Der vielleicht beste Ort der Welt liegt in einem Neubaugebiet in Helsinki. Oder besser: dahinter. Man muss dafür an der Metro-Station Kalasatama aussteigen und über ziemlich viel Geröll laufen. Hier, im Stadtteil Sompasaari, entstehen gerade in rasender Geschwindigkeit Dutzende Mehrfamilienhäuser. Es geht über eine brandneue Skateranlage, das Wasser entlang auf einem provisorischen Trottoir und vorbei an einem trockengelegten und bunt besprayten Schiffswrack.
Und fragt man unterwegs jemanden nach dem Weg, fangen dessen Augen an zu leuchten, und er wünscht «Hyvät löylyt!» – «Guten Dampf!» oder «Gutes Saunieren!» So genau kann das niemand übersetzen, aber die Finnen wünschen es sich, bevor sie sich in die bis zu 100 Grad heissen Schwitzkabinen begeben. Ohne sie läuft hier nichts.
Angeblich gibt es im Land mehr Saunen als Menschen (fünf Millionen). Die Finnische Saunagesellschaft schätzt die Anzahl immerhin auf zwei Millionen. Sie stehen in Ministerien, sind in Vans eingebaut, gehören zu Ferienhäusern. Oder sind eben, wie der vielleicht beste Ort der Welt, auf dieser Landzunge im Finnischen Meerbusen.
Hier, in der Sompasauna, schwitzt gerade Tero, ein 34-jähriger Eisenbahningenieur. Neben ihm auf der heissen Holzbank sitzt ein jüngerer Kerl, der im Theater den Ton macht, und Meri, eine 28-Jährige, die mit ihren Freunden wöchentlich herkommt. Mit einer grossen Kelle giesst Tero Wasser auf die heissen Steine über dem Holzofen.
Sogar Touristen kommen hierher zum Saunieren
Es dampft, es zischt, der Schweiss rinnt. Nach ein paar Minuten gibt der Erste auf. Also: Raus aus der heissen Hütte, abkühlen! Über eine Holztreppe geht es direkt in die Ostsee. «Recht warm», befinden die Finnen. «Sehr kalt», die ausländischen Touristen aus Slowenien, Belgien und Frankreich, die sich ebenfalls hierher verirrt haben. Das Thermometer zeigt eine Wassertemperatur von 17,6 Grad an.
Die Sompasauna ist Wunsch und Wirklichkeit zugleich. Ein Ort der Anarchie, nur ohne politische Botschaften, ohne Müll und Steinewerfer. Hier sitzen und stehen alle an- und nebeneinander – im Badekleid oder nackt, Penis an Penis. Hier sind alle gleich – er, sie, es. Oder eben einfach «hän», wie das Fürwort im Finnischen geschlechtsübergreifend lautet.
In der Schwitzkabine sitzt der schwabblige Finne neben der jungen Touristin und erklärt ihr, dass bei diesen Temperaturen ja wohl wirklich nicht an Sex zu denken sei («Ehrlich!»). Auf dem Grill brutzelt irgendjemand Würstchen und verteilt sie mit Ketchup in Ruisleipä – sehr dunklem, sehr leckerem Roggenbrot. Und auf einem in einen Holzschutz eingefassten Klavier spielt ein japanischer Austauschstudent irgendetwas, das auch problemlos grosse Hallen füllen könnte.
Der vielleicht beste Ort der Welt ist kostenlos – und immer offen: sieben Tage die Woche, 24 Stunden lang. Die einzige Regel: Ist die Sauna doch mal kalt, macht sie einfach der Erstbeste an. Wer will, kann auch mitten in der Nacht herkommen. Seit acht Jahren gibt es die Sompasauna. Ehemals illegal, wird sie nun von einem Verein betrieben, der das Gelände regulär mietet. Die Stadt Helsinki bewirbt die Gratissauna mittlerweile ebenso selbstverständlich wie die hippen öffentlichen Saunen «Löyly» und «Allas Sea Pool».
Wer mit dem Auto kommt, bringt Aufgusswasser mit
Im vergangenen Jahr gab es nur eine 2 x 2,50 Meter grosse Schwitzkabine auf dem Gelände. Bis zu 20 Menschen quetschten sich da rein. Auf einem Holzschild stand «Ghettosauna». Sie ist mittlerweile abgebrannt. Das passiert regelmässig – schliesslich handelt es sich um Holzkonstruktionen. Es dauert dann meist nur ein paar Stunden, bis findige Freiwillige eine neue Hütte hingestellt haben.
Gerade sind zwei Kabinen mit insgesamt bis zu 30 Plätzen in Betrieb. Die Sompasauna ist kein Ort für junge, schöne Menschen, sondern ein Nachbarschaftsprojekt. Hier ist jeder willkommen, hier packt jede mit an. Das funktioniert erstaunlich gut. Wer mit dem Auto herkommt, bringt selbstverständlich Wasser für den Aufguss mit – Meerwasser taugt nichts. Das Holz zum Heizen kommt von der Baustelle nebenan.
Wer wissen will, wie ernst den Finnen ihr Saunaganz ist, fragt am besten Juhana Aunesluoma, einen der führenden Politikwissenschaftler des Landes. Er kann genauso mit Leidenschaft darüber sprechen, was die kommende EU-Ratspräsidentschaft für Finnland bedeutet, wie über die diplomatische Bedeutung der Sauna. Denn: In Finnland läuft selbst in der Politik nichts ohne die Schwitzkabinen. Ein neutraler Ort, an dem Menschen ihre Agenda für einen Moment hinter sich lassen. «Du gehst da buchstäblich nackt hin. Titel sind egal, jeder ist gleich», erklärt Aunesluoma. Wer sich nicht einigen könne, sei hier goldrichtig. «Vielleicht geht man später zur Tagesordnung über. Aber die Sauna ist vor allem eins: ein heisser Raum, in den man geht, um sich abzukühlen.»
