Schweizer Reise-Verband tagt am Persischen Golf
Parlamentarier toben: «Unsensibel, unsolidarisch, unverständlich»

Der Staat griff den Reiseveranstaltern mit Millionen unter die Arme. Dass die ihre jährliche GV nicht in der Schweiz abhalten wollen, sorgt im Bundeshaus für Ärger.
Publiziert: 13.06.2021 um 00:25 Uhr
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Aktualisiert: 13.06.2021 um 11:48 Uhr
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Grünen-Nationalrätin Regula Rytz hat null Verständnis für den Entscheid des Reise-Verbandes, seine GV im Emirat durchzuführen.
Foto: Keystone
Simon Marti und Pascal Tischhauser

Schritt für Schritt lockert der Bundesrat die Corona-Massnahmen, pünktlich zum Beginn des Sommers nimmt das öffentliche Leben wieder Fahrt auf. Auch der Schweizer Reise-Verband (SRV) schaltet in den Normalbetrieb: Jüngst beschloss der Vorstand, sich im November wie gewohnt zur Generalversammlung zu treffen – nicht nur virtuell wie 2020. So berichtet es das Branchenportal About Travel. Auf Anfrage teilt der Verband mit, man rechne mit 200 Teilnehmern.

Die Ankündigung des SRV löst in Bern keine Freude aus – ganz im Gegenteil. In den Augen etlicher Parlamentarier hat der Verband einen allzu exotischen Tagungsort auserkoren: das Emirat Ras al-Chaima am Persischen Golf. Statt mit einer mehrtägigen Veranstaltung die einheimische Hotellerie zu unterstützen, besuchen die Reiseveranstalter die Arabische Halbinsel. Reiner Egoismus sei dies, so die Kritik.

Geplante GV sorgt für Ärger

Nur ein Jahr ist es her, da erklärte Ueli Maurer (70, SVP) den Binnentourismus praktisch zur Bürgerpflicht: «Wir sind solidarisch. Wir machen Ferien in der Schweiz! Wir geben unser Geld hier aus. Wir wollen gemeinsam aus dieser Krise kommen.» Der Appell des Finanzministers ist verhallt, die Schweizer drängen in den Ferien wieder ins Ausland – sehr zur Freude des SRV.

Namentlich in der Wirtschaftskommission (WAK), wo monatelang um Entschädigungen für bedrohte Firmen gerungen wurde, sorgt die geplante GV für Ärger.

Denn als es darum ging, Milliarden von Hilfsgeldern möglichst rasch in die Betriebe zu pumpen, hatten sich die Parlamentarier für Tourismus und Gastronomie in die Bresche geworfen. «Ich bin sehr irritiert über die Wahl der Destination», sagt Regula Rytz (59), Nationalrätin der Grünen. «Die Branche der Reiseveranstalter wurde in der Covid-Krise zu Recht stark unterstützt. Ich habe mich mit anderen zusammen mit viel Energie für eine grosszügige Härtefallregelung eingesetzt.»

«Es ist unsensibel, jetzt einen solchen Kongress im Ausland durchzuführen»

Umso unverständlicher sei es, dass die Reiseveranstalter ihre Jahresversammlung nicht in der Schweiz abhalten. «Wo bleibt die Solidarität mit der einheimischen Hotellerie?», fragt die Bernerin. «Stattdessen fliegen sie in ein Land, das die Menschen- und Frauenrechte grob missachtet!»

Bislang erhielt die Branche 136,7 Millionen Franken allein an À-fonds-perdu-Beiträgen – Geld also, das die Reisebüros nicht zurückzahlen müssen.

Wenn die Empfänger dieser Summen lieber am Persischen Golf als in heimischen Gefilden tagen, sei das Prinzip der Solidarität verletzt, von dem Regula Rytz spricht.

Übrigens sieht es die Ratsrechte nicht anders als die Linke: «Es ist unsensibel, jetzt einen solchen Kongress im Ausland durchzuführen, während in der Schweiz die Gastronomie und die Hotellerie von der Krise so stark gebeutelt wurden», sagt Esther Friedli (44, SVP).

Die St. Galler Nationalrätin weiter: «Gerade in den Städten, wo zahlreiche Lokalitäten für Kongresse zur Verfügung stünden, ist die Lage nach wie vor sehr schwierig.»

Solidarität sei für Reise-Verband bereits vergessen

Staat und Steuerzahler hätten der Reisebranche in den vergangenen Monaten mit vielen Millionen unter die Arme gegriffen, fährt Friedli fort.

Für den Reise-Verband scheine diese Solidarität bereits wieder vergessen. «Das ist schade», bedauert Friedli. «Ich hätte mir gewünscht, dass wir uns etwas davon für die Zeit nach der Krise bewahren.»

Der SRV wehrt sich gegen die Kritik. «Die Bundeshilfen wissen wir zu schätzen und sie sind dazu da, die Arbeitsplätze in der Schweiz zu sichern», erwidert Geschäftsführer Walter Kunz.

Kritik an der GV-Planung sei von keinem einzigen Parlamentarier an den SRV herangetragen worden. Das Kerngeschäft der Reisebüros bestehe zu einem sehr grossen Teil darin, Reisen ins Ausland zu verkaufen. Kunz: «Zugleich sind wir daran interessiert, unseren Mitgliedern neue, aufstrebende Destinationen zu zeigen. Wir besuchen alle paar Jahre einen Ort, der etwas weiter entfernt sein darf.» Die Einladung nach Ras al-Chaima sei bereits 2019 vereinbart und angekündigt, wegen Corona aber verschoben worden.

Tatsächlich tagte der SRV bis zur Jahrtausendwende immer in der Heimat. Und auch in der Folge traf man sich mehrmals in der Schweiz zur GV, etwa in Montreux VD oder zuletzt 2016 in Interlaken BE. Fünf Jahre und eine Pandemie später darf es nun offenbar wieder «etwas weiter entfernt» sein.

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