Levi's Stadium, San Francisco, 26. August 2016: Die Nationalhymne der USA ertönt. Zuschauer, Spieler und Trainer – alle stehen sie da, mit breiter Brust, die rechte Hand auf dem Herzen, den Blick auf die US-Flagge gerichtet. Nur einer bleibt sitzen: Colin Kaepernick (32). Regungslos. Ohne eine Miene zu verziehen.
Über drei Jahre sind seit dieser Protestaktion vergangen. Der damalige Quarterback des American-Football-Teams aus San Francisco ist seit Frühling 2017 vertragslos. Mit seinem stillen Protest von damals hat er eine lärmige Diskussion ausgelöst, die bis heute nachhallt. Gleichzeitig war jener Tag auch der Anfang vom Ende einer erfolgversprechenden Karriere. Dafür hat auch US-Präsident Donald Trump (73) gesorgt.
Doch nun bahnt sich ein sensationelles Comeback an: Die Liga hat am Dienstag eine Nachricht an alle NFL-Teams geschickt. Inhalt: Kaepernick werde am Samstag ein öffentliches Training in Atlanta bestreiten. Danach soll es auch die Möglichkeit geben, mit dem Free Agent zu sprechen.
Protest gegen Polizeigewalt gegen Schwarze
Doch von vorne: Zuerst sitzend, bald einmal kniend, protestierte Kaepernick über Wochen wegen der Polizeigewalt gegen Schwarze. Zu jenem Zeitpunkt werden die USA beinahe im Wochentakt von entsprechenden Meldungen erschüttert: Einmal erschiesst ein weisser Polizist ein unbewaffnetes schwarzes Kind. Ein anderes Mal würgt ein weisser Beamter einen Afroamerikaner zu Tode, der an einer Strassenecke Zigaretten verkaufen wollte.
Kaepernick, damals eines der grössten Football-Talente des Landes, will mit dem Hinknien während der Nationalhymne ein symbolisches Zeichen setzen. Eine Geste gegen Rassismus. Doch es kommt anders.
Wie Trump seine NFL-Karriere (vorerst) beendete
Die USA befinden sich zu jener Zeit mitten im Präsidentschaftswahlkampf. Donald Trump feuert täglich aus allen Rohren. Und der künftige Präsident weiss auch den Kaepernick-Protest geschickt für sich zu nutzen. Anstatt über die Polizeigewalt gegen Schwarze zu sprechen, macht er die Diskussion zu einer Grundsatzdebatte über amerikanische Werte:
Beleidigt Kaepernick mit dem Hinknien während der Nationalhymne die amerikanische Flagge? Beschmutzt er damit das Andenken der gefallenen US-Soldaten?
Trump macht Kaepernick quasi über Nacht zu einem Landesverräter. Der heutige Präsident der Vereinigten Staaten sagt Dinge wie: «Schafft diesen Hurensohn vom Feld, sofort!»
Währenddessen spielt der gescholtene Quarterback mit seinen San Francisco 49ers eine furchtbare Saison. Am Ende schmeisst er entnervt hin, will sich im Frühling 2017 einen neuen Verein suchen. Doch so weit kommt es nie.
Beinahe täglich twittert Trump in diesen Tagen – mittlerweile aus dem Weissen Haus – über Kaepernick. Gleichzeitig verbreiten ehemalige Fans Aufnahmen in sozialen Netzwerken, die sie beim Verbrennen eines Kaepernick-Trikots zeigen.
Auch wenn der Quarterback von Afroamerikanern und Linksliberalen viel Zuspruch erhält: Kein NFL-Besitzer scheint Lust darauf zu haben, sich mit der Hälfte seiner Anhängern anzulegen. Und schon gar nicht mit dem mächtigsten Mann des Landes. Das einstige Super-Talent landet auf dem Abstellgleis. Kaepernick bleibt die folgende Saison ohne Team. Auch in der vergangenen Spielzeit kehrt er nicht in die Stadien zurück.
Profitiert Kaepernick vom Verletzungspech seiner Kollegen?
Doch nun könnte Kaepernick vom Verletzungspech seiner Berufskollegen profitieren. Bei Halbzeit der laufenden NFL-Saison sind gleich mehrere Quarterbacks verletzt, darunter Superstar Ben Roethlisberger (Pittsburgh Steelers). Andere Teams suchen verzweifelt nach einem Ersatz, weil ihr Stammspieler schwächelt – darunter die Denver Broncos, die Washington Redskins oder die Chicago Bears.
Hat nun die Stunde von Kaepernick geschlagen? Der 32-Jährige hielt sich in den vergangenen Jahren im Fitnessstudio fit, trainierte laut eigenen Angaben fünfmal die Woche. Nun hat er am Samstag die Chance, die NFL-Teams von seinem Können zu überzeugen.
Öffentliches Training – nur ein PR-Stunt der NFL?
Dass die Liga einen solchen Termin anberaumt, ist sehr ungewöhnlich. Das gilt auch für den Wochentag, denn solche Workouts finden fast immer an einem Dienstag statt. Experten befürchten deshalb eine PR-Aktion der NFL: Man gibt Kaepernick eine Chance, die eigentlich gar keine sei. Denn die allermeisten Trainer haben am Sonntag ein Spiel und können kaum am Samstag nach Atlanta fliegen. Die Meinungen sind deshalb gemacht: Die Liga gibt dem gescholtenen Football-Spieler eine Möglichkeit, um moralisch fein raus zu sein.
Dazu passt auch die Aussage von Trump, die er im Sommer vor Beginn der neuen Saison tätigte. Er sprach sich öffentlich für eine Rückkehr von Kaepernick aus. Jedoch unter der Bedingung, dass sein Comeback auf klaren Leistungsgründen basieren müsste.
Doch trotz den widrigen Umständen: Kaepernick wäre nicht er selbst, würde er diese angebliche Chance nicht versuchen wahrzunehmen. Auf Twitter kündigte er an, dass er seit drei Jahren bereit für ein Comeback sei. «Ich kann es kaum erwarten, die Cheftrainer und die Club-Direktoren am Samstag zu sehen.»