Schauspieler Max Hubacher über schwule Fussballer, schwierige Akzente und seinen Erfolg in Deutschland
«Ich erhalte viele Zuschriften von Herren»

Um Max Hubacher existiert ein regelrechter Hype: Den Durchbruch schaffte er als «Der Verdingbub», bald darauf spielte er in «Mario» ­einen schwulen Fussballprofi – jetzt entdeckt ihn die deutsche Filmszene als Nazi-Hauptmann. Der 24-Jährige ist derzeit der angesagteste Schweizer Schauspieler. Wir haben ihn in Leipzig besucht, wo er gerade die Schauspielschule abschliesst.
Publiziert: 01.07.2018 um 09:19 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 16:54 Uhr
«Wie ist es als Hetero eine schwule Liebeszene zu spielen?»
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Max Hubacher, Shooting-Star des Schweizer Films:«Wie ist es als Hetero eine schwule Liebeszene zu spielen?»
Christian Dorer

BLICK: Was lernen Sie an der Schauspielschule überhaupt noch?
Max Hubacher: Das haben mich meine Berner ­Kollegen auch gerade gefragt. Ich prahlte, dass ich nun den Rückwärtssalto kann – und fiel natürlich auf die Schnauze. Ich lerne Akro­batik, Fechten, Tanzen, Kung-Fu. Und kann davon nichts perfekt, aber alles ein bisschen.

Klingt wie eine Sportleraus­bildung. Kann auch ein Dicker Schauspieler werden?
Man muss einfach mit jeder Faser seines Körpers dabei sein. Es gibt auch dickere Menschen, die ihren Körper total im Griff haben. Wenn ich zu einer Probe gehe, stelle ich mir immer vor, ich wäre Boxer – ­bereit zum Angriff, aber auch dazu, einzustecken. Das braucht Kondi­tion und Biss. Aber das Wichtigste ist der Sprachunterricht.

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Max Hubacher ist derzeit das Nachwuchstalente der Schweizer Filmszene. Bekannt wurde er mit «Der Verdingbub». kürzlich konnte man ihn in «Mario» sehen, wo er einen schwulen Fussballprofi spielt. Für beide wurde er mit dem Schweizer Filmpreis geehrt.
Foto: Jonas Holthaus

Können Sie schon perfekt ­Hochdeutsch?
Mein Schweizer Akzent war zum Glück nie so schlimm. Aber wir Schweizer haben einen Singsang in der Sprache. Das habe ich weggebracht. Nur mit den deutschen Dia­lekten haperts noch, obwohl meine Grossmutter aus Deutschland kommt. Sächseln klappt schon ganz gut. Für Bayrisch müsste ich lange üben. Oder berlinern. Das können aber auch viele Deutsche nicht.

Sie drehen mit 24 einen Film nach dem anderen. Was haben Sie, was andere nicht haben?
Abgesehen von einer ordentlichen Prise Glück? Ich habe schon mit 7 im Kindertheater angefangen. Und ich habe sehr viel gearbeitet – das hat sich ausbezahlt. Ausserdem war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Sensible, aber ­taffe ­Typen sind derzeit gefragt. Das ist eine meiner Stärken.

Fleiss ist wichtiger als Talent?
Natürlich. Talent haben viele, sehr viele. Nicht alle haben, ich sagte es schon, Biss. Dann braucht es auch Glück. Du musst entdeckt werden. Die wichtigste Casterin der Schweiz, Corinna Glaus, hat mich für den Film «Stationspiraten» über krebskranke Jugendliche vorgeschlagen und mich gefördert. So konnte ich mich präsentieren. Aber ich ­möchte mich nie auf etwas ausruhen. ­Deshalb habe ich mich auch für die Schauspielschule entschieden.

Mit 7 Jahren standen Sie das erste Mal auf der Bühne, mit 13 waren Sie am Schauspielhaus Zürich. Was ist das: Ungeduld? Ehrgeiz? Leidenschaft?
Abklärungen haben gezeigt, dass es nicht an Aufmerksamkeitsstörung, ADHS, lag. Aber ich war ein sehr aktives Kind. Auf der Bühne ­konnte ich diese enorme Energie kanalisieren. Und ich hasste die Schule. Für meinen Auftritt in Zürich wurde ich für einige Wochen von der Schule dispensiert. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so glücklich! Zwei Jahre später kam «Sta­tionspiraten», ich durfte sogar zwei Monate in der Schule fehlen – das war wie ein Ferienlager, die Schauspielerei war für mich das Grösste, endlich ein Bruch mit der Schule. Wäre ich damals mit dem Zirkus mitgefahren, wäre ich jetzt vielleicht Zirkusartist.

