Ex-NFL-Star über die Karriere-Spätfolgen
«Dann bringe ich mich halt um!»

Gladiatoren, Glamour, Geld. Das ist American Football. Zumindest auf den ersten Blick! Der Deutsche Patrick Venzke sagt, wie es wirklich ist. Warum er froh ist, dass er keine Waffe besitzt. Wieso er es nicht schafft, Windeln ein-zukaufen. Und weshalb er kürzlich fast einen Hund getötet hätte.
Publiziert: 28.06.2015 um 13:39 Uhr
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Aktualisiert: 14.10.2018 um 03:15 Uhr
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2001: Venzkes Traum geht in Erfüllung: Er unterschreibt beim NFL-Team Jacksonville Jaguars.
Foto: imago
Von Daniel Leu

Es war sein grosser Traum. Patrick Venzke wollte der erste Deutsche in der National Football League (NFL) werden. 2001 schafft er es: Er unterschreibt bei den Jacksonville Jaguars einen Vertrag. In die Stammformation schafft er es aber nicht. Venzke lernt in den USA vor allem auch die Schattenseiten kennen. Noch heute – vier Jahre nach seinem Karriereende – leidet Venzke (40) unter den Spätfolgen. Er lebt zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern im US-Bundesstaat Idaho und arbeitet als Immobilienmakler.

Herr Venzke, in Ihrem Testament steht: «Mein Sohn Lukas Patrick erbt nur, wenn er nie American Football spielt.» Warum diese Klausel?
Patrick Venzke: Weil ich nicht möchte, dass er sich den gleichen Gefahren aussetzt wie ich. American Football ist sehr gefährlich. Die Spätfolgen fürs Hirn können verheerend sein.

Versteht Ihr Sohn schon, warum er nicht Football spielen sollte?
Nein, mit sechs Jahren ist er noch zu jung dafür.

Sie waren bis 2011 aktiv. Wie hart ist American Football?
Sehr hart. Bei den Jacksonville Jaguars haben wir jeden Tag bei grosser Hitze dreieinhalb Stunden in Vollmontur trainiert. Wenn du kein Superstar bist, musst du täglich Vollgas geben. Ein schlechter Tag, und du bist raus und wirst ersetzt. Ich weiss gar nicht mehr, wie oft ich im Training kotzen musste.

Was taten Sie in solchen Situationen?
Helmgitter rauf, kotzen, nicht jammern und weiter gehts. Spieler wie ich einer war, hatten eine Kündigungsfrist von 24 Stunden. Deshalb habe ich während meiner ganzen Karriere auch nie eine Trainingseinheit oder ein Spiel verpasst.

Sie nahmen sehr starke Schmerzmittel zu sich. Unter anderem Morphium, das auch Krebspatienten im Endstadium erhalten.
Solche Medikamente gehörten zum Alltag, auch wenn sie nicht gesund für den Körper sind. Das Problem dabei: Morphium macht schläfrig. Deshalb brauchte man zusätzlich wieder Aufputschmittel, um die Balance zu finden.

Wie fühlt es sich an, unter Morphium zu spielen?
Das war nicht sehr einfach. Zu Beginn eines Spiels versuchte ich mich jeweils, auf dem Feld zu orientieren. Ich schaute immer zuerst auf die Anzeigetafel und erschrak dann, wenn ich den Spielstand nicht lesen konnte, weil ich alles verschwommen sah.

Vor vier Jahren sind Sie zurückgetreten. Wie geht es Ihnen heute?
An 350 Tagen im Jahr gut, an 15 schlecht.

Wie sieht ein solch schlechter Tag aus?
Dann verliere ich die emotionale Kontrolle, weil durch die vielen Gehirnerschütterungen der sogenannte Frontallappen der Grosshirnrinde beschädigt ist. Wenn Sie mich zum Beispiel jetzt 10, 15 Mal angerufen hätten, hätte es kippen können.

