Starköchin Meta Hiltebrand bangt um ihr Restaurant
«Meine Kreativität kann ich beerdigen»

Der Amtsschimmel macht Gastronomen, Ingenieuren und Gewerblern zu schaffen. Manche fürchten um ihre Existenz.
Publiziert: 01.11.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 17:39 Uhr
Kommt vor Regulierungen kaum zum Kochen: Meta Hiltebrand.
Von Martina Wacker

Meta Hiltebrand (32), Köchin und Besitzerin des Zürcher Restaurants Le Chef, ist genervt. «Richtig schlechte Laune» verursache ihr der 2080-seitige Wälzer mit dem Titel «Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung». Darin sind sämtliche Vorschriften zum neuen Lebensmittelgesetz aufgelistet, das das Parlament beschlossen hat.

Demnach sollen Wirte, Hoteliers und Bäcker das Produktionsland von Lebensmitteln und Rohstoffen künftig ausnahmslos auf der Speisekarte angeben. Ausserdem müssen sie ihre Kunden schriftlich auf Allergene und gentechnisch veränderte Lebensmittel aufmerksam machen. Jährliche Kosten durch den Zusatzaufwand: 14,6 Millionen Franken. Das hat das Büro Bass im Auftrag des Bundes berechnet.

Mit den neuen Regeln soll die Schweiz EU-kompatibel werden. Doch bei der Übernahme setzten die Schweizer Beamten noch einen drauf. Bei der Rohstoffdeklaration gehen sie noch weiter als die EU. «Sollte dies tatsächlich so umgesetzt werden, kann ich meinen Betrieb aufgeben», sagt Hiltebrand.

Viel zu gross würde der Aufwand. Das Kochen würde aber auch keinen Spass mehr machen: «Mit der Deklaration würde meine Kreativität beerdigt.» Beim Abschmecken der Gerichte bliebe der Meisterköchin kaum Spielraum für Improvisationen. «Wenn es in einem Gericht Tomaten hat, die für einmal nicht so tomatig-süss schmecken, darf ich nicht etwa Honig verwenden, um dem Gericht mehr Geschmack zu geben.» Dann würde sie gegen die Deklarationspflicht verstossen.

Casimir Platzer (53), Präsident des Branchenverbands Gastrosuisse, fehlt jedes Verständnis für solche Vorschriften. Die Regelung sei weltfremd, in der Praxis stellten sich die Probleme gar nicht. «Jene Gäste, die eine Allergie haben oder mehr über eine Speise wissen wollen, fragen heute beim Servicepersonal nach und erhalten eine fachkundige Auskunft», sagt er. Hiltebrands «Le Chef» hält für Allergiker auf Anfrage etwa glutenfreie Teigwaren oder laktosefreie Milch bereit.

Aber nicht nur die Gastronomie, sondern auch Gewerbe und Industrie ächzen: «In den letzten Jahren hat der Aufwand, den die Firmen betreiben müssen, um den regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden, unverhältnismässig stark zugenommen», sagt Roland Müller (52), Direktor des Arbeitgeberverbandes.

Das bestätigt Hans-Ulrich Bigler (57), Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes. Er schätzt, dass sich die Regulierungskosten heute insgesamt auf 60 Milliarden Franken belaufen. Das wären zehn Prozent des Brutto-Inlandprodukts! «Jedes Gesetz hat ein Preisschild», sagt er. Das Staatssekretariat für Wirtschaft beziffert den Aufwand auf zehn Milliarden Franken. Die höchsten Kosten fallen dabei mit 1,76 Milliarden bei der Mehrwertsteuer und dem Umweltrecht an.

«Heute frisst nicht nur der starke Franken den Unternehmen die Marge weg, sondern auch die Regulierungswut der Beamten», sagt Oliver Müller (51), Direktor von Swissmechanics. Der Verband vertritt die KMU der Metall-, Elektro- und Maschinenindustrie. Derzeit kämpft er gerade gegen zusätzliche Sicherheitsvorschriften bei der Ausbildung von Lehrlingen.

Weil Schulabgänger jünger werden, wolle das Staatssekretariat für Wirtschaft die bereits geltenden Sicherheitsvorschriften für Lehrlinge für die unter 16-Jährigen zusätzlich verschärfen. Müller : «Das heisst, um 15-Jährige ausbilden zu dürfen, müssen künftig alle Betriebe eine Sonderbewilligung beantragen. Das ist doch absurd!»

Wie seine Kollegen vom Arbeitgeber- und Gewerbeverband fordert der Swissmechanics-Direktor eine Entschlackung der Verordnungen und Regulierungen.

Gewerbeverband-Direktor Bigler sekundiert: «Mit jedem neuen Gesetz entsteht für die Unternehmen mehr Aufwand, der letztlich den Konsumenten verrechnet werden muss.»

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