SAC-Präsidentin über komfortable Berghütten
«Die Leute beschweren sich über fehlendes Internet»

In Turnschuhen auf den Berg und abends ein Drei-Gang-Menu mit Wein – der Bergboom nimmt absurde Züge an. Darüber macht sich auch Françoise Jaquet Gedanken. Wir waren auf ­Wanderschaft mit der obersten Frau des Schweizer Alpen-Clubs (SAC).
Publiziert: 07.08.2018 um 13:28 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 18:57 Uhr
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Die Präsidentin des SAC, Françoise Jaquet, machte mit uns eine Wanderung.
Foto: Anja Wurm
Rebecca Wyss

Die bizarren Felszähne der Gastlosen im ­Rücken, die weiche Hügellandschaft des Saanenlandes vor sich – dazwischen eingeklemmt steht die Grubenberghütte. Hierher ist die SAC-Präsidentin Françoise Jaquet mit mir hochgestapft. Nicht weit von hier, im Greyerzerland, steht ihr Chalet. Wir sind in ihrem Revier. Die Gaststätten, die vielen Schreinereien, die Berge in der Region – sie kennt das alles gut. Hier fühlt sie sich wohl, hier kann sie frei erzählen.

SonntagsBlick: Haben Sie nicht manchmal ­genug von den Bergen und ­buchen Ferien am Meer?
Françoise Jaquet:
Überhaupt nicht. Ich bin kein Bademensch und liege nicht gerne am Strand. Ich mache lieber Skitourenferien. Der Winter ist meine Lieblingsjahreszeit. In Sommern wie diesem ist es mir zu heiss, dann fühle ich mich unwohl.

Gibt es noch Schweizer ­Berg­orte, die Sie nicht kennen?
Sicher, ich war noch nicht in der ganzen Schweiz! Ich tendiere aus Zeitgründen dazu, in meiner Gegend zu bleiben, würde aber gerne die Tessiner Berge besser kennenlernen.

Welches ist Ihre ­Lieblings-SAC-Hütte?
Jede ist auf ihre Art besonders.

Das müssen Sie als Präsidentin sagen.

Es ist wahr! Ich mag Hütten, die im alten Stil gehalten sind. Wenn man zum Beispiel die alten Mauern erhalten und einen neuen Holzteil dazugebaut hat. Die älteren Gebäude haben mehr Charme als die ganz modernen.

Der Trend geht in eine andere Richtung: In den letzten Jahren wurden SAC-Hütten zu Hotels mit Drei-Gänge-Menü und Dusche ­aufgemöbelt. ­Weshalb?

Die Bedürfnisse der Leute haben sich geändert. Wenn sie wandern gehen, erwarten sie mehr als früher. Wir versuchen dem nach­zukommen. Aber trotzdem bleiben wir bei unseren Werten. Eine SAC-Hütte muss eine einfache Unterkunft bleiben. Luxuslodges mit Spas wie in Österreich haben wir nicht. Wir schauen, dass es verschiedene Arten von Hütten gibt: von einfacheren bis zu komfortableren.

In der topmodernen Cabane de Tracuit im Wallis haben sich Gäste schon darüber beklagt, dass es nur Rhabarber- und ­keinen Erdbeerkuchen gibt. ­Weshalb sind die Ansprüche so gestiegen?

Früher war eine Berghütte ein Ort für Berggänger, wo sie für die Nacht Schutz fanden, um am anderen Tag weiterzugehen. Heute sind viele Hütten das Ziel der Wanderung. Die Leute geniessen die Aussicht und sitzen bei einem Glas Wein im Sommer lange draussen. Eine Art Feriendestination. Diese Entwicklung wird in Zukunft mit dem Gletscherschmelzen zunehmen. Wenn es so weitergeht, ist die Wildhornhütte in den Berner Alpen irgendwann nur noch ein Ziel, weil man von dort aus nicht mehr weiter kann.

Lockt der SAC mit dem Service nicht ein Publikum in die Berge, das früher nicht dort war?
Ja, vielleicht. Heute sind zum ­Beispiel mehr Sportler unterwegs, früher waren es nur die Bergler. Man sieht viele Trail-Runner oder Mountainbiker.

