Bei jedem Wetter geht Peter Hossli ins Wasser und macht sich Kopf und Herz frei für seine nächste Geschichte. Jetzt legt er seine «Memoiren» vor.
Leser des SonntagsBlick schätzen Sie als Reporter. Warum hören Sie auf?
Peter Hossli: Ich höre überhaupt nicht auf!
Aber Sie haben Ihre «Memoiren» geschrieben. Ist das mit 49 Jahren nicht etwas früh?
Memoiren sind ein Genre, in dem man mit der eigenen Geschichte versucht, etwas zu vermitteln. Alle reden über die Medienkrise. Das langweilt mich. Ich habe den schönsten Beruf.
Wie hat sich dieser in den letzten Jahren verändert?
Medien werden nur noch mit dem Wort Krise zusammen erwähnt: die Medienkrise. Wir Journalisten reden fast nur noch über Strukturen, Geschäftsmodelle und Entlassungen. Ich finde das eine Zeit- und Energieverschwendung. Wir sollten über Geschichten reden.
Heute hagelt es Vorwürfe wie «Lügenpresse» oder «Fake News». Ist Ihr Buch eine Rechtfertigungsschrift?
Auf jeden Fall ist es ein Gegenentwurf zu dieser Kampfrhetorik. Viele Journalistinnen und Journalisten leisten Hervorragendes. Ich zeige, wie wir tatsächlich arbeiten.
Wie denn?
Der Reporter ist ein Journalist, der rausgeht und versucht, unvoreingenommen die Wahrheit so genau wie möglich abzubilden. Ich gehe mit einer Haltung an ein Thema heran – nie mit einer Ideologie.
Was heisst Haltung?
Den Menschen gerecht zu werden, über die ich schreibe. Ich schaue ein Thema von allen Seiten her an. Mich selbst und meine politische Meinung nehme ich zurück.
Als Reporter arbeiten Sie nicht im Büro, sondern vor Ort bei den Menschen.
Dort komme ich näher an die Wahrheit heran, als wenn ich auf der Redaktion in den Computer schaue. Die Trump-Wahl ist in New York, Berlin und Zürich am Computer wahrgenommen worden. Ich aber bin in den Mittleren Westen der USA gefahren und wusste, dass Trump gewinnen wird.
«Ein Journalist ist einer, der nachher alles vorher gewusst hat», schrieb Karl Kraus. Sie sagten mir noch kurz vor der Wahl, dass Hillary Clinton gewinnen wird.
Stimmt. Ich verliess mich eben nicht mehr auf die Menschen, die ich als Reporter getroffen hatte. Ich wurde ein Opfer der Definitionsmacht von Medien und Umfragen.
Wollen Sie als Reporter die Welt verbessern?
Nein, ich lehne den Journalismus der Aktivisten ab. Ein Journalist, der die Welt retten will, sollte in die Politik wechseln.
Eine Tochter fragte Sie einmal: «Daddy, hast du den Kindern geholfen oder wieder nur zugeschaut?» Wie haben Sie ihr geantwortet?
Wahrheitsgemäss. Ich habe nicht geholfen, aber ich habe ihre Geschichte erzählt. Indem ich ihnen eine Stimme gebe, kann ich viel mehr bewirken, als wenn ich ihnen eine Flasche Wasser gebe.
Hat sie die Antwort verstanden?
Es brauchte lange Gespräche. Auf der Balkanroute fragten Flüchtlinge, ob ich sie mit dem Auto nach Berlin bringe. Berufskollegen machen solche Dinge. Der Journalist wird so aktiver Teil der Geschichte. Und es ist ein Verbrechen.
Ein Verbrechen?
Ja. Man macht sich zum Schlepper. Das ist ein krimineller Akt.
Ihre Frau und Ihre beiden Töchter sind im Buch sehr präsent. Gaben sie ihr Einverständnis?
Alle drei haben das Buch gelesen.
Hatten sie ein Vetorecht?
Ja, und alle drei haben davon Gebrauch gemacht. Meine Familie bringt grosse Opfer. Plötzlich bin ich wieder weg. Der Beruf hat etwas sehr Egoistisches.
Als Reporter sind Sie viel mit Fotografen unterwegs.
Ich arbeite extrem gern mit Fotografen zusammen. Bei Fotografen bin ich seriell monogam. Das sind Beziehungen wie in einer Ehe. Vor Ort versteht man sich blind. Beide wollen eine Geschichte erzählen. Er oder sie mit Bild, ich mit Worten.
Auslöser des Buchprojekts war die schlichte Frage der somalischen Übersetzerin Ayan Dagan: Warum schreibst du?
In den letzten 25 Jahren hat mir nie jemand so direkt diese Frage gestellt. In einem vertraulichen Gespräch haben Sie ihre Geschichte erfahren. Sie war 25, eine sunnitische Muslimin, unverheiratet, keine Kinder. Sie erzählte, dass sie als Kind beschnitten wurde. Als junge Erwachsene wurde sie vergewaltigt. Sie wurde schwanger und musste die Abtreibung an sich selbst vornehmen. Warum erzählte sie mir das? Wie erzeugt ein Reporter Vertrauen? Darüber wollte ich ein Buch schreiben.
Intensive Begegnungen verarbeiten Sie beim Schwimmen im See oder auf langen Waldspaziergängen.
Auf den Redaktionen erzähle ich wenig von meinen emotionalen Momenten. Nicht selten weine ich im Wald. Es reinigt. Ich lasse die Bilder an mir vorbeiziehen und nehme Abschied von den Menschen, die ich getroffen habe.
Für Ihr Buchprojekt haben Sie bei Ringier gekündigt. Und jetzt?
Ich wollte wieder einen Job suchen. Aber mein Schwiegervater erzählte mir von einem Mordfall in seiner Jugendzeit. Dieser hat mich dermassen elektrisiert, dass ich jetzt bereits an einem zweiten Buch arbeite.
Peter Hossli, Die erste Miete ging an die Mafia: Was ich bin: Reporter. Werd Verlag