Die Ausgangslage: Tampa Bay Buccaneers gegen Kansas City Chiefs, die lebende Legende Tom Brady (43) gegen den neuen Superstar Patrick Mahomes (25). Besser gehts nicht in der National Football League. Der TV-Sender CBS erklärt das Quarterback-Duell im 55. Super Bowl zum hochklassigsten der Geschichte. Eine der grossen Fragen: Kann die starke Tampa-Defensive die Pass-Offensive der Chiefs um Mahomes, Receiver Tyreek Hill und Tight End Travis Kelce stoppen?
Die Hymne: Immer wichtig vor dem Super Bowl: Wer singt die Hymne? Und wie gut? Diesmal an der Reihe: R&B-Sängerin Jazmine Sullivan und Country-Star Eric Church, die zum ersten Mal seit 15 Jahren und Aretha Franklin und Aaron Neville den «Star Spangled Banner» vor einem Super Bowl im Duett zelebrieren. Fazit: Vor allem Sullivan kann glänzen. Die beiden walzen den Song ganz schön breit, brauchen 2 Minuten und 22 Sekunden für die Hymne – was vor allem die vielen Gambler interessiert, die darauf gewettet haben, ob die 2-Minuten-Marke geknackt wird.
Die 1. Halbzeit: Vor Spielbeginn wird ein Offensivspektakel erwartet. Aber nur Tom Brady und seine Tampa Bay Buccaneers halten sich ans vorgesehene Skript. Die Bucs zeigen im Angriff eine mehr als solide erste Hälfte, Brady gelingen drei Touchdown-Pässe – auch, weil die Chiefs gleich mehrfach in entscheidenden Momenten Strafen kassieren und sich in der Defensive das Leben selber schwer machen. Die Tampa-Defense macht ihren Job dagegen ausgezeichnet. Sie setzt Mahomes hinter seiner verletzungsgeschwächten Offensive Line permanent unter Druck, der Über-Quarterback findet nie den Rhythmus, kommt in Hälfte 1 gerade mal auf lausige 67 Pass-Yards. Immerhin erläuft er seinem Team 33 Yards Raumgewinn, mehr als sechs Punkte sind für die Chiefs aber vor der Pause nicht drin. Halbzeitstand: Tampa Bay 21, Kansas City 6.
Das Comeback I: Rob Gronkowski. «Gronk» war bereits zurückgetreten, als ihn sein alter Patriots-Kumpel Tom Brady nach seinem Wechsel zu Tampa Bay im Sommer rief. Gronkowski erhörte den Kalifornier, unterschrieb in Florida – und fängt im Super Bowl zwei Touchdown-Pässe von Brady. Damit hat das Duo mittlerweile 14 Playoff-Touchdowns auf dem Konto und löst die San-Francisco-Legenden Joe Montana und Jerry Rice in dieser Kategorie an der Spitze ab. Klarer Fall: Comeback gelungen!
Das Comeback II: Antonio Brown reiht in den letzten Jahren einen Skandal an den anderen, fliegt in Oakland und in New England wegen sexueller Belästigung und körperlicher Attacken raus, wird von der NFL suspendiert. Brady setzt sich dafür ein, dass Brown in Tampa noch einmal eine Chance bekommt, setzt sich durch und ermöglicht ihm ein Comeback. Im Super Bowl dankt es ihm der Skandal-Receiver mit dem Touchdown kurz vor der Pause, der die Bucs mit 21:6 in Führung bringt.
Die Halbzeit-Show: Der Kanadier The Weeknd hat die schwierige Aufgabe, im Pandemie-Super-Bowl die Halftime-Show zu bestreiten. Er macht das richtig gut, performt sein Set hauptsächlich auf der Tribüne hinter einer der Endzonen, Gospel-Chor inklusive. Nach dem Einstieg mit «Starboy» mündet der Auftritt im Megahit «Blinding Lights». Im Stadion wird allerdings klar, dass einiges anders ist als sonst: Weil das Publikum so weit weg bleibt und nicht aufs Feld darf wie mindestens ein Teil der Zuschauer sonst während des Super Bowls, kommt keine richtige Konzert-Atmosphäre auf.
Die 2. Halbzeit: Apropos schwierige Aufgabe: So richtig viel scheint Chiefs-Trainer Andy Reid, eigentlich bekannt für kreative Spielzüge in der Offensive, in der Pause nicht eingefallen zu sein. Die Blocker sind weiterhin nicht in der Lage, Mahomes die nötige Zeit zu verschaffen, um konstant Pässe an den Mann zu bringen. Und wenn der 25-Jährige einen aussergewöhnlichen Wurf auspackt, sind die Mitspieler nicht in der Lage, den Ball zu fangen – es kommt alles zusammen für die Chiefs. Nicht zu vergessen aber auch: Die Tampa-Defensive macht ihrem ausgezeichneten Ruf alle Ehre, lässt dem wohl besten Quarterback der Gegenwart kaum Luft zum atmen. Eine dominante Leistung. Am Schluss siegen die Buccaneers mit 31:9, der Wahnsinns-Offensive der Chiefs, in dieser Saison die Beste der Liga, gelingt nicht ein einziger Touchdown.
