Toll fürs Kind – oder eher für die Eltern?
Das Festival als Familienausflug

Tolle Erfahrung für das Kind – oder eher für die Eltern? Musikfestivals werden zu Familienausflügen. Die Veranstalter begrüssen die Kleinen – aber bitte mit Gehörschutz.
Publiziert: 30.07.2018 um 18:17 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 18:16 Uhr
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Festivalveranstalter in der Schweiz beobachten, dass mehr Familien mit Kindern an ihren Open Airs teilnehmen.
Foto: Paléo, Nicolas Patault
Dana Liechti

Es ist heiss. Faber steht auf der Bühne, seine verschwitzten Haare fallen ihm ins Gesicht, während er mit rauchiger Stimme ins Mikrofon brüllt. Aus den Boxen donnert das Schlagzeug, schrammt die Gitarre. Im Publikum toben und tanzen vor allem junge Leute, einige ältere Musikbegeisterte haben sich dazugesellt. Sie haben ein Bier in den Händen und ein Lächeln im Gesicht. Dazwischen entdeckt man auch kleinere Festivalbesucher. Hier ein Vater mit seiner Tochter auf den Schultern, da ein Mami mit dem Kleinkind im Tragetuch, dort zwei Buben, die zur Musik herumhüpfen.

Das Bild von Familien im Festivalgetümmel sieht man in der Schweiz in letzter Zeit öfters. In ­anderen Ländern wie Israel ist das längst üblich. Dort gelten Festivals als perfekte Ausflugsziele mit toller Atmosphäre für Familien. Das scheint man auch hierzulande zu erkennen. Angefragte Veranstalter beobachten häufiger Familien. Vor allem tagsüber. Kein Wunder, denn der musikalische Ausflug ist für Kinder bis zwölf, bei manchen Festivals auch für ­ältere, meist gratis. Deshalb ist es schwierig zu sagen, wie viele Kinder tatsächlich an den Festivals sind – die Tickets werden oft nicht registriert.

Die meisten Veranstalter sehen gerne Kinder im Publikum

Trotzdem bemerkt man eine Tendenz. «Wir haben viele Anfragen von Eltern, die wegen ihrer Kleinkinder anrufen. Vor allem junge ­Eltern, die das Festival selbst toll finden und die Kinder mitnehmen möchten», sagt etwa Patricia Höhlemann, Leiterin Administration des Open Air Gampel im Wallis.

Nicht nur im Wallis gibt es kleine Besucher, die meisten Festivals begrüssen Kinder. Melanie Schweizer-Toman, Leiterin Kommunikation und Marketing vom Festival Weihern in St. Gallen, sagt: «Tagsüber und eher am Rande des Publikums finde ich es total in Ordnung, wenn man Kids mitnimmt. Gefahren sehe ich keine. Und damit das Kind nicht verloren geht, kann man ja eine Handynummer der Eltern auf den Arm schreiben.» Höhlemann vom Festival Gampel sagt: «Ich finde es super, wenn die ganze Familie, auch mit Grosseltern, bei uns am Festival ist.»

Das Paléo in Nyon ist besonders familienfreundlich. «Wir sind ein multigenerationelles Festival», sagt Mediensprecherin Michèle Müller. Kinder bekommen Kleber, auf den sie die Telefonnummer der Eltern schreiben können, für den Fall, dass sie verloren gehen. Es gibt ­diverse betreute Programmpunkte, die bewusst auf Kinder und Teenager ausgerichtet sind und den Eltern auch mal erlauben, sich alleine ein Konzert anzuhören: Kinderhort, Spielplatz, Shows, Strand­bereich für Teenies. Obwohl sich manch einer schon fragt: Wieso diese Mamis und Papis das Kind mit zum Festival nehmen, wenn sie es dann doch in die Krippe oder in eine betreute Show stecken.

Besonders kleine Festivals ­ziehen die Jüngsten an

Am Gurtenfestival in Bern sind ­Familien gemäss dem Veranstalter schon seit jeher gern gesehene und häufige Gäste. Und auch beim Lakesplash, einem Reggae-Festival in Twann im Kanton Bern, bezeichnet man sich als familienfreundlich. Das Weihern Festival in St. Gallen bietet dieses Jahr gar ein Konzert der Kinderband Marius & die Jagdkapelle an, um auch für die ganz Kleinen einen Anreiz zu schaffen. Am Open Air am Bielersee, das Spiele und Akrobatikworkshops anbietet, sind besonders nachmittags viele Familien – auch mit Kleinkindern. Das freut die Veranstalter: «Wir sind sehr zufrieden mit unserem gemischten Festival-Publikum.»

Besonders kleinere Festivals ziehen Eltern mit Kindern an. Wahrscheinlich weil sie familiärer sind. Doch sogar am Greenfield in Interlaken, wo auf der Bühne heftiger Heavy Metal spielt, beobachten die Veranstalter hin und wieder Kinder. Dort betrachtet man diese ­Entwicklung aber eher kritisch. «Wir sehen immer wieder, dass ­Eltern mit Kindern ans Greenfield Festival kommen, aber wir empfehlen das aufgrund unserer Musik­ausrichtung und der Lautstärke nicht», heisst es von Seiten der ­Veranstalter. Es gebe Veranstaltungen, die sich besser für Kinder e­ignen würden.

