, ist fraglich, eine Legende ist er längst. Und ob ich dann das noch erleben würde, ist auch offen. Ich muss dankbar und froh sein, dass ich so alt geworden bin und geistig und körperlich immer noch rüstig bin. Und dass ich es als kleiner Kandersteger Primarschüler über den Direktor des Skiverbands bis in den Bundesrat geschafft habe.
Sie befassen sich mit dem Tod?
Ich bin bereit zu gehen. Natürlich wäre es schön, ich hätte noch einige Jahre. Als gläubiger Mensch setze ich mich auch mit dem Sterben auseinander. Und mit zunehmendem Alter auch etwas intensiver.
Haben Sie nie an Ihrem Glauben gezweifelt?
Als uns der liebe Gott unseren Sohn Mathias genommen hat, da hatte ich Zweifel. Ich war suchend und fragend und habe nie eine Antwort erhalten. Wir sind nicht die einzigen Eltern, die ein Kind verlieren. Aber ganz darüber hinweg kommen meine Frau, meine Tochter und ich nie.