BLICK: Als Sie 1980 Uzwil SG verlassen haben, hätten Sie sich je gedacht, dass Sie 36 Jahre später in Miami interviewt werden, weil Ihr Sohn ein Superstar ist?
Bernadette Vernon: (lacht) Sicher nicht! Mein Miami-Abenteuer entstand ja aus dem Nichts. Ich war zuvor für ein Jahr in Israel, wo ich meinen späteren ersten Ehemann kennen lernte, der aus Miami stammte. Ich wollte ihn besuchen und sehen, ob es mir hier gefallen könnte. Ich blieb – und hier bin ich immer noch. Auch wenn ich die Bratwürste und die gute Bergluft vermisse, ich habe mich in Miami verliebt. An mehr war wirklich nicht zu denken.
Mit Ihrem zweiten Mann bekamen Sie Sohn Olivier. Ihr Sohn spielte für die Miami Dolphins, er ist ein Star in Miami. Wie weit war seine Mutter damals von dieser Glitzerwelt entfernt, als Sie herkam?
Sehr weit, glauben Sie mir. Die ersten zehn Jahre lag es nur alle zwei oder drei Jahre drin, zurück in die Schweiz zu reisen, um meine Mutter und Schwester zu besuchen. Ich arbeitete in einem Hotel, wo ich auch meinen zweiten Ehemann kennenlernte. Wir lebten in einer kleinen 2-Zimmer-Wohnung. Die Kinder schliefen im Schlafzimmer, wir auf der Coach. Das erste Jahr hatte mein Mann zwei Jobs, damit ich mit Olivier zuhause bleiben konnte. Danach arbeitete ich tagsüber, er übernahm bei der Miami Beach Polizei die Nachtschicht. Wir mussten uns hocharbeiten und leben trotz Oliviers Karriere auch heute noch in keiner Villa. Und das ist auch gut so.
Wie war Olivier als Kind?
Voller Energie. Baseball, Taekwondo, etwas Football im Park, Hauptsache, er konnte Sport betreiben. Als er sechs Jahre alt war, begann er mit Fussball. Bei einem Besuch in der Schweiz bekam er ein Schweizer Nati-Trikot geschenkt. Das trug er dann zuhause ganz stolz im Quartier.
Wenn Fussball seine Leidenschaft war, wie kam dann der Wechsel zum Football?
Keine Ahnung! Das war mit 14. Bis dahin gabs nur Tschutte, Tschutte, Tschutte. In der Schule belegte er das Schwerpunktfach Kunst. Da schrieb er eines Tages in einen Aufsatz, es sei sein Ziel es in die NFL zu schaffen. Bis dahin hatte er noch nie davon gesprochen. Er kam heim, sagte mir, er wolle nicht mehr Fussball, sondern Football spielen. Und so begann alles.
Oliviers Vater Lascelles läuft in dem Moment gerade durch die Stube. Und fügt an: Ich habe Fussball in Jamaika gespielt. Berndettes Vater hat Fussball gespielt. Und er kam heim und sagte er wolle nicht mehr Fussball spielen. Ich sah ihn nur an und frage: Machst du Witze? Es war ihm ernst. Naja, wir liessen ihn machen, Hauptsache er war glücklich.
Scheint sich bewährt zu haben! Wann haben Sie gemerkt, dass aus Ihrem Jungen im Football mehr werden kann?
Ach, eigentlich gar nicht. Ich merkte nur, dass seine Trainer ihn besonders beobachteten. Aber gerade mal drei Prozent schaffen es von einem High-School in ein College-Team. Und davon nur 0,02 Prozent am Ende in die Profi-Liga NFL. Ich dachte mir also: Cool, vielleicht schafft er es sogar in ein College Team, das wäre Wahnsinn. An mehr dachte ich nicht.
Es wurde viel mehr.
Naja, plötzlich kamen College-Trainer von überall her, um ihn im Training zu beobachten. Sie riefen uns an, einige waren bei uns zuhause. Sie sassen dort auf dem Sofa, um uns zu überzeugen, dass Olivier zu ihnen kommen solle. Täglich flatterten Briefe von Colleges ins Haus, die ihn wollten.»
Im Fussball werden die Eltern von den Klubs mit Geld, Autos, Wohnungen und Jobs geködert, damit ihr talentierter Junge zu Ihnen wechselt. Auch wenn es verboten ist, was wurde Ihnen offeriert, damit sich Olivier für das entsprechende College entscheidet?Nichts, ganz ehrlich. Es ist verboten und die Schulen halten sich daran. Sie könnten sonst von der Liga ausgeschlossen werden. Aber es ist so, dass den talentierten Spielern Stipendien gezahlt werden. Heisst: Olivier zum Beispiel entschied sich am Ende für die University von Miami. Eine private Uni, die 50 000 Dollar pro Jahr kostet. Das hätten wir uns nie leisten können.
Muss der talentierte Footballer denn schulisch da trotzdem was drauf haben?
