Wäis Kiani - Style Writer
Die grosse Lehre der Leere

Das ist mein letzter Bericht aus Ibiza. Nächste Woche geht es zurück in die Zivilisation – zu Menschen mit Schuhen und Strümpfen.
Publiziert: 30.06.2015 um 12:23 Uhr
|
Aktualisiert: 05.10.2018 um 05:07 Uhr
Wäis Kiani

Mein Buch ist fertig und wird jetzt gedruckt, und ich habe irgendwie plötzlich nichts mehr zu tun, bis es im September erscheint. Und kann peinlicherweise mit meiner neuen Freiheit nichts anfangen.

Ein Jahr lang litt ich unter diversen Ängsten und war nur am Jammern. Nachts konnte ich nicht schlafen vor Versagungsangst, Buchdruckangst, Gesichtsverlustangst, Existenzangst und vor lauter schlechtem Gewissen, weil ich viel zu langsam war. Tagsüber schrieb ich nicht, sondern blödelte lieber im Internet herum – und wusste nicht, ob ich aus Faulheit für alles so lange brauchte oder mein künstlerisches Tempo das abverlangte.

Jetzt gehen also meine knapp 300 Seiten in Satz, mein Verlag ist zufrieden, und ich habe nichts mehr. Also keine Angst, kein schlechtes Gewissen, keine Sorgen, keinen Druck und keine Wut auf mich selbst.

So ähnlich müssen sich Eltern fühlen, wenn die Kinder aus dem Haus sind, plötzlich Ruhe und Frieden herrscht und niemand mehr mit schmutzigen Sneakers über den Teppich läuft, die Milch aus der Flasche trinkt und das Auto ohne Benzin im Halteverbot stehen lässt.

Ich höre oft von Müttern, die jüngere Kinder haben, dass sie nicht wissen, was sie tun sollen, sind die Kinder mal weg. Ich dachte immer, die Mütter spinnen doch, aber jetzt gehts mir auch so. Eine Verantwortung, die man sehr ernst nimmt, ist wohl das, was wir Menschen brauchen und was uns antreibt. Jetzt weiss ich ein bisschen, wie sich das anfühlt, Stress hält einen anscheinend am Leben.

Meine Bekannten hier auf Ibiza haben auch nichts zu tun, fällt mir auf. Sie haben alle zu viel Geld geerbt und sich irgendwann hier ein Anwesen zugelegt. Sie kiffen von morgens bis abends und jammern über viele Dinge, etwa wie schwierig es ist, auf Ibiza gutes Personal zu finden (weil alle unzuverlässig sind und die Babysitter montags einfach nicht kommen und man diese dann später zugedröhnt im Drogenclub DC10 trifft) oder wie hoch die Rechnung des Palmenschneiders war.

Wussten Sie, dass man seine Palmen regelmässig schneiden muss, und das bei 28 Palmen jedes Mal 5000 Franken kostet? Eine ausgewachsene marokkanische Palme gibts ab 30 000, die grossen Fetten ab 50 000 Franken. Jetzt rechnen Sie mal, was 28 Stück und die Schneiderei dreimal im Jahr kosten.

Und als hätten meine Freunde nicht genug Kummer, kriechen manchmal grosse Schlangen, die sich in Marokko in der Palme versteckt hatten, auf Ibiza verwundert heraus und nehmen erst mal nach den Strapazen der Reise ein erfrischendes Bad im Pool. Als ich das hörte, wusste ich, es gibt nur eine einzige Angst, vor der ich wirklich Angst habe: Schlangenangst.

Wäis Kiani, Schriftstellerin und Stil-Liebhaberin, schreibt jeden Sonntag über ihre Beobachtungen im Alltag.

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?