Kommt bald WLAN in die ­Hütten?
Das gibt es teilweise schon. Vielerorts ist es aber nur für die Hüttenwarte offen. Für sie ist es einfacher, wenn sie die Reservationen online verarbeiten können. Aber die Leute fragen immer wieder nach WLAN, und wenn man es nicht hat, beschweren sie sich. Ich selbst bin froh, ab und zu keinen Empfang zu haben. Andere wollen in der Freizeit ihre E-Mails abrufen und das gerade geschossene Bild vom Sonnenuntergang auf Facebook posten. Es ist ein Widerspruch: Der Mensch sucht die Natur und Abstand zum Alltag, und gleichzeitig verlangt er den gleichen Komfort wie zu Hause.

Manche Hütten brüsten sich mit ihrer Ökolabel-Zertifizierung, aber die Weinflaschen bringt dann der Helikopter. Ein weiterer Widerspruch?
Das ist schon so.

Wie viele Hütten werden mit dem Helikopter bedient?
Viele.

Geht es nicht auch ohne?
Das ist die Frage. Früher trugen die Bergler ihren Proviant selbst hoch und wurden nicht bekocht. Jetzt wollen die Leute ein warmes Nachtessen serviert bekommen. Die Zutaten dafür müssen hochgeschafft werden. Bei vielen Hütten kommt man mit dem Auto nicht hin. Wir haben aber ein Abkommen mit der Armee. Weil ihre Helikopterpiloten trainieren müssen, übernehmen sie viele Flüge für uns.

Der SAC sieht sich auch als Schützer der Natur. Wird das so nicht immer schwieriger?
Wir müssen einen Spagat zwischen schützen und nützen machen. Wir sind und bleiben eine Bergsport­organisation, die diesen fördern will. Das bringt mehr Menschen in die Berge und erzeugt Druck auf die Natur. Andererseits würde es die meisten auch ohne den SAC in die Berge ziehen. Was wir machen können, ist, unsere 150 000 Mitglieder für den Naturschutz zu sensibilisieren. Letztes Jahr lancierten wir eine Aktion, bei der wir um die Trient-Hütte im Wallis herum Abfall einsammelten. 13 Tonnen kamen so zusammen. Das waren aber fast alles alte Abfälle. Früher war es normal, Material hochzutragen und alles, was übrig blieb, oben zu lassen.

Gerade jetzt in den Sommer­ferien ist die halbe Schweiz in den Bergen unterwegs. Warum ist das Wandern so populär?
Das Bedürfnis nach Natur ist gestiegen. Die meisten sitzen den ganzen Tag am Computer, sie brauchen einen Ausgleich zum Alltag. Die Berge sind schnell erreichbar, auch wenn man in der Stadt wohnt. Zudem ist Wandern günstig und für fast alle machbar.

Trotzdem geraten Berggänger immer wieder in Notsituationen.
Einige überschätzen sich einfach. Sie hören von Bekannten, die bestimmte Touren machen, und denken sich: Das kann ich auch. Manche gehen Risiken ein, weil sie denken, die Rega komme sie dann sowieso holen, wenn sie sich ein Bein brechen. Seit es das Handy gibt, verlässt man sich noch mehr auf die Rettung. Aber was, wenn das Wetter schlecht ist und die Rega nicht kommt?

Was beobachten Sie noch?
Ich sehe immer wieder Leute, die in Turnschuhen auf schwierigen Wegen unterwegs sind. Wenns ein bisschen regnet, rutschen sie sofort aus. Ich habe auch schon mal etwas gesagt, aber darauf reagieren sie oft nicht gut. Dabei geht es mir nicht darum, sie zurechtzuweisen. Es geht um ihre Sicherheit.

Wie verhält man sich richtig?
Bevor man eine Wanderung macht, sollte man sich überlegen, ob die Route der eigenen Fitness entspricht, ob man genügend gut ausgerüstet ist und wie das Wetter aussieht. Wenns am Abend regnet, geht man am besten früh los. Und auf manchen Pfaden sollte man die Kinder anbinden, das vergessen viele.

Sie sind die erste Frau an der Spitze des SAC. Spüren Sie das?
Ich erhalte viel Zuspruch, weil ich eine Frau bin. Es gibt nur wenige Frauen, die an der Spitze von Sport­organisationen sind.

Warum?
Sie trauen sich oft nicht.

Wie fördert der SAC Frauen?
Wir bilden jedes Jahr junge Bergsteiger darin aus, Expeditionen zu organisieren und leiten. Anfangs haben sich fast nur Männer gemeldet. Jetzt haben wir eine Frauen- und eine Männer-Gruppe. Und voilà: Es melden sich viel mehr Frauen, weil sie nicht mehr Angst haben, nicht mit ihren Kollegen mithalten zu können.

