Aniya Seki, Sie sind monatelang abgetaucht. Wo waren Sie?
Aniya Seki: Ich musste etwas innehalten. Ich konnte nicht so weitermachen. Boxen machte mir keinen Spass mehr.
Eine Sinnkrise?
Klingt zu negativ. Es ist wie bei einem Kampf, man nimmt sich kurz eine Auszeit, atmet durch und greift wieder an.
Warum die Auszeit?
Wenn man neun Kämpfe im Jahr macht, diesen ganzen riesigen Aufwand betreibt und am Ende so wenig herauskommt, ist das zermürbend.
Sie meinen finanziell?
Frauenboxen ist in allen Belangen ein schwieriges Pflaster. Ein ständiger Kampf.
Dachten Sie an Rücktritt?
Nein, Boxen ist mein Leben. Ich kann nicht einfach so darauf verzichten. Aber es musste sich etwas ändern.
Es kam zur Trennung von den Berner Boxing Kings.
Ja, aber ich bin den Kings dankbar für acht wundervolle Jahre. Und mein langjähriger Trainer Bruno Arati ist immer noch meine wichtigste Bezugs- und Ansprechperson.
Hatten Sie einen Plan für den Neustart?
Nein, aber eine Idee. Sven Ottke war Brunos Lieblingsboxer. Also hab ich ihn einfach mal über Facebook angefragt, ob er mich trainieren würde.
Bekamen Sie eine Antwort?
Ja, er schrieb, er selber könne mich nicht trainieren, aber ich solle mich bei Ulli Wegner melden, seinem früheren Trainer, der warte auf meinen Anruf.
Ulli Wegner, der deutsche Kulttrainer vom Sauerland-Stall. Keine schlechte Adresse.
Ich fiel aus allen Wolken. Wegner und Sauerland, das ist für mich wie der Himmel, unerreichbar und riesig.
Haben Sie Wegner angerufen?
Klar. Er lud mich nach Deutschland zum Training ein. Ich packte sofort den Koffer und reiste mit dem Zug nach Berlin.
In ein Nest voller Weltmeister und Machos: Arthur Abraham, Yoan Pablo Hernandez, Jack Culcay ...
Die Sekretärin machte mir die Tür auf. Und als sie hörte, warum ich gekommen bin, sagte sie: «Aber Sie sind ja eine Frau!» Das war ein lustiger Empfang.
Wie wurden Sie von den Boxstars aufgenommen?
Sehr herzlich. Ich fühle mich grossartig aufgehoben. Sie helfen, wo sie können, geben mir Tipps. Nur meinen Namen können oder wollen sie sich nicht merken. Anna, Anika, Anija, Anuschka, Mumuk ... da ist alles dabei. Wollen sie mich aufziehen, sagen sie mir einfach »Kleine» oder «Dicke», weil ich so dünn bin.
Sind Sie jetzt ein Mitglied des Sauerlandteams?
Nein, aber ein Mitglied der Trainingsgruppe von Ulli Wegner mit all den Stars. Ich verdiene kein Geld, darf aber gratis mittrainieren. Einen Vertrag bei Sauerland zu bekommen, wäre ein Wahnsinn, ist aber unwahrscheinlich.
Warum unwahrscheinlich? Mit Cecilia Braekhus war schon mal eine Boxerin bei Sauerland.
Ja, aber Cecilia ist in Norwegen ein Superstar, ihre Kämpfe werden da im Fernsehen übertragen. Das sind andere Voraussetzungen.
Wie gehts jetzt weiter?
Am Samstag kämpfe ich in Darmstadt gegen Alexandra Vlajk. Es geht um die WM-Titel der Verbände GBU, WIBF und WBC im Bantamgewicht. Das wäre mein bisher grösster Erfolg. Danach kommt vielleicht etwas noch Grösseres im Rahmen eines Sauerland-Events im Oktober.
Da kündigt sich im Herbst Ihr zweiter Boxfrühling an ...
Ich habe neu ein Management in Deutschland und kann mich erstmals voll aufs Boxen konzentrieren. Und ich habe Ulli Wegner und die Jungs, von denen ich so viel profitieren kann. Ich lebe hier meinen Traum und will nicht, dass er aufhört. Ich kann noch vier oder fünf Jahre boxen. Das ist momentan alles, was ich will.