Man hat sich daran gewöhnt, dass Wladimir Klitschko immer gewinnt. Über neun Jahre regierte der Ukrainer das Schwergewichtsboxen nach Belieben. Er kämpfte zwar selten überzeugend, aber immer erfolgreich. Gestern in Düsseldorf vor 50000 Zuschauern kämpfte er verzweifelt schwach und ideenlos. Als hätte man ihm verboten, zuzuschlagen. Um 0.36 Uhr verschwand er als grosser Verlierer mit stark angeschwollenem Gesicht in die Tiefen des Stadions. Ohne seine drei WM-Gürtel, dafür mit seiner hübschen Verlobten Hayden Panettiere im Arm. Wenigstens sie hat er noch.
Der neue Mann auf dem Thron ist zwölf Jahre jünger als der 39-jährige Klitschko. Er kommt aus Manchester und ist 2,06 m gross. Boxerisch nicht sehr appetitlich anzusehen, aber durch seine Grösse und seine Psychospielchen ein harter Brocken als Gegner, schwierig zu treffen, kaum zu ertragen.
Tyson Fury zuckt während des Kampfes ständig mit dem Kopf und dem Oberkörper. Mit den Handschuhen wischt er imaginäre Geister vor dem Gesicht weg. Die Arme lässt er provokativ hängen, oder verschränkt sie gar hinter dem Rücken. Er lacht dem Gegner ins Gesicht, hält ihm beide Wangen hin, provoziert ihn mit Worten, wechselt die Auslage von links auf rechts und zurück. Er will den Gegner offensichtlich nicht nur besiegen, sondern auch demütigen. Klitschko jedenfalls brachte er so völlig aus dem Konzept und aus dessen Routine. Diese Taktik und ein paar wenige gute Treffer reichten bereits zu der von den Kampfrichtern einstimmig verkündeten Box-Sensation.
Jetzt steht der Brite auf der ganz grossen Bühne, zumindest bis zum Rückkampf, der vertraglich bereits ausgemacht ist, was Klitschko eine Chance zum Comeback gibt. Ausser der Wladimir tut es Bruder Vitali gleich und hängt die Boxhandschuhe nun an den Nagel.
Und Tyson Fury? Durch seine Thronbesteigung bringt er neuen Schwung ins Schwergewichtsboxen. Doch der Mann irritiert. Beseelt von Gott warnt er die Menschheit, dass der Teufel die Welt im Würgegriff habe, sie sehr bald untergehen wird. Er prangert Homosexualität und Abtreibung an und glaubt, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Pädophilie legalisiert sei, dann hätte der Teufel sein Werk vollendet und wir würden alle untergehen.
Nicht überraschend bedankte er sich nach dem Kampf bei Gott und Jesus. “Sie haben mir die Kraft gegeben, diesen Kampf zu gewinnen.” Dann weinte der Riese, der sich als David sieht, der mit Gotteskraft das Goliath-Monster Klitschko besiegte. Später sang er noch ein Ständchen für seine Frau, die ebenfalls mit Tränen in den Augen im Ring stand. Das Singen hörte sich dann besser an, als der unterirdisch schlechte 12-Runden Kampf zuvor anzuschauen war.
Das Nachwort gehörte Klitschkos Verlobten und er wird ihren geschlagenen Liebsten getröstet haben: “Wladimir ist kein Verlierer”, säuselte die US-Schauspielerin. “Er ist und bleibt mein Champion.” Daraufhin stieg Wladimir auf die Seile in der Ringecke, die Daumen hochgestreckt, und liess sich ablichten und abfeiern. Es war das absurde Ende eines irren Abends.