Jahrzehntelang war es so: Wer schwarz war, Talent hatte und Football spielen wollte, konnte auf jeder Position spielen. Ausser als Quarterback. Der Quarterback ist der General auf dem Platz. Der Star. Das Hirn. Der Chef der Mannschaft. Und der Chef, der war nun mal weiss. Immer schon.
Diese Zeiten sind vorbei. Wenn in der Nacht auf Freitag mit dem Eröffnungsspiel zwischen Kansas City und Houston die NFL-Saison beginnt (Dazn live, 2.20 Uhr), treffen Patrick Mahomes (24) und Deshaun Watson (24) aufeinander. Beide jung, beide schwarz, beide unfassbar gut.
Auf der einen Seite Mahomes, im Februar zum wertvollsten Spieler (MVP) des Super Bowls gewählt, vorletztes Jahr zum Saison-MVP erkoren, ein Magier mit dem Ball. Für den Sohn eines Ex-Baseball-Profis scheint es keinen Wurf zu geben, der unmöglich ist. Das Lederei in vollem Tempo gegen die Laufrichtung 50 Meter punktgenau zum Mitspieler passen? Mahomes kriegt hin, wovon die Berufskollegen nur träumen können, immer und immer wieder.
Auf der anderen Seite Watson, ein dynamischer Werfer und flink auf den Beinen – der erste Quarterback der Geschichte, der in zwei Saisons nacheinander 25 Touchdown-Pässe warf und den Ball selber fünfmal in die Endzone trug.
Kein Wunder, handelt es sich bei ihnen um Top-Verdiener: Mahomes unterschrieb vor der Saison eine Vertragsverlängerung über zehn Jahre. Wert: 503 Millionen US-Dollar. Rekord! Watson verlängerte seinen Vertrag vor wenigen Tage um vier Jahre – für 160 Millionen.
Die beiden sind ein Teil der neuen Generation schwarzer Quarterbacks. Gab es früher vereinzelte dunkelhäutige Werfer, sind schwarze Passer keine Exoten mehr. Der Sport-Sender ESPN führt die Statistik QBR, welche die Gesamtleistung eines Passers misst. Das Ergebnis der letzten Saison: Fünf der Top-7-Quarterbacks der Liga sind schwarz. Neben Mahomes (Platz 2) und Watson (7) glänzten auch Baltimores Shooting-Star Lamar Jackson (1), Dak Prescott von Dallas (4) und Seattles Russell Wilson (5), alle stehen für spektakulären Football. Ausser Wilson (31) sind sie alle weit unter 30 – sie werden noch besser!
Der einzige Quarterback in der Hall of Fame
Selbstverständlich ist das nicht. «Es ist das Ergebnis davon, dass wir Schwarzen mehr und mehr Chancen bekommen haben, Quarterback spielen zu dürfen», sagt Warren Moon (63), der einzige schwarze Quarterback in der Hall of Fame. «Talente waren immer da. Aber du kannst dein Talent nicht beweisen, wenn du keine Gelegenheit dazu bekommst.»
Der Grund für den Mangel an Chancen: Rassismus. Zwar ist die Mehrzahl der NFL-Profis schwarz, letzte Saison waren es rund 70 Prozent. Aber lge wurde offen erklärt, schwarze Quarterbacks seien fürs NFL-Niveau nicht intelligent genug. Vielleicht hätten sie körperliches Talent - aber weder den Fleiss noch das Hirn für den Job. Als Running Backs, also als flinke Läufer, seien sie zu gebrauchen, aber doch nicht als Kopf eines Teams.
Vielleicht reagierte Baltimore-Sensationsmann Lamar Jackson (23) darum letzten Herbst zynisch, als er nach einem Riesen-Spiel vor die Medien trat. «Nicht schlecht für einen Running Back», sagte er. Er hatte gegen die Miami Dolphins soeben fünf Touchdown-Pässe geworfen.
Die NFL scheint zu merken, welches Potential sie sich ohne guten Grund entgehen liess: Am Eröffnungswochenende werden 10 von 32 Stamm-Quarterbacks schwarz sein – immerhin.
«Das beste ist, dass du den Kids zeigen kannst, dass es keine Rolle spielt, wo du aufgewachsen bist, welche Hautfarbe du hast», sagt Mahomes, Sohn eines Schwarzen und einer Weissen, über seinen Erfolg. «Jeder kann seine Träume verwirklichen.»
Kaepernick setzte vor vier Jahren ein Zeichen
Ablesen lässt sich die Veränderung auch an einem bekannten Beispiel: Als Colin Kaepernick vor vier Jahren gegen Rassismus und Polizeigewalt zum Hymnen-Protest überging und vom damaligen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump als «Hurensohn» beschimpft wurde, liess ihn die NFL hängen. Im Zuge der «Black Lives Matter»-Bewegung der letzten Monate haben sich Mahomes & Co. eindeutig geäussert – und die Liga schwenkte ein. Sie entschuldigte sich sogar bei Kaepernick, der immer noch ohne Vertrag ist. Immerhin gibt er ein virtuelles Comeback: Videospiel-Hersteller EA Sports nimmt ihn wieder in sein legendäres «Madden»-Footballspiel auf.
Alles gut also? Noch nicht. Die schwarzen Quarterbacks scheinen langsam ihre faire Chance zu bekommen. Doch die nächste Barriere wartet schon. Gerade mal 4 von 32 Cheftrainer-Jobs in der Liga sind von Nicht-Weissen besetzt. Die Anzahl afroamerikanischer Teambesitzer im Jahr 2020: null.