Fritz spricht leise. «Einfach nicht die neueste Musik», bittet er. «Dieses Techno, das ist nichts für mich.» Der 71-Jährige steht im Boxclub Bern auf der Matte. Er hat Parkinson und kämpft hier gegen seine Krankheit. Die Musik braucht es zum Aufwärmen. Fritz hat Glück: Aniya Seki, 37, Profiboxerin, steht auch nicht auf Techno.
«Das kannst du härter», sagt die Boxerin zu Fritz. «Das glaube ich dir noch nicht.» Klare Kommandos, robuste Schläge – hier wird trainiert. «Vom Kopf aus schlagen. Ellbogen an den Körper», fordert Seki.
Wenn die Tochter eines Japaners und einer Schweizerin erzählt, dass sie eine Therapie für Parkinson-Patienten anbietet, erntet sie oft Unverständnis. Boxer, das sind doch die, die von den dauernden Schlägen gegen den Kopf Parkinson bekommen. Box-Legende Muhammad Ali ist nicht umsonst der berühmteste Parkinson-Patient aller Zeiten.
Doch das ist kein Widerspruch. «Wir trainieren Gleichgewicht, Koordination, Reflexe, Ausdauer, Konzentration, Schnelligkeit», sagt Seki. Bereiche, in denen Parkinson-Kranke schnell abbauen.
Sogar der Direktor der Universitätsklinik für Neurochirurgie am Inselspital Bern ist Fan. «Wir empfehlen dieses Training vielen Patienten», sagt Chefarzt Andreas Raabe. Durch den Sport werden Botenstoffe wie Dopamin und Serotonin ausgeschüttet, die Patienten fühlen sich besser.
Mehr noch: «Durch das Training können die krankheitsbedingten Verluste bei Reflexen und Koordination teilweise wieder kompensiert werden.» Zwar kann die Krankheit nicht besiegt werden. Aber ihr Verlauf wird gebremst. Das ist wertvoll. Raabe: «Die Patienten können durch das Training die Einbussen durch die Krankheit für Monate oder sogar Jahre verzögern.»
15'000 Menschen sind in der Schweiz von Parkinson betroffen. Fritz ist einer von ihnen. Thomas, 54, ein anderer. Auch er ist Teil von Sekis Trainingsgruppe. «Eines Tages konnte ich mit der Computer-Maus keinen Doppelklick mehr machen», sagt Thomas. Beim Arztbesuch habe er das eher beiläufig erwähnt. Als der Mediziner eine Reihe von Tests anordnete, schwante ihm Böses. «Als ich die Diagnose Parkinson bekommen habe, war ich erleichtert. Ich dachte zuerst, ich habe etwas Schlimmeres. Einen Hirntumor zum Beispiel.»
Vor sechs Jahren war das. Seither kann der 54-Jährige nicht mehr arbeiten. Dafür fährt er mit seinem Sohn Autorennen. «17 Rennen haben wir dieses Jahr bestritten», sagt er. «Wenn das Adrenalin durch den Körper schiesst, bin ich völlig entspannt.» Die Verkrampfungen, welche die Krankheit mit sich bringt, lösen sich. Das sei beim Boxen auch so. Ich bin für die Therapie wegen meiner Krankheit gekommen. Ich bleibe, weil es mir Spass macht. Es tut mir gut.»
Bei Fritz, der seine Diagnose vor zehn Jahren bekam, ist es ähnlich. «Ich war früher ein guter Tänzer», sagt er. Sein rechter Arm zittert. «Boxen ist fast wie tanzen, das gefällt mir.»
Eine Handvoll Parkinson-Patienten betreut Aniya Seki derzeit zusammen mit Bruno Arati, ihrem Coach. In den USA wurde sie auf das «Rock Steady»-Programm aufmerksam. Für die Profi-Boxerin ist klar: «Nach der Karriere möchte ich das hier grösser aufziehen. Wir haben bisher so viele gute Erfahrungen gemacht.» Dann möchte sie mit dem Angebot auch etwas Geld verdienen. «Bisher mache ich das ehrenamtlich.»
Bevor es soweit ist, sollen aber noch ein paar Gegnerinnen dran glauben. Nächstes Jahr will Seki den Gold-Weltmeistergürtel des WBC-Verbandes erobern. Darum ist nach dem Parkinson-Training für Seki noch lange nicht Feierabend. Es geht in den Kraftraum. Schuften für den nächsten Fight.
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Die Krankheit Parkinson: Bei Parkinson sterben zunächst Nervenzellen im Gehirn ab, die den Botenstoff Dopamin produzieren. Symptome sind verlangsamte Bewegungen, Zittern und Gleichgewichtsstörungen. Therapien wie Boxen helfen, den Verlauf der unheilbaren Krankheit zu bremsen – in den USA wird etwa das 2005
gegründete «Rock Steady»-Programm immer populärer.