Anthony Joshua ist die Hoffnung für alle Spätzünder. Mit 18 steigt er das erste Mal gegen einen Amateurgegner in einen Boxring. Vier Jahre später ist er Olympiasieger.
Heute ist der Brite 27 und verliert keine Zeit mehr: 18 ProfiKämpfe bestreitet er seit seinem Profi-Debüt. Und mäht mit seiner brutalen Rechten alle nieder. 18 Gegner, alle k. o. geschlagen!
Zuletzt zerlegt er Eric Molina (USA) in drei Runden. «Ich werde für Überstunden nicht bezahlt», sagt der 1,98-m-Hüne. Er ist jung, er ist schnell, er ist explosiv. Und wird immer besser. «In fünf Jahren kann ich der Beste der Welt sein.» Klingt wie eine Drohung. Niemand hat bisher mehr als sieben Runden gegen ihn überstanden.
Der Lohn: ein fetter TV-Deal, 13 Werbeverträge, eine hörige britische Presse, die dem Goldjungen jedes Wort von den Lippen abliest.
Jetzt soll der grösste aller Gegner daran glauben, vor der grössten aller Kulissen: Wladimir Klitschko, bis 2015 elf Jahre ununterbrochen Weltmeister im Schwergewicht. Am Samstag vor 90 '000 Zuschauern im Wembley geht es um zwei grosse WM-Titel. Ein kometenhafter Aufstieg.
Dabei läuft lange gar nichts nach Plan für Anthony Oluwafemi Olaseni Joshua. Der Sohn nigerianischer Einwanderer gerät als Teenager auf die schiefe Bahn. «Ich war 14, als ich anfing, mit den falschen Leuten herumzuhängen», erzählt er. Nach Schulschluss besteht sein Alltag aus Schlägereien, Alkohol, er wird wegen Körperverletzung angezeigt. «Ich habe von Tag zu Tag gelebt.»
Seine Karrierepläne: vielleicht Dachdecker oder ungelernter Bauarbeiter. Das höchste der Gefühle ist, wenn er weiss: «Diese Woche komme ich schnell und einfach zu 250 Pfund.»
Doch irgendwann ist das Mass voll. Joshua wird verhaftet, verurteilt, muss gar eine Fussfessel tragen.
Endlich kommt er zum Boxen. Plötzlich läufts. Er hat Talent, wird gefördert, gewinnt Amateurtitel. Wird ins britische Olympia-Kader aufgenommen.
2010 ein Rückschlag. Joshua wird von der Polizei in seinem Mercedes angehalten. Er trägt den offiziellen Team-Anzug. In der Sporttasche hat er 230 Gramm Cannabis. Weil ihm die Behörden aber nicht nachweisen, ein Dealer zu sein, kommt er mit gemeinnütziger Arbeit davon.
Es ist seine letzte Chance auf eine Box-Karriere. An manchen Tagen steht er um drei Uhr morgens auf, um zu joggen. Jede Sekunde Extra-Training ist ein zusätzlicher Vorsprung auf seine Gegner. Das zahlt sich aus: Zwei Jahre später holt Joshua in London Olympia-Gold – und blickt nicht mehr zurück.
Er wird Profi und lässt die zwielichtige Vergangenheit endgültig hinter sich.
Es gibt keine Schlammschlachten mit anderen Boxern, keine Partys, keine B-Promi-Auftritte, keine Frauengeschichten. Immer noch lebt er bescheiden bei seiner Mutter. Nur Siege sammelt er und Titel.
Zur Vorbereitung auf seine Kämpfe joggt er in der Stadt, trainiert in einem öffentlichen Boxklub. Seine 1,5 Mio. Facebook-Fans füttert er stündlich mit Fotos und Videos aus dem Alltag.
Seinem ersten Trainer schenkt er vor wenigen Tagen einen 60'000-Pfund-BMW. «Als Boxer muss man ein Mann des Volkes sein», sagt er dem «Guardian». «Wer an Boxen denkt, denkt an Old School, an Rocky.»
Fehlt das Happy End. Vielleicht am Samstag, falls Joshua das Generationenduell gegen den 41-jährigen Klitschko, seinen ehemaligen Sparringspartner, gewinnt und die Box-Legende in Rente prügelt. Es könnte Anfang einer neuen Ära sein – der Ära Anthony Joshua!