Es wäre das Comeback des Jahres: NFL-Star Colin Kaepernick (32) kann plötzlich wieder auf einen Vertrag hoffen. Vor knapp vier Jahren wurde er über Nacht zur Persona non grata in der American-Football-Liga. Jetzt aber hat der Wind gedreht: NFL-Chef Roger Goodell (61) hat am Montag erstmals seit einer halben Ewigkeit wieder über Kaepernick gesprochen und ihm seine Unterstützung zugesichert. «Wenn er seine Karriere in der NFL wieder aufnehmen will, dann braucht es dafür natürlich ein Team», sagte Goodell in einem Interview gegenüber ESPN. «Ich begrüsse das und unterstütze einen Klub, der diese Entscheidung trifft, und ermutige dazu, dies zu tun.»
Rückblende: Levi's Stadium, San Francisco, 26. August 2016: Die Nationalhymne der USA ertönt. Zuschauer, Spieler und Trainer – alle stehen sie da, mit breiter Brust, die rechte Hand auf dem Herzen, den Blick auf die US-Flagge gerichtet. Nur einer bleibt sitzen: Colin Kaepernick. Regungslos. Ohne eine Miene zu verziehen. Es war der Anfang vom Ende einer erfolgsversprechenden Quarterback-Karriere.
Zuerst sitzend, bald einmal kniend, protestierte Kaepernick über Wochen wegen der Polizeigewalt gegen Schwarze. Zu jenem Zeitpunkt werden die USA beinahe im Wochentakt von entsprechenden Meldungen erschüttert: Einmal erschiesst ein weisser Polizist ein unbewaffnetes schwarzes Kind. Ein anderes Mal würgt ein weisser Beamter einen Afroamerikaner zu Tode, der an einer Strassenecke Zigaretten verkaufen wollte.
Kaepernick, damals eines der grössten Football-Talente des Landes, will mit dem Hinknien während der Nationalhymne ein symbolisches Zeichen setzen. Eine Geste gegen Rassismus. Doch es kommt anders.
Wie Trump seine NFL-Karriere (vorerst) beendete
Die USA befinden sich zu jener Zeit mitten im Präsidentschaftswahlkampf. Donald Trump feuert täglich aus allen Rohren. Und der künftige Präsident weiss auch den Kaepernick-Protest geschickt für sich zu nutzen. Anstatt über die Polizeigewalt gegen Schwarze zu sprechen, macht er die Diskussion zu einer Grundsatzdebatte über amerikanische Werte:
Beleidigt Kaepernick mit dem Hinknien während der Nationalhymne die amerikanische Flagge? Beschmutzt er damit das Andenken der gefallenen US-Soldaten?
Trump macht Kaepernick quasi über Nacht zu einem Landesverräter. Der heutige Präsident der Vereinigten Staaten sagt Dinge wie: «Schafft diesen Hurensohn vom Feld, sofort!»
Derweil spielt der gescholtene Quarterback mit seinen San Francisco 49ers eine furchtbare Saison. Am Ende schmeisst er entnervt hin, will sich im Frühling 2017 einen neuen Verein suchen. Doch so weit kommt es nie.
Beinahe täglich twittert Trump in diesen Tagen – mittlerweile aus dem Weissen Haus – über Kaepernick. Gleichzeitig verbreiten ehemalige Fans Aufnahmen in sozialen Netzwerken, die sie beim Verbrennen eines Kaepernick-Trikots zeigen. Auch wenn der Quarterback von Afroamerikanern und Linksliberalen viel Zuspruch erhält: Kein NFL-Besitzer scheint Lust darauf zu haben, sich mit der Hälfte seiner Anhänger anzulegen. Und schon gar nicht mit dem mächtigsten Mann des Landes. Das einstige Super-Talent landet auf dem Abstellgleis. Kaepernick bleibt die folgende Saison ohne Team. Auch in den vergangenen zwei Spielzeiten kehrt er nicht in die Stadien zurück.
NFL will Kaepernick wieder einbinden
In den vergangenen knapp vier Jahren haben sich die NFL-Superstars um Tom Brady (42) oder Aaron Rodgers (36) kaum um Colin Kaepernick gekümmert. Doch seit dem Mord an George Floyd (†46) im Mai und den landesweiten Protesten will plötzlich jeder ein grosser Colin-Unterstützer sein. Doch zuletzt haben die weissen Aushängeschilder der Liga Druck auf die NFL ausgeübt. Und das wirkt, wie das Interview von Goodell am Montag zeigt.
Der Liga-Chef gibt sich plötzlich reuig, sagt, der Umgang mit den Protesten der Spieler sei «falsch» gewesen. Er möchte Kaepernick in Zukunft auch in «schwierige Themen» ausserhalb des Spielfeldes einbinden. Der gefallene Superstars soll die NFL unterstützen, «bessere Entscheidungen zu den Dingen zu treffen, die in den Gemeinden getan werden müssen.»
Alles nur Heuchelei?
Kritiker werfen der American-Football-Liga aber Heuchelei vor. So habe man den Kurs nur aufgrund des Aufschreis geändert und auf die veränderte öffentliche Meinung zu den Protesten reagiert. Tatsächlich unterstützen laut aktuellen Umfragen rund zwei Drittel der Amerikaner die Demonstrationen. Plötzlich also wäre es schlechtes Business aus Sicht der NFL, sich nicht hinter die Proteste zu stellen.
Dass es zum Mega-Comeback von Colin Kaepernick kommt, bleibt trotz den Aussagen Goodells unwahrscheinlich. Letztlich sind es die meist konservativen Teambesitzer, die ihn unter Vertrag nehmen müssten. Und die haben nicht vergessen, dass Kaepernick sie im Nachgang verklagt hatte. Der heute 32-jährige warf den Klub-Besitzern eine Verschwörung vor. Im Februar 2019 kam es zur aussergerichtlichen Einigung. Experten sind sich bis heute einig: Die NFL wäre vor Gericht erschienen, hätten sie die Vorwürfe widerlegen können.
Das Kaepernick-Comeback: Immer noch weit entfernt – und doch näher als je zuvor.