Waren Sie ein schwieriger ­Jugendlicher?
Und was für einer! Für meine Eltern tut mir das leid. Sie mussten öfter beim Rektor antraben. Nicht nur wegen der Dispensen, sondern weil ich viel Mist baute und mich die Schule nicht interessierte. ­Heute bedaure ich das. Privilegien weiss man ja meistens erst dann zu schätzen, wenn man sie nicht mehr hat. Und ich entschuldige mich ­dafür bei ihnen: Ohne meine Antihaltung hätte ich wohl mehr fürs Leben mitnehmen können.

Ihre Mutter ist Radiojournalistin, Ihr Vater Soziologe: Haben die beiden Sie bei all dem Ärger trotzdem unterstützt?
Immer! Sie waren immer für mich da, obwohl ich ihnen das Leben nicht einfach machte. Ich war vor allem desinteressiert. Sie haben immer zu mir gesagt, ich müsse ­etwas finden, wo ich mich ausleben kann. Die Schauspielerei war sicher nicht ihr grösster Wunsch. Aber sie hatten nur eine Bedingung: dass ich die Schule bis zur Matur durchziehe – nachher könnte ich machen, was ich will. Sie haben mir auch immer klare Grenzen gesetzt. Zu viele Freiheiten wären vermutlich nicht gut gewesen für mich.

Was muss ein guter Schauspieler können?
Viele Zuschauer werden nicht analysieren können, was genau ihnen an einem Schauspieler gefallen hat und was nicht. Aber er muss greifbar sein. Sie werden spüren, ob er sie im Herzen berührt hat. Und da gibt es verschiedene Typen: Daniel Day-Lewis bereitet sich unglaublich akribisch vor. Wenn er den ­US-Präsidenten spielt, will er auf dem Set nur mit «Mr. President» ­angesprochen werden. Das kann man so machen, für mich funktioniert das nicht. Da würde ich zum Psycho. Ich brauche auf dem Set Pausen – und Abstand von den ­Figuren. Man sollte sich nicht zu ernst nehmen.

Was tun Sie, um nicht abzuheben?

Wenn ich nach einem Dreh meine Familie besuche und keine Anstalten mache, in der Küche zu helfen, nennt meine Mutter mich «Prinzässli». Dann bin ich sofort zur Stelle! Ich habe gute Menschen um mich. Die meisten meiner Freunde haben nichts mit Film oder Schauspielerei zu tun. Sie interessiert eher, wie schnell ich auf dem Set mit dem Auto fahren durfte, und nicht, wie ich meine Rolle interpretiere.

Warum sind viele Schauspieler mit Schauspielerinnen liiert?

Man lernt sich halt am Arbeitsplatz kennen. In der Schauspielerei arbeitet man sehr intensiv zusammen. Man kommt sich in kürzester Zeit sehr nah. Da kann sich schon etwas entwickeln. Bei vielen Drehs werden richtig viele Partys gefeiert. In zwei Monaten auf dem Set kann es locker zehn geben.

Wird man Schauspieler, um berühmt zu sein?
Kaum jemand gibt es zu, aber die meisten hegen wohl diesen Wunsch. Ich doch auch. Es geht aber eher um das ­Gefühl, was durch Bekanntheit ausgelöst werden kann, und danach sehnt sich jeder Mensch: ­Anerkennung. Aber noch grösser ist meine Lust am Spielen.

Werden Sie reich mit Ihren Rollen?
Je mehr man macht, desto mehr ­bekommt man. Die Gagen werden immer aufgrund des letzten Projekts berechnet. Aber die coolsten Projekte sind oft Low-Budget. Mir ist das egal: Wenn mir ein Projekt gefällt, mache ich es. Das ist ein ­Privileg, das nicht alle haben. Ich bin dankbar, dass ich auswählen kann. Viele Schauspieler finden keine Arbeit. Ich hatte wirklich Glück – das muss ich mir immer wieder vor Augen führen.

Sie spielten ein krebskrankes Kind, einen Bub, der auf dem Bauernhof gequält und ausgebeutet wird, einen schwulen Fussballer, in Ihrem kommenden deutschen Film sind Sie ein ­Nazi-Hauptmann…

Zu einer guten Geschichte gehören nun mal Konflikte. Soll ich lang­weilige Rollen spielen?

Wie wärs mal mit einer ­Hochzeitskomödie?

