Es war der Kampf, auf den die Boxwelt gewartet hatte. Zwei Schwergewichtler, die über elf Runden Spektakel bieten, vor 90'000 Fans im vollen Wembley Mut und Herz beweisen. Seit Anthony Joshua (27) vor einer Woche Wladimir Klitschko (41) k.o. geschlagen hat, ist Bewegung in die Glamour-Division des Boxens gekommen. Dank Joshua, dem jungen, aufregenden Champion.
«Ich habe vor dem Kampf gedacht, er sei ein überforderter Jungspund aus England», schwärmt Box-Legende Mike Tyson über den Weltmeister der Verbände IBF und WBA. «Aber dieser Fight hat das Boxen verändert. Man spricht jetzt wieder über Joshua und die Schwergewichtler.»
Doch nun droht Goldjunge Joshua bereits der erste Rückschlag. Der Brite könnte seinen ersten WM-Titel verlieren, bevor seine wohlverdienten Ferien vorbei sind. Schuld ist der Millionen-Poker um den IBF-Gürtel.
Hintergrund: Der Weltverband IBF führt Kubrat Pulew (36) als Pflichtherausforderer für den Weltmeister. Damit ist eigentlich klar: Joshua muss sich in den nächsten Monaten dem Bulgaren stellen. Ein Traumlos für diesen. «Jeder will so schnell wie möglich gegen Joshua boxen», sagt Pulews Promoter Kalle Sauerland zu BLICK. «Der Kampf gegen Klitschko hat gezeigt, dass er noch viel lernen muss. Das Reizvolle ist, dass er richtig zuschlagen, aber auch selber zu Boden gehen kann. Jeder in der Szene weiss, dass er auch im Training schon auf den Brettern war.»
Für den routinierten Weltklasseboxer Pulew ist das die Chance auf den Titel, eine Menge Geld und grossen Ruhm. Er könnte der Mann werden, der den neuen Superstar im Schwergewicht auf den Boden der Tatsachen zurückhämmert. «Er hat sich den Kampf erarbeitet», sagt Sauerland und denkt dabei auch ans eigene Portemonnaie. «Wir haben eine Menge in ihn investiert.»
Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn hier kommt Wladimir Klitschko ins Spiel. Der Ex-Weltmeister hat in seinem Vertrag eine Rückkampf-Klausel. Zieht er die, muss Joshua noch einmal gegen ihn antreten und Pulew aus dem Weg gehen. Dann gibts Ärger mit dem Weltverband IBF. Der müsste ihm dann den Weltmeister-Titel aberkennen, wie er es zuletzt bei Tyson Fury getan hat.
«Wir wollen den IBF-Gürtel nicht loswerden. Aber wenn es nötig sein sollte, haben wir kein Problem damit, genau das zu tun», sagt Joshua-Promoter Eddie Hearn der «Sun».
«Hearn pokert», behauptet Kalle Sauerland. Er und Hearn kennen sich schon lange, bereits ihre Väter waren im Box-Business grosse Nummern. «Mit einem Gürtel weniger verliert der nächste WM-Kampf an Glanz. Unsere Verhandlungsposition ist stark wie eine Wand.» Seit Tagen befinden sich Sauerland und Hearn in Verhandlungen. «Eine Lösung ist im Moment in weiter Ferne.»
Doch welche Möglichkeiten bleiben nun?
Szenario 1: Joshua tritt im Herbst gegen Pulew zur Titelverteidigung an. Der Austragungsort ist offen. «Pulew ist in Bulgarien ein Volksheld», sagt Sauerland zwar. Doch auch er weiss: In Joshuas Heimat Grossbritannien sind die wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen Box-Knüller deutlich besser. Davon würde auch Pulews Camp profitieren: Bei einem WM-Fight zwischen Titelverteidiger und Herausforderer gehen die Einnahmen laut Reglement zu 75 Prozent an den Champion und zu 25 Prozent an den Challenger.
Szenario 2: Joshua schwänzt entgegen den IBF-Anordnungen den Pulew-Fight und boxt stattdessen im Herbst zum Beispiel gegen Klitschko. Dann würde der Brite seinen IBF-Gürtel verlieren. Der Titel wäre vakant, Pulew dürfte gegen einen weiteren hoch eingeschätzten IBF-Boxer um diesen kämpfen. Wahrscheinlicher Gegner: Der Franzose Carlos Takam.
Kurzfristig entginge Pulew damit ein dicker Zahltag. Denn während es bei einem Joshua-Fight Millionen zu verdienen gibt, werden gegen Takam vergleichsweise kleine Brötchen gebacken. Doch der Sieger wäre Weltmeister und könnte dann aus besserer Position in einen WM-Kampf gegen Joshua steigen. Treten Champions gegeneinander an, wird bei den Einnahmen halbe-halbe gemacht. Das schenkt dann richtig ein.
Szenario 3: Joshua und Pulew einigen sich – das wahrscheinlichste der drei Szenarien. «Wir verstehen, dass die Fans das Rematch zwischen Klitschko und Joshua sehen wollen», sagt Sauerland, «wir wollen keine Spielverderber sein.» Aber Pulew wird die gute Miene zum bösen Spiel nicht ohne Abfindung machen. Sauerland will dazu eine fixe Zusage, wann der Sieger des Revanche-Fights gegen seinen Schützling antritt. Einigen sich die Promoter, dürfte die IBF, die auf eine BLICK-Anfrage nicht reagierte, einer Ausnahmeregelung zustimmen.
Und so hängt nun plötzlich alles doch wieder an Wladimir Klitschko. Er, der mit seiner jahrzehntelangen Dominanz die Schwergewichts-Klasse gelähmt hat, mag im Ring k.o. gegangen sein. Aber am Verhandlungstisch hat er immer noch alle Karten in der Hand.