Marcel Koller hat in seiner grossen, fast 46-jährigen Karriere alles erlebt. Eine Atmosphäre wie beim Champions-League-Triumph mit Al Ahly Kairo hat aber selbst den mittlerweile 63-Jährigen noch einmal so richtig aus den Socken gehauen. «Das ist in Europa mit nichts zu vergleichen. Die Ägypter sind sehr, sehr leidenschaftlich.»
Knapp 75’000 sinds im International Stadium von Kairo. Alle in Rot. Jeder steht, keiner sitzt, alle brüllen, als hinge ihr Leben davon ab. Als der Schlusspfiff ertönt, brechen alle Dämme. Koller wird von Securitys erst in die Katakomben und dann nach draussen geschmuggelt.
Bereits Stunden vor dem Spiel säumen Zehntausende die Strassen. Einige davon drücken sich an der Frontscheibe des Mannschaftsbusses die Nasen platt. Die Ankunft verzögert sich, zu gross ist der Andrang. «Wir hatten nur einen Polizisten auf einem Töff dabei. Als es nicht weiterging, haben wir den Fans gesagt, dass wir jetzt den Final spielen müssen und keine Zeit zum Diskutieren haben», sagt Koller mit einem Schmunzeln. Verzögerungen habe er aber von Anfang an miteingerechnet. Etwas, das der für seine Akribie bekannte Trainer erst lernen musste. «Man ist hier weniger penibel, lässt auch mal fünf gerade sein, ist nicht immer auf die Minute genau.»
Acht Titel in zwei Jahren
Auf dem Rasen aber funktioniert seine Elf wie ein Schweizer Uhrwerk. Acht Titel hat Koller gewonnen, seit er im Sommer 2022 bei Al Ahly übernommen hat. Besser gehts kaum. Für die Fans aber sei das nicht gut genug, so der Trainer. «Wir haben den Champions-League-Sieg bis vier Uhr nachts gefeiert. Und am anderen Tag hat mir einer gesagt, dass wir nun Meister werden müssen.»
Dumm nur, dass Al Ahly aufgrund der Champions-League-Spiele und der Klub-WM acht Spiele Rückstand auf die Konkurrenten hat. Und man alle gewinnen müsste, um Leader zu werden. Ist das nicht Wettbewerbsverzerrung? «Die mentale Belastung ist enorm. Weil wir nun alle drei Tage ein Spiel haben werden. Und weil die Saison bislang bereits extrem anstrengend war. Wir spielten in der Champions League auswärts unter anderem im Kongo, in Ghana, in Tansania. Das sind teils extreme Temperatur- und Feuchtigkeitsunterschiede», sagt Koller.
Von solchen Dingen aber wollen die Fans nichts wissen. Wird Al Ahly nicht zum 44. Mal Meister, dann brennts. Weil der Klub mit seinen fast 50 (!) Millionen Fans zum Siegen verdammt ist. «Wenn du erfolgreich bist, ist alles gut. Wenn du verlierst, dann dreht der Wind. Dann sind die Fans fast nicht zu besänftigen», sagt Koller. Christian Gross, die andere Schweizer Trainer-Legende, kann ein Lied davon singen. Dessen Vertrag wurde bei Zamalek, dem Stadtrivalen von Al Ahly einst nicht verlängert, obwohl er den Confederation Cup gewonnen hatte und zum Trainer des Jahres gewählt wurde.
Kollers Zukunft ist noch offen
Auch Kollers Vertrag läuft aus. In Ägypten hat er alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Möglich deshalb, dass es Zeit für eine neue Herausforderung ist. Vor seinem Engagement bei Al Ahly hätte er die polnische Nati übernehmen können. Auch Griechenland buhlte um den 63-Jährigen. Gut möglich, dass erneut ein Land an Koller denkt. Priorität aber scheint noch immer der Klubfussball zu haben. «Als Nationaltrainer kannst du nicht einfach einen Spieler kaufen, sondern, musst mit jenen arbeiten, die du hast», sagt Koller. Auch das sei sehr spannend, ausschliessen möchte er nichts.
Eine Rückkehr zu GC, wo er mit 539 Spielen Rekordhalter ist, eine Ikone, als Spieler und als Trainer Meister, wirds aber kaum geben. Vor dem Einstieg der Chinesen gabs mal lose Gespräche, konkret aber ists nie geworden. Dass er seinem Verein auf ewig verbunden bleiben wird, ist aber trotzdem klar. «Es läuft ja schon seit längerer Zeit nicht mehr rund bei GC. Ich hoffe, dass die neuen Besitzer etwas aufbauen werden, dass sie nicht alles über den Haufen werfen, dass sie geduldig sind.»
Geduldiger als die heissblütigen Fans von Al Ahly.