Ratgeber-Kolumne von Schriftsteller Thomas Meyer
«Viele haben sich überhaupt nichts zu sagen»

Meine Frau und ich sind politisch nicht auf derselben Linie und streiten ständig deswegen. Was raten Sie uns?
Publiziert: 03.08.2015 um 14:15 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 20:27 Uhr

Eigentlich ist diese Ausgangslage ein Segen, denn sie ermöglicht Ihnen, sich in Toleranz und Eloquenz zu üben – und nicht zuletzt in Informationsbeschaffung. Wie soll sich die Schweiz zur Flüchtlingsproblematik stellen? Was ist von der «Homo-Ehe» zu halten? Inwiefern soll der Staat in den Wohnungsmarkt eingreifen? Das sind interessante Themen, und Sie dürfen sich glücklich schätzen, sie fundiert und konstruktiv erörtern zu können. Viele Paare haben sich ja überhaupt nichts zu sagen.

Allerdings hat die Debattierkunst – vor allem im partnerschaftlichen Rahmen – zwei mächtige Feinde: das Harmoniebedürfnis und den Machtkampf. Viele Menschen leiden furchtbar, sobald eine Meinungsverschiedenheit entsteht. Sie zweifeln dann grundsätzlich an der Beziehung bzw. Freundschaft, fallen einander ins Wort und werden laut und unsachlich. Eine Unart, die dadurch gesteigert wird, dass wir recht haben wollen – seltsamerweise vor allem gegenüber dem Partner. Ausgerechnet in Liebesbeziehungen, wo sie eigentlich aufgehoben sein müsste, feiert die Rechthaberei ihre neurotischsten Ausbrüche. Das Ego ist offenbar grösser als das Herz. Oder zumindest verletzlicher.

Vor diesem Hintergrund lässt sich schlecht diskutieren. Stattdessen wirft man sich gegenseitig Meinungen und unqualifizierte Begründungen an den Kopf und findet einander bald unheimlich doof. Eine Alternative wäre, aus Ihren unterschiedlichen Ansichten ein Spiel zu machen: Jeder muss pro Streitfrage ein fünfminütiges Plädoyer halten. Wer besser argumentiert, bestimmt, was auf die beiden Stimmzettel geschrieben wird. Das kann sehr lustig sein.

Allerdings gibt es in der Tat ausgesprochen widerwärtige, herzlose Standpunkte. Und wenn einer immer wieder solche vertritt, gibt es für seinen Partner eigentlich nur einen schlauen Rat ...

Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer beobachtet seine Mitmenschen seit nunmehr 41 Jahren. Das ist denen nicht immer recht.

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