Volkan Oezdemir ist der einzige Schweizer UFC-Profi
«Ich rieche das Blut, wenn ich jemanden ausknocke»

Er jobbte in der Bar seines Vaters, jetzt schuftet der Fribourger Käfig-Kämpfer Volkan Oezdemir (27) in den USA an seinem Traum vom WM-Titel. Und ist zu allem bereit: «Wenn ich meine Faust ins Ziel bringe, verletze ich Menschen.»
Publiziert: 27.07.2017 um 21:20 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 15:51 Uhr
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Volkan Oezdemir ist der einzige Schweizer UFC-Profi.
Foto: Getty Images
Emanuel Gisi

Der Mann macht kurzen Prozess. Es ist der 28. Mai 2017 und Volkan Oezdemir braucht in der Globen-Arena von Stockholm nicht lange, bis sein Gegner nicht mehr kann. Der 27-Jährige pariert einen Tritt, zwei, drei Schläge von Misha Cirkunov, dreht sich dann nach rechts weg – und haut selber zu. Mit einer Rechten schickt der Mann aus Fribourg den Letten zu Boden. K.o. nach 28 Sekunden!

Es ist der nächste Hammerschlag in einer Karriere, die plötzlich nur noch steil nach oben geht. Der Schweizer Mixed-Martial-Arts-Kämpfer Volkan Oezdemir ist gerade einer der heissesten Shooting-Stars in der Ultimate Fighting Championship (UFC), der grössten MMA-Division der Welt.

Im Februar kommt er in Houston, Texas, kurzfristig zu seinem UFC-Debüt, weil sich ein anderer Fighter verletzt. Sein Punktsieg über Routinier Ovince St. Preux zeigt: Der Sohn eines Türken und einer Schweizerin ist mehr als ein Lückenbüsser. Nach dem Cirkunov-Kampf in Stockholm wird er bereits als Nummer 4 in der Light-Heavyweight-Klasse der Käfig-Kämpfer geführt.

Der Blitz-Sieg katapultiert ihn in ungeahnte Sphären. «Ein K.o. für Snapchat», jubelt sein Manager Frédéric Englund über den 28-Sekunden-Triumph. Will heissen: Der Kampf ist so schnell vorbei, dass sich auch ein leicht abzulenkender Millennial mal kurz darauf konzentrieren kann.

Was Boxen für frühere Generationen von Kampfsport-Fans war, scheint UFC gerade für die Generation Snapchat zu werden. Einfach noch extremer: Statt in einem Ring finden die Kämpfe in einem Käfig statt, auch am Boden darf geschlagen, getreten und gerungen werden, es spritzt mehr Blut. Oezdemir bietet, was MMA derzeit so populär macht: Er ist furchtlos, gnadenlos, spektakulär.

Ein paar Tage nach dem Fight in Stockholm ist Oezdemir, der seit anderthalb Jahren in Florida lebt, zu Besuch in der Heimat. «Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht», sagt er über seinen jüngsten Triumph und vielleicht meint er damit auch seinen kometenhaften UFC-Aufstieg. «Aber ich wusste, dass ich ihn in der ersten Runde ausknocke. Wenn ich meine Faust ins Ziel bringe, dann verletze ich Menschen.»

Das klingt brutal und es wird noch härter. «Ich rieche das Blut», beschreibt Oezdemir den Moment, bevor er einen Gegner ausknockt. «Wenn ich sehe, dass er angeschlagen ist, gibt mir das noch einmal zusätzliche Energie.» Eine Eigenschaft, die nicht jeder hat, auch unter Kampfsport-Profis. «Es ist dieser ‹Will To Kill›, der mich besonders macht», sagt Oezdemir. Er spricht leise, konzentriert. «Ich habe kein Problem damit, meinem Gegner Schmerzen zuzufügen. Für mich ist es ein Spiel. Nach dem Kampf ist es vorbei, dann reichen wir uns die Hände.»

Eine Kampfmaschine also. Oder? Wer den 92-Kilo-Brocken erlebt, wie er mit seinem Hundewelpen Nacho spielt, ihm zuhört, wie er zärtlich über seine Freundin («Stephanie hat überhaupt nichts mit MMA zu tun. Sie ist grossartig, selbstbewusst.») spricht oder über seine Eltern, ist sich nicht so sicher. «Er ist im Käfig ein ganz anderer Mensch», sagt Frédéric Englund, sein bester Freund, der gleichzeitig auch sein Manager ist. «Sein Vorname ist perfekt für Volkan. Er ist der entspannteste Mensch, den ich kenne. Und dann im Käfig explodiert er.»

