Steve Lancaster zieht für die nächsten Tage in ein Wohnmobil in der Auffahrt seines Vorgesetzten. Der IT-Chef der Detroit Lions hat einen ganz besonderen Auftrag: Er muss dafür sorgen, dass Detroits Sportchef Bob Quinn beim NFL-Draft ab Donnerstag (2 Uhr, Dazn und Prosieben Maxx live) nicht plötzlich ein technisches Problem bekommt – oder sogar gehacked wird. Dieses Jahr wird die Auswahl der besten Talente nämlich nicht wie üblich in einer grossen Arena über die Bühne gehen, sondern in einer gigantischen Videokonferenz.
Eine ziemliche Umstellung: Normalerweise kann es für die National Football League nicht bombastisch genug sein. Als vor einem Jahr der Draft abgehalten wurde, sollen insgesamt 600'000 Menschen in den Veranstaltungsort Nashville gereist sein, die vor Ort einen Umsatz von 133 Mio. US-Dollar generierten. Zuhause guckten sich 47,5 Millionen Zuschauer das Spektakel über die drei Tage am TV an. Zahlen, die in der NFL niemanden nervös machen: Letzten Sommer teilten die 32 Teams insgesamt 8,1 Milliarden Dollar an Einnahmen unter sich auf. Ein Mega-Business.
Dieses Jahr steht der Zirkus unter zusätzlicher Beobachtung. Wegen der Coronapandemie wird der Draft per Live-Schaltung abgehalten, was Tür und Tor für Cyber-Attacken und Pannen öffnet. Es geht buchstäblich um Millionen, die Sportchefs und Scouts hüten ihre Talent-Listen wie ihre Augäpfel. Wer den nächsten Superstar findet, verschafft sich einen immensen Vorteil. «Stellen Sie sich vor, ich will ein Team hacken», sagt Patrick Wardle, früherer NSA-Hacker und heute Sicherheitsexperte bei Apple dem Magazin «Sports Illustrated». «Hier finde ich ein neues System vor, das innert kürze zusammengeschustert wurde und viel sensible Informationen enthält. Das ist ein vielversprechendes Angriffsziel.»
Kommt dazu, dass viele NFL-Verantwortliche nicht gerade als Digital Natives durchgehen. Ein Foto von New-York-Giants-Sportchef Dave Gettleman, das ihn an einem alten Laptop im Homeoffice zeigt, macht derzeit online die Runde und sorgt für Hohn und Spott.
Und tatsächlich: Bei der Hauptprobe am Montag kommts gleich beim Wahlrecht der Cincinnati Bengals, die als erstes Team aussuchen dürfen, zur Panne. «Brutal», zitiert «ESPN» einen Insider. Ob das gut geht?
Bei den Lions ist man optimistisch, dass Steve Lancaster im Wohnmobil vor dem Haus des Chefs ruhige Tage verbringen wird. Übernachten tut er da übrigens nicht: Er geht jeweils zum Schlafen nach Hause.