Keine Ahnung, ob ich lustig sein kann! Eine gute Komödie – wieso nicht? Viele aber spielen mit Stereotypen und Klischees, oft sind sie homo­phob und sexistisch. Mich interessieren Stoffe, die sich tiefer mit einer Materie befassen, die beim Zuschauer einen bleibenden Eindruck hinterlassen und zum Nachdenken animieren.

Ihre Grossmutter flüchtete als Mädchen vor den Nazis in die Schweiz. Jetzt spielt ihr eigener Enkel ­einen Nazi-Hauptmann. Was sagt sie dazu?

Meine Grossmutter ist sehr stolz auf alles, was ich mache. Natürlich hat mich diese Rolle besonders berührt: Der Vater meiner Grossmutter war Pfarrer mit jüdischer Abstammung. Er flüchtete mit ihr in die Schweiz. Ohne diese Flucht gäbe es mich nicht. Nun spiele ich 75 Jahre danach einen der Nazis, vor denen sie geflüchtet sind. Ja, das ist absurd!

Haben Sie die Rolle ohne zu zögern ­angenommen?

Das Drehbuch war sensationell, Regisseur Robert Schwentke hat schon Blockbuster gedreht, der Cast bestand aus Top-Schauspielern – und mir als einzigem Unbekannten. Ich sah mich nicht in der Position, da irgendetwas abzulehnen. Es brauchte sogar eine gewisse Zeit, bis ich meine Ehrfurcht ab­legen konnte.

Als Verdingbub wurden Sie ­immer wieder körperlich ­misshandelt. Wie spielt man so etwas überzeugend?

Indem man sich wirklich schlagen lässt! Die Ohrfeigen waren alle echt, das war schon heftig. ­Gewisse Szenen mussten wir x-Mal wiederholen. Dafür war dann auch meine Wut mit der Zeit echt.

Und wie war es, bei «Mario» Sex mit einem Mann zu spielen?

Das war quasi mein erstes Mal. (lacht) Job ist Job – und doch kommt es aufs Gegenüber an. Das ist auch bei Sexszenen mit einer Frau so. Man muss sich mögen. Wir haben am Set viele Witze geklopft, gerade nach den ersten Kussszenen. Aber mein Pendant Aaron Altaras ist gepflegt, sieht gut aus und riecht gut. Ich habe generell keine Mühe mit Sexszenen. Es muss einfach leiden­schaftlich und überzeugend wirken. Egal, ob mit einer Frau oder einem Mann – ich verliebe mich ja auch nicht in alle Bühnenpartnerinnen.

Nackt auf dem Set herumzu­laufen, macht Ihnen nichts aus?

Ich bin mit meinem Körper zufrieden. Bei allen meinen Rollen gibt es Szenen, die immer dabei sind: ­duschen, sich einen runterholen, Sex haben, kotzen … Das machen halt alle in diesem Alter. (lacht) Ich habe mittlerweile einen lockeren Umgang damit.

Verbinden die Zuschauer Sie mit Ihren Rollen?

Aktuell erhalte ich viele Zuschriften von Herren. Sie verbinden mich mit meiner Rolle als schwuler ­Mario. Aber der Film ist kein ­Outing. Schliesslich bin ich ja auch kein Nazi, bloss weil ich einen ­Nazi-Hauptmann spiele.

Gab es Feedback von schwulen ­Fussballern?

Null! Ich kannte einen schwulen Fussballer, allerdings keinen Profi. Als ich für die Recherchen vor dem Film mit ihm sprechen wollte, brach er den Kontakt ab. Es ist ja auch wirklich ein krasses Tabu: Schwule Fussballer scheinen nicht zu existieren. Dabei wissen alle, dass das nicht stimmt. Es ist so ver­logen!

Ihr Film zeigt ja, was geschieht, wenn sich einer outet: ­Seine Karriere ist zu Ende.

Ich respektiere jeden Fussballer, der sich nicht outen will. Weil ihm der Sport wichtiger ist und ein Outing der Karriere schaden könnte. Es gibt auch Schauspieler, die sich nicht outen. Beispielsweise, weil sie viele weibliche Fans haben. Es herrscht immer noch das veraltete Männlichkeitsbild – und das im 21. Jahrhundert! Da könnte man sich wieder mal ein Beispiel an den Frauen nehmen, die gehen damit wesentlich entspannter und offener um.

Welche Rolle würden Sie nie spielen?

Wenn Geschichte und Regie gut sind, würde ich alles spielen – sogar einen Baum.

Ihre Traumrolle?

Ein Boxer! Aber es muss jetzt nicht grad ein schwuler Boxer sein. (lacht)

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