Es gibt ein berühmtes Beispiel für die politische Bedeutung der Sauna: In den frühen Sechzigern wollte Finnland näher an die EU heranrücken; gleichzeitig war Finnland erst 1917 von Russland unabhängig geworden. Die Beziehung zum grossen Nachbarn war wichtig, aber ein ständiger Drahtseilakt. Der finnische Präsident Urho Kekkonen und Sowjetführer Nikita Chruschtschow gingen darum zusammen in die Sauna, um das Anliegen auszudiskutieren. Und schliesslich tolerierte der Kreml den Beitritt der Finnen zur Kleinen Freihandelszone (Efta).
Mit der Politik eroberten die Frauen auch die Sauna
Was auf der einen Seite Zusammenhalt und Verständnis fördert, hat auf der anderen Frauen lange ausgeschlossen. Sauna ist traditionell eine Männersache – bei den politischen Diskussionen in den Saunarunden konnten Frauen nicht dabei sein. Das hat sich inzwischen geändert. «Über die Jahre gab es darüber viele Diskussionen, und Frauen haben es mehr und mehr in die Sauna geschafft – in Badeanzügen», sagt Demokratie-Forscherin Emilia Palonen.
Wie sehr sich Frauen angepasst haben und heute oft dieselben Methoden und den gleichen Ort wie ihre männlichen Kollegen nutzen, um ihr Netzwerk zu stärken, davon zeugt vielleicht die neueste politische Entwicklung. Zum ersten Mal gibt es eine weibliche Mehrheit in der Regierung. Seit Anfang Juni führen elf Frauen und acht Männer das Land. Das hat europaweit Seltenheitswert. «Ich weiss also nicht, wie wichtig Sauna künftig für unsere Politik sein wird», sagt Palonen. «Für unsere Happiness aber wird sie definitiv weiter wichtig sein.»
Und happy zu sein, ist für die Finnen ganz wichtig. Bereits zum zweiten Mal steht Finnland im «World Happiness Report» der Vereinten Nationen ganz an der Spitze. Im glücklichsten Land der Welt ist nicht alles perfekt, aber vieles vorhanden, was zur Lebenszufriedenheit beiträgt: gutes Einkommen genauso wie Geschlechtergerechtigkeit.
Der vielleicht beste Ort der Welt fehlt auf dieser Liste. Aber ein junger Finne, der zum ersten Mal hier ist, wirkt trotzdem ziemlich zufrieden. Er giesst Wasser über die heissen Steine und lehnt sich, eng und nackt zwischen Fremden und doch Gleichen sitzend, entspannt an die heisse Holzwand. Der Dampf zieht durch die Hütte, der Schweiss trieft aus den Poren. Der «löyly» ist gut, so sagt man hier.
1. Der «World Happiness Report» der Uno befragt Menschen in 156 Ländern nach ihrer Zufriedenheit. Finnland landete bereits zum zweiten Mal auf dem ersten Platz, die Schweiz folgt auf dem sechsten.
2. Das Glücklichsein wollen die Finnen auch anderen beibringen! Bei der Initiative «Rent a Finn» laden Freiwillige kostenlos zu sich nach Hause ein – um ihr «Geheimnis» zu teilen.
3. 2'000'000 – so viele Saunas gibt es in Finnland – genügend also, damit alle Finnen gleichzeitig schwitzen können. Ein Finne geht mit 4½ Jahren das erste Mal in die Sauna und wiederholt das bis ins hohe Alter eineinhalb Mal wöchentlich.
4. Die Rajaportin-Sauna in Tampere im Landesinneren ist die älteste öffentliche Sauna des Landes. Sie wurde 1906 gebaut.
5. Die spinnen, die Finnen! Gummistiefelweitwurf wurde hier erfunden. Und: «Hobby Horsing» ist eine offizielle Sportart, ähnlich dem Dressurreiten. Das Glück der Erde liegt hier aber auf dem Rücken der Steckenpferde.
6. Der finnische Begriff Jedermannsrecht (Jokamiehen Oikeus) bedeutet, dass sich jeder überall in der Natur frei bewegen und aufhalten darf. Auch Pilze und Beeren dürfen überall unbegrenzt gepflückt werden.
1. Der «World Happiness Report» der Uno befragt Menschen in 156 Ländern nach ihrer Zufriedenheit. Finnland landete bereits zum zweiten Mal auf dem ersten Platz, die Schweiz folgt auf dem sechsten.
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3. 2'000'000 – so viele Saunas gibt es in Finnland – genügend also, damit alle Finnen gleichzeitig schwitzen können. Ein Finne geht mit 4½ Jahren das erste Mal in die Sauna und wiederholt das bis ins hohe Alter eineinhalb Mal wöchentlich.
4. Die Rajaportin-Sauna in Tampere im Landesinneren ist die älteste öffentliche Sauna des Landes. Sie wurde 1906 gebaut.
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6. Der finnische Begriff Jedermannsrecht (Jokamiehen Oikeus) bedeutet, dass sich jeder überall in der Natur frei bewegen und aufhalten darf. Auch Pilze und Beeren dürfen überall unbegrenzt gepflückt werden.