Jedes Jahr um diese Zeit ziehe ich in der Sommerhalbzeit Bilanz und frage mich besorgt: Wie ist mein Sommer bis jetzt verlaufen? Stellen Sie sich vor: Dieses Jahr bin ich hochzufrieden. Es war heiss, ich war am Meer, und ich habe mich nicht eine Sekunde gelangweilt. Mehr erwarte ich nicht. Und weil Berlin bei meinem letzten Besuch so toll war und man Berlin ohnehin nur im Sommer geniessen kann, war ich wieder ein paar Tage dort. Ich habe einige neue Erkenntnisse gewonnen. In Berlin hört man kaum noch Deutsch. Egal, zu welcher Tageszeit man sich herumtreibt, überall wird englisch mit US-Akzent gesprochen. Erst denkt man an Touristen, aber wenn man die Gespräche am Nebentisch, beim Einkauf oder an der Bar belauscht, wird klar, diese Amerikaner leben in Berlin und hängen mit anderen Amerikanern ab, die auch in Berlin leben – und sie kennen sich sehr gut aus, denn sie sind wirklich überall, also auch an Orten, an denen sich normalerweise keine Touris herumtreiben.
Mitunter fühlt man sich wie eine verdrängte Eingeborene, wenn man deutsch spricht. Ich erzähle Ihnen das, weil die Invasion der Deutschen in der Schweiz mit ähnlichem Unwohlsein betrachtet wird, was ich sehr gut verstehen kann. In Berlin sitzen also die Amerikaner laut schreiend draussen in den Restaurants, in Mitte, in Parks, in den sehr geheimen Bars, in Clubs, bei Rewe und auch auf den Stufen vor der Bäckerei. Man wird vom Service immer auf Englisch angesprochen und muss sagen: «Wir sind deutsch, Mann.»
Es ist vollkommen klar, was da passiert, finde ich. Anscheinend haben wir noch nicht genug Arbeit fürs Karma geleistet, denn das ist eindeutig die zweite US-Besatzung, nur diesmal ohne Kaugummi und Seidenstrümpfe. Die andere Erkenntnis, zu der ich in Berlin kam: Menschen von Welt wohnen in einer Bel Etage. Die alten Herrschaftshäuser, sofern sie nicht zerstört wurden, haben fast alle eine und sind sehr begehrt. Falls jemand eine sucht: Ich weiss eine bombastische in Mitte im Haus meiner Freundin Ella. Hier kommen wir zur dritten Erkenntnis: Ich habe jetzt in Deutschland Freundinnen. Ella ist Halbrussin, Sonia Halbfranzösin. Obwohl ich bei Ella wohnte, gab es keine einzige Sekunde schlechte Stimmung. Wir teilten alles, und ich durfte sogar ihr Velo benutzen und ihre Katze streicheln, wie ich wollte.
Die vierte Erkenntnis: Man kann im Moment nirgends auf der Welt so schnell, unkompliziert, gut und sexy essen wie in Berlin. Es gibt mittlerweile mehr Restaurants in Mitte als in jeder Fressmeile der Welt. Die Menschen sitzen auf Bänken, und man hört, wie es ihnen schmeckt. Also, fahren ie schnell nach Berlin, solange es noch Sommer ist. Sie brauchen nur ein Bett in Mitte und ein Velo, sonst nichts.