Beim Bergsteigen gehts oft um Wettbewerb.
Vor allem bei den Männern, ja. Die Bergsteigerinnen haben das weniger. Die Frauen besteigen auch 8000er, aber sie reden nicht so laut darüber. Oft erfährt man nicht einmal, wenn eine Frau eine grosse Leistung erbracht hat.

Sie haben einige 4000er ­bezwungen. Wann steigen Sie auf einen 8000er?
Nie. Auf dem Mount Everest hat es so viele Leute. Ich finde es komisch, dass Touristen, die noch nie in den Bergen waren, diesen jetzt besteigen können. Mir gefällt dieses Business nicht. Es ist schade für die Bergsteiger, die es ganz aus eigener Kraft und ohne Sauerstoff schaffen. Deren Leistung geht in der Masse völlig unter.

Sie sind 61 Jahre alt. Sind Sie ­ruhiger geworden?
Tatsächlich. Heute steige ich nicht mehr so hoch hinauf und bin weniger häufig unterwegs. Es reicht mir, einfach in den Bergen zu sein. Das bin ich alleine schon dadurch, dass ich im Greyerzerland wohne. Wenn ich von der Arbeit in Bern heimkomme, wandere ich manchmal hinter dem Haus noch den Hügel hoch – und gut ist.

Sie könnten auch einfach auf der Gartenterrasse sitzen, und gut ist ...
Mich zieht es automatisch immer in die Höhe, ich kann gar nicht anders. Ich muss nach oben wandern können, dann geht es mir gut. Dort oben fühle ich mich frei und innerlich ruhig. Und manchmal finde ich dort eine Einsamkeit, die mir guttut.

Vor 18 Jahren stürzte Ihr Mann auf einer gemeinsamen Tour zu Tode. Warum haben Sie danach der Bergwelt nicht den Rücken ­gekehrt?
Das kam mir nicht in den Sinn. Im Gegenteil. Es zog mich noch mehr in die Berge – mindestens zwei Tage pro Woche. Wenn so etwas passiert, braucht es viel Energie, um weiterzumachen. Diese fand ich im Gebirge. Es war auch ein Trost, gemeinsam mit befreundeten Berggängern unterwegs zu sein.

Hegten Sie danach nie einen Groll?
Ich bin nie mehr zu diesem Berg in den Freiburger Voralpen gegangen. Das ist alles.

Sind Sie nach dem Unfall ­vorsichtiger ­geworden?
Wir waren immer vorsichtig. Wir hatten die Tour davor auch schon oft ohne Probleme gemacht. Aber ja, ich überlege jetzt vielleicht mehr an bestimmten Stellen, die ­jener von damals ähnlich sind. Es macht schon ein bisschen Angst. Dann sehe ich jeweils vor mir, was passieren könnte. In solchen Situationen kommt immer noch einiges hoch. Auch jetzt gerade spüre ich, dass ich wieder emotional werde. Heute habe ich ein ganz anderes Leben, und trotzdem kann ich nicht vergessen, was passiert ist.

Die oberste Alpinistin

Françoise Jaquet ist seit 2013 Präsidentin des Schweizer ­Alpen-Clubs (SAC). Neben dieser ehrenamtlichen Arbeit leitet die Biologin die Abteilung Klinische Versuche des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic in Bern. Die 61-Jährige ist in ­Freiburg aufgewachsen und lebt ­heute mit ihrem Partner im ­freiburgischen Crésuz. Ihre grosse Leidenschaft sind Skitouren. 2017 zählte der SAC 150 551 Mitglieder und 153 Hütten. Diese wurden seit 2009 mit über 50 Millionen Franken modernisiert. Spektakuläre Neubauten wie die Cabane de Tracuit VS verfügen auf 3000 Metern über eine Küche mit Kombisteamer und Spülmaschine.

Françoise Jaquet, SAC-Präsidentin
Anja Wurm

Françoise Jaquet ist seit 2013 Präsidentin des Schweizer ­Alpen-Clubs (SAC). Neben dieser ehrenamtlichen Arbeit leitet die Biologin die Abteilung Klinische Versuche des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic in Bern. Die 61-Jährige ist in ­Freiburg aufgewachsen und lebt ­heute mit ihrem Partner im ­freiburgischen Crésuz. Ihre grosse Leidenschaft sind Skitouren. 2017 zählte der SAC 150 551 Mitglieder und 153 Hütten. Diese wurden seit 2009 mit über 50 Millionen Franken modernisiert. Spektakuläre Neubauten wie die Cabane de Tracuit VS verfügen auf 3000 Metern über eine Küche mit Kombisteamer und Spülmaschine.

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