Können Sie mir ein Beispiel nennen?
Kürzlich waren wir zum Barbecue bei den Nachbarn eingeladen. Alles war wunderbar. Wir assen Würste, tranken Bier. Als meine dreijährige Tochter rumrannte, sprang ihr der Nachbarshund hinterher. Ich wusste nicht, ob er nur spielen wollte oder ob er meine Tochter als Beute sah. Da bin ich komplett ausgerastet. In dem Moment hätte ich den Hund töten können, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. Zum Glück hatte ich kein Messer zur Hand. Ich war ausser Kontrolle. Noch fünf Stunden später war ich völlig ausser mir.

Wie geht Ihre Frau damit um?
An 350 Tagen bin ich der beste Ehemann der Welt. Ich schreibe ihr Zettelchen. Sage ihr 20 Mal am Tag, dass ich sie liebe und dass sie die beste Mutter der Welt ist. An den 15 Tagen, an denen ich der Football-Patrick bin, lässt sie mich einfach in Ruhe. Denn diskutieren lohnt sich dann mit mir nicht. Ich sehe jeden Widerstand als Aggression an. Und ich sehe dann in ihr nicht mehr meine Frau, sondern meinen Feind.

Ist Alkohol auch ein Thema?
An schlechten Tagen ja. Was früher die Tabletten waren, kann heute der Alkohol sein. Wenn der Stress kommt, kann ich problemlos 20 Biere in mich hineinschütten.

Wie kommen Sie im Alltag zurecht?
Es geht so. Für mich ist es zum Beispiel unglaublich schwierig, Katzenfutter oder Windeln einzukaufen.

Warum?
Früher wurde mir alles abgenommen. Wenn du einen Verlobungsring kaufen willst, gehst du nicht zum Juwelier. Der Juwelier kommt zu dir ins Stadion. Alles wird dir abgenommen. Und nach der Karriere musst du auf einmal selber Windeln besorgen. Das hört sich jetzt vielleicht arrogant an, ist aber so: Mein Opfer war zu gross, um heute solche simplen Sachen zu machen.

Haben Sie an schlechten Tagen Selbstmordgedanken?
Ich habe eine Lebensversicherung über drei Millionen US-Dollar abgeschlossen. Nach einem Jahr wird die Selbstmordklausel rausgenommen. Dann kannst du dir das Leben nehmen, und das ganze Geld geht an deine Familie. Wenn ich Stress habe, denke ich manchmal schon: Komm, jetzt opfere ich mich noch einmal für die Familie, bringe mich um und sie hat dann ausgesorgt.

Schmerzen, Depressionen, Selbstmordgedanken – war die Karriere das alles wert?
Definitiv ja! Seit ich 16 war, wollte ich der erste Deutsche in der NFL werden. Ich wollte mich mit den Besten der Welt messen und für weitere Deutsche den Weg bahnen. Das ist mir gelungen, und darauf bin ich auch stolz.

Für die Fans sind die Spieler Gladiatoren. Ein trügerisches Bild?
Das ist so. Die Fans jubeln, wenn bei einem Zusammenprall die Helme fliegen. Die sehen aber nicht, wie sich die Gladiatoren fühlen. Dass er sich den eigenen Namen nicht mehr merken kann. Diese ehemaligen Spieler sind zwar Gewinner, gleichzeitig aber auch Überlebende wie Kriegs-Veteranen.

Hat es sich auch finanziell gelohnt?
Nein, ich habe während meiner ganzen Karriere weniger als eine Million Dollar verdient. Ich war ein kleines Rad in einer grossen Maschine. Heute muss ich normal zur Arbeit gehen. Ich will mich aber nicht beschweren. Ich habe Sachen erlebt, die ich ohne den Sport nie gesehen hätte. Ich wurde wie ein Star behandelt, flog im Privatjet. Und ganz wichtig: Ich konnte meinen Traum leben.

Letzte Frage: Der Schweizer Dan Glauser träumt ebenfalls von der NFL. Was raten Sie ihm?
Verfolge deinen Traum, aber gehorche gleichzeitig deinem Instinkt. Wenn dein Körper sagt, mach eine Pause, dann mach eine.

Das ganze Interview lesen Sie heute im SonntagsBlick.

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