Eigentlich gehören Familien auch nicht ins Zielpublikum der Festivals, denn das liegt bei den meisten im Alter zwischen 16 und 36. Diesen Fokus möchten die Veranstalter nach eigenen Angaben nicht ändern. Zudem haben Kinder in der Schweiz dank zahlreichen Kinderkonzerten bereits Veranstaltungen, die extra auf sie ausgerichtet sind. Trotzdem entscheiden sich immer mehr Eltern, auch die herkömmlichen Festivals mit ihren Sprösslingen zu besuchen. Manche vielleicht, weil sie ihr Leben möglichst so weiterzuleben versuchen wie ohne Kind. Und andere, weil sie dem Kind ein aussergewöhnliches Erlebnis ermöglichen wollen.

Mirjam Boscardin aus St. Gallen, die schon lange für das St. Gallen Open Air arbeitet, nahm ihre Kinder schon vor Jahren mit. Während sie arbeitete, durften sie ihre zwei Kinder mit dem Papi besuchen – und auch mal alleine übers Gelände laufen. «Sie mussten sich immer wieder bei mir melden. Wäre ich nicht dort gewesen, um zu arbeiten, wäre das nicht gegangen. So konnten sie sich frei bewegen. Ich denke, das ist weniger gefährlich als in der Stadt», sagt sie.
Das Festival eignet sich, weil es sehr friedlich und familiär ist. Und der Besuch sei ein schönes Erlebnis für die ganze Familie – auch wenn man als Eltern natürlich nicht ins Gewimmel nach vorne gehen kann oder sollte. «Aber mich hat das nie gestört, ich war ja nicht mehr 20», sagt Boscardin.

Trotzdem findet die St. Gallerin es nicht gut, dass manche Eltern ihre Kinder heutzutage überallhin mitnehmen: «Ich sehe heute viele Kinder am Festival, die noch nicht mal laufen können. Unter acht Jahren sollte man sie nicht mitnehmen – sie haben ja gar nichts ­davon.»

Das sieht Melanie Schweizer-Toman von der Kommunikation des Weihern-Open-Airs und ebenfalls Festivalgängerin anders: Sie hat dieses Jahr selbst zusammen mit ihrer knapp zehn Monate alten Tochter das Frauenfeld Open Air besucht: «Wir waren am Nachmittag geschäftlich am Open Air und haben sie mitgenommen. Sie ist ein sehr neugieriges Kind und hat gerne Musik, darum war es für sie eine tolle Erfahrung.» Ein paar Stunden würden aber reichen, dann hätten die Kleinen auch genug. Und: «Natürlich hatte sie ­immer einen Gehörschutz an, wenn es laut war.»

Gehörschutz für Kleinkindersind ein Muss

Etwas, das nicht alle Eltern, die mit ihren Kleinen an Festivals unterwegs sind, beachten. Immer wieder beobachten Veranstalter kleine Kinder ohne Gehörschutz an Konzerten. Das ist auch meistens ein Grund, wieso einige Veranstalter dem Festivalbesuch mit Kindern kritisch gegenüberstehen. «Das tut mir immer sehr leid, weil das aus meiner Sicht eine totale Reizüberflutung für Kinder ist und das Gehör stark beschädigt werden kann. Ich finde, da dürften die Open Airs auch etwas strenger sein», sagt etwa Melanie Schweizer-Toman.

Auch Patricia Höhlemann vom Gampel ist dieser Meinung: «Ich finde es kritisch, wenn Kleinkinder bis drei Jahre ohne Gehörschutz da sind, da halten wir die Eltern ­immer an, einen Gehörschutz mitzunehmen. Aber schlussendlich liegt das im Ermessen der Eltern.»

Trotzdem: Die meisten Festival­veranstalter begrüssen Familien mit Kindern, zumindest am Nachmittag. Immerhin sehen sie so ihre Zukunft gesichert. «Wir möchten das Open Air Lumnezia noch lange weiterführen», sagt Catia Tschuor vom Festival in den Bündner Bergen. «Darum ist es toll, wenn schon die nächste Generation mit dem Festival-Virus angesteckt wird.»

Anstehende Festivals

Openair am Bielersee, Vinelz BE:
Spiele und Akrobatikworkshops für Kinder: 10. bis 12. August

Open Air Gampel, Wallis:
Gilt als familiär: 16. bis 19. August

Zürich Openair
Kinder unter 12 haben Gratis-Eintritt: 22. bis 25. August

Weihern OpenairWeihern , St. Gallen:
Mit Extra-Kinderkonzert: 13. bis 15. September




Openair am Bielersee, Vinelz BE:
Spiele und Akrobatikworkshops für Kinder: 10. bis 12. August

Open Air Gampel, Wallis:
Gilt als familiär: 16. bis 19. August

Zürich Openair
Kinder unter 12 haben Gratis-Eintritt: 22. bis 25. August

Weihern OpenairWeihern , St. Gallen:
Mit Extra-Kinderkonzert: 13. bis 15. September




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