Er ist zu früh. Als sich Clint Capela (25) vor der Freiburger St-Léonard-Halle im schwarzen Mercedes-Van vorfahren lässt, ist sonst noch keiner da. Kein Teamkollege, kein Gegner, kein Schiedsrichter. Überpünktlich ist der 90-Millionen-Mann aus der besten Liga der Welt. «Keine Fotos bitte», meint einer der Van-Insassen zu BLICK. «Das sieht nicht gut aus, wenn Clint alleine vorfährt und nicht mit dem Team.»
Capela bei seinem Nati-Comeback als abgehobener Star? Nein, der Grund für die Solo-Anreise ist harmlos. Der Genfer Center der Houston Rockets habe sich in Bern noch medizinisch behandeln lassen, sei darum auch letzte Nacht nicht im Mannschaftshotel in Fribourg gewesen. «Sonst war er immer beim Team», sagt Giancarlo Sergi, der Präsident von Swiss Basketball. Er ist der Vater des Verbands-Coups. «Über Jahre waren wir mit Clint und seiner Entourage in Kontakt. Jetzt hat es endlich geklappt, dass er für uns spielt. Und ich kann Ihnen sagen: Clint könnte pflegeleichter nicht sein. Er führt sich überhaupt nicht auf wie ein Star.»
Dann kommen endlich die Teamkollegen, grösstenteils Halbprofis. Und Capela, der minutenlang hinter den getönten Scheiben des Mercedes-Vans gewartet hat, kann endlich aussteigen. Weil der Teambus aber auf der anderen Seite des Stadions parkiert, muss er doch alleine über den Parkplatz schreiten. Und weil mittlerweile mehr los ist, drehen sich die Köpfe von Dutzenden Fans nach dem 2,08-m-Riesen um. Wie ein Ausserirdischer schreitet der Mann, der eigentlich kein Aufsehen erregen wollte, in die Katakomben des Provinz-Stadions.
Ein Anblick, der Eindruck macht. «Papi, spricht Capela schweizerisch?», fragt ein Junge seinen Vater. «Französisch», antwortet der wahrheitsgemäss. Und englisch, könnte er getrost hinzufügen. In den letzten beiden Saison hat sich Capela im texanischen Houston in der NBA etabliert, er gehört zu den zehn stärksten Centern in der besten Basketball-Liga der Welt. «Mit Clint erreichen wir eine neue Dimension», sagt Sergi.
Das wird in Fribourg offensichtlich: Wo sich sonst ein paar hundert Fans bei den Nati-Spielen verlieren, ist die St-Léonard-Halle in der EM-Vorqualifikation gegen Portugal bis auf den letzten Platz gerammelt voll. Und die 3000 rasten komplett aus. «Das habe ich noch nie erlebt», sagt Nati-Spieler Jonathan Kazadi. «Ein Wahnsinn», sagt Capela. «Das werde ich nie vergessen.»
Die Capela-Mania hat Fribourg fest im Griff. Da kann Nati-Trainer Gianluca Barilari noch lange vermelden: «Er ist ein Spieler wie jeder andere. Auch wenn wir natürlich glücklich sind, dass er bei uns ist.»
Das mag in der Theorie stimmen. In der Praxis aber ist der Capela-Effekt handfest spürbar. «Ein Spieler wie Clint hat besondere Bedürfnisse», sagt Verbandsboss Sergi. Nicht nur im Flugzeug, wo er wegen seiner langen Beine in der ersten Reihe sitzen muss oder im Hotel, wo es sich als Herausforderung herausstellt, ein Bett zu finden, das lang genug ist.
Capela bringt auch Kevin mit, seinen eigenen Physiotherapeuten, mit dem er sich vor dem Spiel eine Stunde lang individuell aufwärmt. Und Olivier, seinen Fotografen, der als Offizieller Teil des Nati-Staffs dabei ist. Und seinen Bruder Landry, der nun auch zum Team ums Team gehört. Und es gibt mehr Sicherheitspersonal.
«Wir profitieren alle von Capela», sagt der Berner Kazidi. «Der Physio arbeitet zum Beispiel auch für die anderen Spieler. Die zusätzliche Aufmerksamkeit für die Nati ist toll. Und Clint ist eh super. Er ist noch genau derselbe Typ wie damals mit 19 Jahren. Er hat null Allüren.»
An diesem Samstagabend in Fribourg zahlt sich alles aus. Es ist laut, es ist heiss, die Partie beginnt nervös. Und Capela mag längst nicht alles gelingen, aber er liefert. Zum Beispiel nach 23 Minuten, als er sich auf einen freien Ball wirft, abspielt, sich in der Offensive von Kazadi den Ball zurückgeben lässt und diesen unwiderstehlich in den Korb stopft.
Es bleibt eng, immer wenn die Schweizer herankommen, legen die Portugiesen wieder vor. Capela rackert, bekommt einen Finger ins Auge, macht weiter. Es ist offensichtlich, dass ihn die Portugiesen ganz besonders ins Visier nehmen. Je länger die Partie dauert, desto besser können die Kollegen die freien Räume nutzen. «Das war ein Spiel für Männer heute», sagt er danach. «Ich bin stolz auf uns.»
Mit 77:72 siegen die Schweizer, im letzten Viertel drehen sie das Spiel. Capela steuert 16 Punkte bei und 11 Rebounds, in der Halle gibt es kein Halten mehr. Auch nicht für den Stadion-DJ, der kurzerhand «We are the Champions» auflegt. Wer weiss, wann der Ausserirdische wieder Grund zum Feiern bereitet.