Als Catherine Debrunner vor 24 Jahren in der Ostschweiz auf die Welt kommt ist nach wenigen Tagen klar: Dieses Mädchen wird nie laufen können und ein Leben lang auf den Rollstuhl angewiesen sein. «Geburtsgebrechen» nennt sie als Ursache. Präziser und detaillierter mag sie ihre Behinderung gar nicht ausführen. «Ich will kein Mitleid. Meine Eltern haben mir schon früh mitgegeben, dass man auf der Mitleidsschiene im Leben nicht vorwärts kommt.»
Zu Wanderungen wird sie huckepack schon früh mitgenommen. Und im Alter von acht Jahren geht sie ins «Kids Camp» ins Paraplegikerzentrum nach Nottwil. Und Paul Odermatt, der heute noch ihr Trainer ist, erkennt das Talent.
Rollstuhlsport wird zu ihrer Passion. Bei den Paralympics in Rio 2016 wird sie über 400 Meter Siebte und gewinnt ein Diplom. Danach konzentriert sie sich auf ihr Studium, trainiert nur noch wenig und schliesst ihre Ausbildung zur Primarlehrerin ab. Erst im November 2018 zieht sie von der Ostschweiz in die Nähe von Nottwil und beginnt wieder intensiv an ihrer Sportkarriere zu arbeiten.
Und vor wenigen Tagen gewinnt sie mit ihrem 13000-fränkigen Karbonrollstuhl bei der WM in Dubai Gold über 400 Meter und Silber über 800 Meter. Und tritt etwas aus dem Schatten von ihrem Trainingsparter Marcel Hug und von Manuela Schär, die im Rollstuhlsport derzeit das Mass der Dinge sind.
«Die Erwachsenen können von den Kindern viel lernen»
Am Montagmorgen wird Catherine Debrunner nun von der Schule ein herzlicher Empfang bereitet. Und kurz danach sitzt sie wieder bei ihren Erstklässlern, die bewundernd ihre Goldmedaille betrachten. Die Medaille hat auf der Rückseite auch eine Gravur für die blinden Athleten. Und ihre Kinder fragen aufgeregt, wie das denn so war im heissen Dubai.
Die Neugier der Erstklässler fasziniert Debrunner, seit sie ihr 30-Prozent-Pensum als Lehrerin angetreten hat. «Ich habe schon in der Ostschweiz als Aushilfslehrerin gearbeitet. Beim ersten Elternabend waren die Eltern verwundert, dass ich im Rollstuhl sitze. Die Kinder haben zuhause nur immer von der Lehrerin gesprochen und meine spezielle Situation gar nie erwähnt.»
Es ist dieser völlig vorurteilslose Zugang zu ihrer Behinderung, der Debrunner fasziniert. Das hat sie auch bei ihrer neuen Stelle an der Primarschule Waltenschwil erlebt. Ihre Erstklässler haben sie in der ersten Stunde zwar mit Fragen gelöchert. «Danach war für sie alles erledigt. Von diesem Moment an war das nie mehr ein Thema.» Es ist diese komplexlose und direkte Art, die Debrunner gefällt. «Da könnten sich viele Erwachsene ein Beispiel nehmen», findet sie.
Sie selber geniesst ihr Leben in den zwei Welten. Spitzensport und Lehrerin, für sie die ideale Kombination. Mit der Priorität Sport. Das nächste grosse Ziel sind die Paralympics in Tokio im kommenden Jahr. Und die Zielsetzung ist so ehrgeizig wie klar: Edelmetall bei Olympia fehlt der 24-jährigen noch in ihrem bereits beeindruckenden Palmares. In Tokio wird es so heiss sein wie zuletzt in Dubai. Dort ist sie jeweils mit einer Kühlweste vom Hotel ins Stadion gefahren. Das wird sie auch in Tokio so machen.
Bis dahin wird sie achtmal in der Woche in Nottwil trainieren und daneben ihren Erstklässlern das ABC beibringen: «Für mich ist das die perfekte Kombination.» Und sie geniesst es auch, dass sie im Rollstuhl sitzen mit ihren Schülern auf Augenhöhe kommunizieren kann. «Ich muss nicht bei jedem Gespräch ständig nach oben schauen. Und den Kindern geht es gleich. Sie müssen nicht ständig zur Lehrerin hoch schauen. Das erleichtert und entspannt vieles», sagt sie. Was nicht heisst, dass die Hierarchie nicht klar ist. «Es ist besser, man ist am Anfang etwas strenger und hat dann Ordnung in der Klasse.»
Mehr Bedeutung für den Behindertensport
Catherine Debruner hat schon früh gelernt, dass man sich nicht behindern lassen darf. Sie führt ein spannendes und ausgeglichenes Leben. «Ich würde mir einfach wünschen, dass der Behindertensport noch etwas mehr Gewicht und Bedeutung in diesem Land erhält. So, wie das beispielsweise in den USA und in Kanada der Fall ist.» Dort sind Behindertensportler ganz normale Sportstars. «Da sind auch Firmen wie McDonalds oder Nike Sponsoren. Dass mich eine Firma wie Nike mal sponsern würde, davon sind wir in der Schweiz noch weit entfernt», bedauert sie.
Das «grosse» Geld ist sowieso nicht auf der Bahn, sondern bei den Stadtmarathons zu machen. Diese Distanz könnte dann für Debrunner nach den Paralympics zum Thema werden. «Aber das braucht einen langen Aufbau und ist derzeit noch Zukunftsmusik.» Manuela Schär hat bei den Marathons in dieser Saison abgeräumt und ist rund um die Welt gejettet. Ein solches Engagement ist für Debrunner derzeit nicht möglich.
Weil sie derzeit gar nicht Vollprofi sein kann. Dafür hat sie ihre Fans in der Schule Waltenschwil. Und die Dreikäsehochs sind ihr ans Herz gewachsen und treue Fans. Medaillen hin oder her.