Blick zurück auf 2016
Ein sportliches Trauerspiel

Das ablaufende Jahr brachte uns viele schöne, spektakuläre und emotionale Momente. Aber 2016 geht auch als himmeltrauriges Sportjahr in die Geschichte ein.
Publiziert: 29.12.2016 um 13:13 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 11:47 Uhr
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Der Weltsportler des 20. Jahrhunderts, Muhammad Ali, stirbt im Juni nach langer Krankheit 74-jährig.
Foto: Keystone
Patrick Mäder

Das Jahr 2016 wird als ein denkwürdiges in Erinnerung bleiben. Auch weil der Sport zwei seiner grössten Aushängeschilder verlor. Der Holländer Johan Cruyff starb im März 68-jährig. Er war Europas Fussballer des Jahrhunderts. Boxer Muhammad Ali starb 74-jährig im Juni. Er war der Grösste überhaupt, der Sportler des Jahrhunderts. Die Welt hielt kurz den Atem an und drehte sich weiter.

Es folgte ein gigantischer Transfer-Sommer im Fussball, der alle Grenzen sprengte, mit perversen Summen, welche Superstars noch reicher und sogar Durchschnittskicker zu Geldmeistern machten. Summen, die wir gar nicht mehr einordnen können. Und die den inszenierten Fussball immer weiter von den Traditionalisten entfernen.

Mit Stirnrunzeln haben wir die Meldungen über Superstars registriert, die sich wegen Verdacht auf Steuerhinterziehung verantworten müssen: Messi, Neymar, Ronaldo, Alonso, Özil ... Mit Kopfschütteln haben wir von den haarsträubenden Steuerkniffs von Startrainer José Mourinho erfahren. Steinreiche Sportstars, die tricksen, als hätten sie es nötig und als wärs die normalste ­Sache der Welt. Dabei ist es ein Trauerspiel. Der Sport, infiziert von Geld, Gier, Grössenwahn, scheint zunehmend seine eigentliche Kraft zu verlieren.

Özil, der deutsche Nationalspieler, fordert bei seinem Klub Arsenal London gerade eine Gehaltserhöhung. Er will offenbar 375'000 Franken Lohn – pro Woche. Der Argentinier Carlos Tevez wechselt im ­Alter von 32 Jahren von den Boca Juniors zu Shanghai Shenhua in die chinesische Super League. Dort wird er umgerechnet 110'000 Franken verdienen – pro Tag!

Die Fussball-EM in Frankreich stand nicht im Glanz von Özils Ballkünsten. Aber im Schatten des Terrors und der gigantischen Anstrengungen, um zumindest den schmalen Grad an Sicherheit zu gewährleisten, damit sich die Zuschauer noch in die Stadien trauen. Die Sicherheitsfrage ist von den grossen Sport-Events längst nicht mehr zu trennen und zu einer gigantisch teuren Herkules-Aufgabe geworden.

Die Sicherheit war auch in Rio de Janeiro ein grosses Thema. Aber Olympia stand vor allem im Schatten des Dopings und der Diskussion, wer von den im Vorfeld gesperrten russischen Athleten starten darf und wer nicht.

Inzwischen gibt es dank den McLaren-Reports weitere alarmierende Erkenntnisse. Russland hat mit gezieltem Staatsdoping und skrupelloser Betrüger-Mentalität die Olympischen Spiele von London 2012 und Sotschi 2014 korrumpiert. Über tausend Athleten sollen darin involviert gewesen sein.

Nun ist Staatsdoping nicht neu, das gab es schon zu DDR-Zeiten, und doch sind die jüngsten Enthüllungen schockierend, vielleicht weil man naiv an Besserung und Einsicht glaubte, an das Gute, und jetzt erkennt, dass alles noch genauso ist oder viel schlimmer. Immer noch werden Sportler zum Ruhme des Volkes vollgepumpt und vollgespritzt. Ungeachtet der langfristigen gesundheitlichen Folgen.

Verlierer dieser Machenschaften gibt es viele: allen voran die Fans und die sauberen Athleten, aber auch der Wettbewerbsgedanke, die Wahrhaftigkeit, die Chancengleichheit, die Glaubwürdigkeit. Wie soll man dem Medaillenspiegel noch trauen? Obwohl Russland jetzt offensichtlich allein am Pranger steht, ist jedem klar: Nicht nur die Russen dopen!

Was uns bleibt in diesem Trauerspiel, ist die Hoffnung, dass die Probleme des Sportjahrs 2016 auch ihr Gutes haben, dass sie aufrütteln und in eine neue Richtung führen. Dahin, den Sport, den wir ja alle lieben, so zu reformieren, dass er seine Glaubwürdigkeit zurückgewinnt und damit seine gesellschaftliche Funktion als Schule für die Jugend und als Wertemodell.

Und die Hoffnung lebt: Mehr als 100 Skilangläuferinnen und -läufer aus zehn Nationen haben in einem offenen Brief an das Internationale Olympische Komitee und den Welt-Skiverband ihren Protest zum Ausdruck gebracht. Sie fordern einen aktiven Einsatz der Organisationen im Kampf gegen Doping.

Zudem hat Russland am Mittwoch erstmals von offizieller Seite systematisches Doping zugegeben. Nachdem man das zuvor stets vehement abgestritten und als «westliche Verschwörung» abgetan hatte. Das sind doch gute Nachrichten. Oder?

Oder doch nicht? Russland hat das Zugeständnis ein paar Stunden später bereits wieder dementiert. Die Aus­sagen der Chefin der russischen Anti-Doping-Agentur seien von der New York Times verfälscht und aus dem Zusammenhang gerissen worden. Eine Kehrtwende von der Kehrtwende.

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