Er nennt sich «Q» und blickt dank seines Jobs hinter die höchsten Kulissen der US-Regierung. Er weiss: Demokraten schänden Kinder und trinken deren Blut. Und: Donald Trump wird die Welt von Satans Herrschaft befreien.
Was im Oktober 2017 auf dem Internetforum 4chan begann, wuchs zu einer der grössten Verschwörungstheorien der Welt: QAnon («Anon» wie anonym). Auch in der Schweiz verbreiten die Anhänger von Q Fake News, in der Corona-Krise etwa über den «Impfgenozid an Kindern». Inzwischen haben Schweizer Wissenschaftler in einem Walliser Chalet Detektivarbeit geleistet – und den Q-Guru entlarvt.
Aussenseiter teilen sich Rolle
Es handelt sich dabei keineswegs um einen Washington-Insider – zwei Aussenseiter teilten sich offenbar die Rolle: der Amerikaner Ron Watkins, auf dessen Internetforum Q-Botschaften aufgetaucht waren, und der südafrikanische Tech-Journalist und Rechtsaktivist Paul Furber.
Das Start-up hat Textbausteine von Q, mit Texten von Personen verglichen, die aufgrund journalistischer Recherchen immer wieder als Verdächtige genannt wurden. Der Algorithmus bestätige mit 93-prozentiger Sicherheit, dass zunächst insbesondere Furber, später Watkins unter dem Pseudonym schrieben, wie der Orphanalytics-Chef Claude-Alain Roten sagt: «Als QAnon erfolgreich wurde, zog Watkins Ende 2017 die alleinige Kontrolle an sich.»
Vor einem Jahr grenzte das Start-up seine Suche bereits auf die Sprachstile von zwei Autoren ein, konnte damals aber noch nicht deren Namen feststellen. Unter anderem war es schwierig sicherzustellen, dass die Vergleichstexte im Netz tatsächlich von den Verdächtigen stammen. Diese Woche aber landeten die Ergebnisse der Sprachanalytiker auf der Titelseite der «New York Times».
Französische Forscher kommen zum selben Ergebnis
Watkins wie Furber bestreiten, Q zu sein. Allerdings kam eine Gruppe französischer Forscher in einer zweiten, unabhängigen Untersuchung auf die gleichen Ergebnisse wie die Walliser.
Der studierte Genetiker Roten und sein Team von Physikern, Informatikern und Linguisten arbeiten mit einem Algorithmus, der Wortkombinationen, Satzbau und Rhythmus eines Textes analysiert: «Die Sprache wird damit zum Fingerabdruck.» Statistische Untersuchungen zum Sprachstil sind nicht neu, doch der aktuelle Ansatz ist ausgeklügelter. Er basiert auf dem in der Genetik genutzten Sequenzierungsverfahren. Die Methode wurde bereits in Kriminal- und Plagiatsfällen eingesetzt und entlarvte etwa Nicolas Sarkozy, der «seine» Bücher nachweislich nicht selber geschrieben hat.
«Mythologie der Bewegung»
Die französischen Computerlinguisten Florian Cafiero und Jean-Baptiste Camps ihrerseits fütterten bei ihrer Zweitanalyse ein Machine-Learning-Programm mit Textfragmenten einer bestimmten Person, bis die Software gelernt hatte, deren Stil zu identifizieren. Die Sprachwissenschaftler sind sich bei Watkins zu 99 Prozent sicher und bei Furber zu 98 Prozent. Cafiero: «Mit derselben Methode konnten wir bereits ausschliessen, dass entgegen der Annahme einiger Historiker Molière seine Stücke selbst geschrieben hat und nicht auf Ghostwriter setzte.»
Frankreich feiert dieses Jahr den 400. Geburtstag seines berühmtesten Komödiendichters. Erfolge hatte er mitunter mit seinem Stück «Der eingebildete Kranke», in dem er über Ärzte herzog – ein beliebtes Thema bei heutigen Verschwörungstheoretikern ...
Roten sieht seine Technologie als Instrument gegen Verschwörungstheorien und Hassrede im Netz: «Ich hoffe, mit der Enttarnung von Q wird Internet-Trollen bewusst, dass sie sich hinter einem Pseudonym versteckt nicht alles erlauben können.» Um die QAnon-Bewegung zu stoppen, dürfte die Enthüllung allerdings nicht genügen, so Sebastian Dieguez, Experte für Verschwörungstheorien: «Q ist nebensächlich, was für die Anhänger zählt, ist die allgemeine Mythologie der Bewegung.»