Seit sie sich mit 14 Jahren kennenlernten, sind Oezdemir und Englund Freunde. «MMA war gar nicht mein Ding. Ich war überhaupt kein Fan. Interessant fand ich es erst, als ich gesehen habe, wie gut Volki ist. Jetzt arbeiten wir zusammen an seinem Traum vom WM-Titel.»

Grosses Geld gab es bisher nicht zu verdienen, rund 50 000 Dollar hat er für seine beiden UFC-Fights kassiert. «Manchmal macht man nicht so viel Geld», sagt Oezdemir. «Trotzdem muss man seinen Coach, seine Trainings, sein Leben bezahlen. Das ist manchmal hart. Aber ich wusste, es würde etwas passieren. Man ist nur ein Kämpfer, wenn man nicht aufgibt. Ich wusste immer, dass ich weitermachen will.»

In der Bar gejobbt

Darum jobbte er nebenbei. «Mein Vater hat in Fribourg eine Bar geführt, einen türkischen Kulturtreff. Da habe ich alles gemacht: Service, Türsteher, Barmann.» Seit seinem Umzug nach Boca Raton, Florida, ist Oezdemir Profi. «Dort habe ich meinen Platz gefunden.»

Erst diese Woche kommt die Belohnung: Oezdemir unterschreibt einen neuen UFC-Vertrag über vier Kämpfe, ein sechsstelliger Betrag pro Fight ist ihm sicher.

Der Verlockung, sich statt zu trainieren an den nahen Strand zu legen, werde er nicht erliegen. «Man muss sich entscheiden. Ich habe meine Freundin und jetzt einen Hund, dazu ein paar Kumpel. Mit ihnen verbringe ich meine Freizeit. Der Rest ist Training.» Nächster Fixtermin: Am 29. Juli in Anaheim, Kalifornien. Dann wartet der Brite Jimi Manuwa. «Er war mein Wunschgegner», sagt der Schweizer über die Nummer 2 der Welt. Je stärker die Kontrahenten, desto rascher kommt die Chance auf den WM-Fight.

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BLICK-Kommentar von Emanuel Gisi: Brutal, aber nicht verboten!

Der erste Eindruck ist verheerend: Da liegt ein Mann auf seinem Gegner und haut ihm den Ellbogen gegen den Kopf. Immer wieder. Die Menge tobt und mir wird schlecht. Die grenzenlose Gewalt, die im Kampf-Käfig möglich zu sein scheint, sie schockiert. So geschehen vor ein paar Monaten bei einer MMA-Veranstaltung im Aargau, dem ersten Mal, dass ich mich der Sportart am Ring gestellt habe.

Nun – ich habe kein Problem damit, wenns im Sport mal knallt. Ich schreibe regelmässig übers Boxen, zwingen musste ich mich dazu noch nie. Eine rustikale Grätsche im Fussball? Her damit! Wenns im Hockey zum Faustkampf kommt? Ein Spass. Auch wenn ich weiss, dass die Schläge gegen den Kopf, die sich die Kontrahenten verpassen, auf Dauer ungesund sind.

Trotzdem muss ich mich erst an die brutalen Bilder gewöhnen, die im Oktagon entstehen. Man kann das Abstumpfung nennen. Und man kann sich aufrichtig darüber Sorgen machen, dass sich Idioten davon inspirieren lassen könnten, auf der Strasse zu prügeln. Nur können wir dann aus Angst vor Nachahmern auch Ego-Shooter-Games, Box-Fights und die Streif-Abfahrt verbieten.

Darum ist ein MMA-Verbot falsch. Die Athleten, die sich bei Fights von UFC oder kleineren Promotionen gegenüberstehen, kämpfen ja gerade nicht auf der Strasse. Sie tun es im Ring. Gegen Kontrahenten, die professionell vorbereitet sind. Denen sie nach dem Fight die Hand reichen. Wie im Boxen, wie im Fussball, wie im Hockey. Alles andere ist Geschmacksache.

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