Das Comeback III: Leonard Fournette: Der Running Back wurde von den Jacksonville Jaguars vor der Saison zum Teufel gejagt – zu teuer, zu wenig explosiv, nicht gut genug für die immensen Vorschusslorbeeren. Nun rehabilitiert sich «Playoff-Lenny», wie der frühere College-Star nach seinen starken Leistungen in den K.o.-Spielen bezeichnet wird, endgültig: Ihm gelingt der vierte Tampa-Touchdown der Partie, der sämtliche verbleibenden Chiefs-Hoffnungen im Keim erstickt. 89 Rushing-Yards und 46 Receiving-Yards sprechen eine deutliche Sprache – er ist der produktivste Bucaneer in der Offensive.
Der Beef: Was ist denn da los? Superstar Brady ist ausser sich und will auf Chiefs-Safety Tyrann Mathieu los. Während des Spiels geraten die beiden immer wieder aneinander. Kurz nach dem dritten Bucs-Touchdown will Mathieu Brady an die Gurgel, bei Brady brennen die Sicherungen durch und er will auf Mathieu los. Mitspieler und Trainer müssen dazwischen. In diversen Medien wird gemutmasst. Mathieu twittert nach dem Spiel: «Schaut die alten Spiele an, ich bin Brady immer nur mit Respekt begegnet.» Und weiter: «Er nannte mich etwas, das ich hier nicht wiederholen werde. Die Medien können nun mich fertig machen, als ob ich der Schuldige wäre …» Mittlerweile hat er die Tweets wieder gelöscht. Welche Worte genau fielen, wird wohl nie an die Öffentlichkeit kommen. Im Interview nach dem Spiel sagt Mathieu noch, dass er diese Seite von Brady nicht kenne, für ihn die Sache aber abgehakt sei. Was aus dem Vorfall resultiert: Eine 15-Yard-Strafe für die Chiefs und ein siebter Ring für Brady.
Der Grösste: Am Ende reden alle über Tom Brady. Klar: Der Kalifornier schafft in seiner ersten Saison in Tampa Bay gleich den ganz grossen Wurf, holt mit dem neuen Team den Super Bowl. Es ist der siebte Meister-Ring für den 43-Jährigen, der seine unglaubliche Karriere damit um ein denkwürdiges Kapitel und seinen eigenen Titel-Rekord ausbaut. Dass er der grösste Quarterback der Geschichte ist, daran hat spätestens seit seinem sechsten Super Bowl 2019 niemand gezweifelt. Dass er jetzt mit seinem siebten Triumph in seinem zehnten Super Bowl das Kunststück auch ohne seinen alten Coach und langjährigen Mentor Bill Belichick, der in New England geblieben ist, schafft, setzt dem Ganzen die Krone auf. Es wird lange dauern, bis jemand Brady als den grössten aller Zeiten, den G.O.A.T. («Greatest of all Time»), wie die Amerikaner sagen, verdrängen kann. Sein Super-Bowl-Kontrahent Mahomes wird durch die empfindliche Niederlage jedenfalls in diesem Unterfangen zunächst einmal zurückgebunden. Brady wird nach einer extrem effizienten Leistung mit 201 Pass-Yards und 3 Touchdowns derweil zum fünften Mal zum Super-Bowl-MVP gewählt. «Wir haben im richtigen Moment als Team zusammengefunden», sagt er danach. Und er kündigt an, dass er auch mit 43 Jahren noch lange nicht fertig ist mit Football. «Ich komme zurück! Ganz sicher.»
Der Verlierer: Für Chiefs-Passer Patrick Mahomes ist die 9:31-Klatsche ein bitterer Moment in der Karriere. Mit einem Sieg hätte er den zweiten Super Bowl in der Tasche und gute Aussichten gehabt, Brady dereinst als ultimativer Top-Quarterback abzulösen. Der letztjährige Super-Bowl-MVP kämpft die meiste Zeit auf verlorenem Posten, bleibt ohne Touchdown und muss sich zwei Interceptions notieren lassen. Aber er darf zuversichtlich bleiben: Bei den Buchmachern ist seine Mannschaft für die kommende Saison bereits wieder Favorit. Abgeschrieben wird der Über-Athlet von der NFL-Fachwelt noch lange nicht. Und mit einer gesunden Offensive Line sind seine Chancen nächstes Jahr mehr als intakt.
Super Bowl LV: Tampa Bay Buccaneers – Kansas City Chiefs im Liveticker