Und wie. Er musste die Kurse bestehen, damit er an der Schule bleiben darf. Das braucht Biss mit dem ganzen Training nebenbei. Damit Olivier zum Beispiel früher an die University konnte, schob er Extra-Schichten und beendete seine vorherige Schule früher. Einen Sommer lang ging er in die Schule, statt die Ferien zu geniessen. Von 7 bis 21 Uhr. Und wenn er eine Stunde frei hatte, ging er in den Kraftraum.
Sind das typische Schweizer Werte, die Sie ihm vermittelten?
Ich brachte ihm schon als Kind bei: Wenn man was anfängt, macht man es auch fertig. Von seiner Kunstschule hatte er schon nach einem Jahr genug. Er hat sich dann noch zwei Jahre durchgebissen (lacht). Und ein Ordnungsfanatiker ist er sowieso. Er bügelt heute noch seine Kleider selber und hängt sie nach Farben sortiert auf.
War es Ihnen wichtig, ihm die Schweizer Kultur näher zu bringen?
Klar. Seit er neun Monate alt war, haben wir die Sommerferien immer in der Schweiz verbracht. In Miami sind wir im Schweizer Klub. Wir feierten den 1. August immer. Und an Weihnachten gibt es Raclette oder Fondue.
Und wie sieht es mit seinem Deutsch aus?
(Sie rollt mit den Augen). Ja gut, das hat nicht ganz geklappt. Zu Beginn versuchte ich es schon. Aber als er dann in den Kinderhort kam, sprachen alle Englisch und mein Mann kann ja auch kein Deutsch. Olivier versteht ein paar Worte. «Ich heisse Olivier» und «es bizzeli» kann er sagen. In der High School nahm er Deutsch als Zusatzsprache.
War er ein Frauenheld?
(lacht laut) In der Highschool hatte er noch eine feste Freundin. Aber im College haben die Trainer den Spielern eingetrichtert, dass sie aufpassen sollen mit den Frauen. Es habe viele sogenannte ‚Gold Digger’, die sie ausnehmen wollen. Heute ist er Single, so schnell heiratet er nicht. Er ist auf den Sport fokussiert. Er brauche kein Drama nebenbei.
Erzählen Sie von dem Tag, als Olivier zu den 0,02 Prozent aus ganz Amerika gehörte, die es in die NFL schaffen.
Es wird sogar am TV übertragen, wenn die Klubs jährlich die Talente auswählen. Wir sassen vor dem TV, Olivier nicht. Er war draussen vor dem Haus und spielte mit seinen Freunden Domino. Bis sein Handy klingelte und der Generalmanager der Miami Dolphins dran war. Die Dolphins, sein Stadtklub, drafteten ihn in der dritten Runde! Die Nachbarn kamen aus den Häusern und gratulierten ihm. Am nächsten Tag haben wir eine Riesen-Party organisiert im Garten.
College. NFL. Miami Dolphins. Jetzt der Wechsel zu den New York Giants. Mit einem Vertrag über 85 Mio. Dollar, der ihn punkto Einkommen zur Nummer zwei der Schweizer Athleten hinter Roger Federer macht. Wie klingt das für Sie als seine Eltern?
Es ist unglaublich und wir lieben Roger Federer. Aber es ist vermessen, wenn man Olivier in einem Atemzug mit Federer nennt. Ich will da nichts vergleichen. Schon gar nicht, wenn es um Geld geht. Olivier ist für mich Olivier, egal was für einen Job oder Vertrag er hat. Er ist unser Sohn, sein Geld ist mir egal. Ich sehe doch keine Dollarzeichen, wenn ich meinen Sohn anschaue! Ich wünsche ihm nur das Beste und dass er gesund bleibt.
Der Vater hat inzwischen auch auf der Couch Platz genommen.
Lascelles: «Das sagt sogar Olivier. Er sagte zu mir: ‚Paps, es geht nicht ums Geld, es geht ums Spiel. Und ich liebe dieses Spiel einfach.’ Meine Frau und ich sind sehr bescheiden. Geld spielt keine Rolle.»
Ist es schwierig als Eltern nachzuvollziehen, dass der Sohn für viele Menschen ein Superstar ist?
Lascelles: «Ja total! Für uns war er ja immer unser Superstar, schon als Kind.»
Bernadette: «Eben nicht! Olivier war schon als Kind einfach nur Olivier. Er ist mein Sohn. Wir behandeln ihn heute genau gleich. Er hat keine Starallüren, er ist bodenständig.»
Besorgt es Sie, dass er wegen seines neuen Vertrages dermassen in der Öffentlichkeit steht?
Bernadette: «Die Dinge werden sich sicher ändern. Er wird mehr unter Beobachtung steht und viel mehr Druck haben. Ich hoffe, dass er gesund bleibt und eine gute Saison haben wird.»
Werden Sie denn jetzt auch anders behandelt?
Bernadette: «Ach, was. Vielleicht fragen uns Aussenstehende, ob wir jetzt in eine Riesen-Villa ziehen und ein Luxus-Leben leben werden. Aber das passiert sicher nicht. Wir haben noch die gleichen Freunde, leben noch im gleichen Haus und das wird auch so bleiben. Olivier hat uns zwar gefragt, ob wir mit ihm nach New York kommen wollen, aber ich gehe nicht weg von hier. Ich habe mich vor 36 Jahren in Miami verliebt, hier bleibe ich.»