Box-Experte Mario Widmer
Ali nannte mich «Mein weisser Spion»

Mario Widmer berichtete über 30 Jahre über Muhammad Ali. Zum Abschied erzählt der einstige BLICK-Chef von ihrem ersten und ihrem letzten Treffen.
Publiziert: 05.06.2016 um 21:30 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 10:20 Uhr
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Muhammad Ali bei einem Training im Zürcher Limmathof 1971. Links von ihm der ehemalige BLICK-Sportchef Mario Widmer.
Foto: Keystone

Es war Samstag, 22. November 1997. Martina, tatsächlich meine Martina Hingis, meine Frau Melanie Molitor und ich waren in einer dieser verrückten, langen schwarzen Limos von New York nach Atlantic City gefahren.

Wir waren von einem gewissen Donald Trump zum, so glaube ich, letzten Kampf von George Foreman eingeladen worden, den er in seinem Trump Taj Mahal Casino veranstaltete.

Ich erinnere mich noch an drei Dinge, die an jenem Abend passierten, wie wenn diese Dinge gestern geschehen wären.

In der schwarzen Limo weinte alle paar Minuten Elton John sein schier schwermütiges Lied «Candle in the Wind» durch die hervor-
ragende Anlage, das er ein paar Monate zuvor bei Lady Dianas
Beerdigung der Welt geschenkt hatte. Martina lernte auch dank diesem Lied Englisch.

George Foreman machte im Ring gegen Shannon Briggs zwölf Runden lang einen miserablen Eindruck. Doch am eindrücklichsten bleibt mir in der Erinnerung, als auf dem Weg zu den Sitzen am Ring Muhammad Ali mir über die Köpfe von 20 Leibwächtern hinweg unseren alten und so ganz privaten Gruss zurief: «Hey, my white spy …». Hey, mein weisser Spion.

Die Leibwächter bildeten eine kleine Gasse. Mein grosser, schwarzer Freund, schon schwer von seinem Parkinson gezeichnet, umarmte mich ein letztes Mal.

Ein erstes Treffen 1960

34 Jahre zuvor hatte ich ihn kennengelernt. Noch als Cassius Clay. Der BLICK kämpfte damals um Anerkennung und Auflage, für die restliche Schweizer Presse war das Boxen in Amerika weiter weg als der Mars, so flog ich nach Miami, um den Mann, der den Sport, die Welt verändern sollte, unseren Lesern vorstellen zu können.

Ich traf ihn dort dank seinem Trainer Angelo Dundee, in dessen Gym an der Main Street in Little Cuba Cassius Marcellus Clay, der Halbschwer-Olympiasieger von Rom 1960, trainierte.

Ich traf einen lebensfreudigen und sehr jungen Mann, der sich mit der Anmut eines Balletttänzers bewegte, noch schneller in seinem Südstaaten-Slang sprach als tänzelte, ich traf seinen Bruder Rahman Ali, der ihn später zu
den Black Muslims brachte und ich traf seinen Vater Cassius Clay senior, der in
einer Bar auf einem Klavier Frank Sinatras «I did it my way» klimperte.

Für BLICK und SonntagsBlick begleitete ich den Menschen Muhammad Ali über 30 Jahre lang erst durch die Zeit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, durch die Zeit der Hippies, aus der Zeit, in der sich der harmlose Sport zum grossen Entertainment entwickelte.

Bis zu jenem 22. November 1997, als ich mit Martina und Melanie am Tennis Masters in New York war und die beiden am Samstagabend, die 17-jährige Martina war ausgeschieden, einen Boxkampf sehen wollten.

Ein Job bei BLICK für Ali

Für diese Zeitung begleitete ich Cassius Clay in Amerika zur Weltmeisterschaft, erlebte, wie er durch Herbert Muhammad, den Sohn von Elija Muhammad, zum Islam gedreht wurde und konvertierte, sich dann mit dem amerikanischen Militär verkrachte, das ihn erst wegen Schreibproblemen nicht wollte und dem er später wegen des Vietnamkriegs trotzte.

Ich stellte Muhammad Ali als Kolumnisten für den BLICK an, als sie ihn wegen der Militärverweigerung sperrten und ins Gefängnis werfen wollten, wir zahlten ihm 10 000 dafür in Traveller Checks.

Er schrieb über die Ausscheidungskämpfe für seinen Titel. Ich übersetzte seine Texte damals, denn er benötigte das Geld wirklich dringend. Dann brachte ich ihn 1971 zu einem Kampf nach Zürich, wo sie ihm heute noch Geld schulden.

Schliesslich war ich bei den legendären Fights in Kinshasa, Manila sehr nahe daran, erlebte natürlich, wie der lebensfrohe junge Mann von allen Seite instrumentalisiert wurde, dann an all das zu glauben begann, was man ihm sagte.

Und vor jedem von sicherlich mehr als 30 Kämpfen begrüsste er mich mit den Worten «my white spy», weil ich ihm zu erzählen pflegte, wie seine Gegner trainierten. Ich erlebte, wie er an Parkinson erkrankte, wahrscheinlich nahm er zu oft schwere Schmerzmittel, ich lernte alle seine Frauen und noch mehr seiner Freundinnen kennen.

Und dann seine Krankheit, Atlanta 1996, wie er vor aller Welt seine Schwäche zeigte und schliesslich Ali im Trump Casino von Atlantic City. Ich erinnere mich nicht mehr, wie «The Donald» Martina und Melanie begrüsste, aber ich erinnere mich noch an das «white spy».

Alis Leiden ist jetzt vorbei

Ali, ein einfacher schwarzer Junge aus Louisville, Kentucky. Der kaum schreiben konnte. So gut in seine Zeit passte mit seinen Talenten.

Dann zum Weltveränderer instrumentalisiert wurde, ein Weltveränderer wurde, weil er an seine Mission glaubte. Und die Welt die Veränderung brauchte.

Jetzt ist sein Leiden vorbei. Ich bin sicher, er hat es genossen. Fast immer. So long, champ. Die Welt hat eine Legende verloren. Ich einen Menschen.

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