Als Tyson Fury während des Ring-Interviews nach dem Kampf in Tränen ausbrach, wirkte es, als stünde da ein 2,06 Meter grosses Kind, dem gerade sein grösster Weihnachtswunsch erfüllt wurde. Es war der Moment, als man hinter die Clown-Maske des Briten sah, direkt in die Augen und die Seele eines sensiblen 27-Jährigen.
Diese Szene korrigierte ein wenig den Eindruck, den man zuvor vom Briten bekommen hatte. Seine verbalen Attacken gegen Wladimir Klitschko, die so hohl wie ausgelutscht waren.
Sein lächerlicher Auftritt als prügelnder Batman an einer Pressekonferenz im September. Sein Geschwafel vom anstehenden Weltuntergang, vom Teufel, der uns Menschen beherrsche. Und das Geplapper von seiner eigenen Rolle als David, der mit Hilfe von Gott und Jesus das Goliath-Monster namens Klitschko besiegen wird, diesen «Satans-Anbeter».
Zuckungen und imaginäre Geister vor der Stirn
Erleichterung, als das Vorspiel vorbei war und der Kampf in Düsseldorf vor 50'000 Fans endlich begann. Doch Fury pöbelte weiter, auch während der ukrainischen Hymne. Und es folgte ein irritierender Auftritt über 12 Runden.
Der Brite zuckte während des Kampfes ständig mit Hals und Kopf. Mit den Handschuhen wischte er imaginäre Geister vor der Stirn weg. Die Arme liess er provokativ hängen, oder verschränkte sie gar hinter dem Rücken.
Er lachte Klitschko ins Gesicht, hielt ihm beide Wangen hin, provozierte mit Worten, wechselte die Auslage von links auf rechts und zurück. Offenbar wollte er den Champion nicht nur besiegen, sondern auch demütigen. «Es ist meine göttliche Mission, das Boxen von diesem Langweiler zu befreien.»
Eine Handvoll harter Treffer reichten
Klitschko brachte er so völlig aus dem Konzept und aus dessen Routine. Der 39-Jährige, der elf Jahre lang das Schwergewichtsboxen praktisch nach Belieben dominierte, vergass in diesem Kampf alles, was er als Boxer gelernt hatte.
Fury reichten eine Handvoll harter Treffer zur Sensation. Sein Sieg war ein Spaziergang. Mit seinem Gehabe erinnerte er aber mehr als nur einmal an den übergeschnappten Jack Nicholson im Kult-Film «Shining».